Dienstag, 19. März 2024

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Marius von Mayenburgs "Mars" in Frankfurt
Weltuntergang ohne Schrecken

Der Dramatiker Marius von Mayenburg ist mit seinen zahlreichen Stücken ein Seismograph aktueller gesellschaftlicher Zustände. Immer öfter realisiert er seine Theatertexte auch selbst wie jetzt "Mars" in Frankfurt. Darin beschwört er ein Weltuntergangsszenario, mit einem Ausweg: ein neuer Planet.

Von Michael Laages | 20.05.2018
    Torsten Flassig in 'Mars', Regie: Marius von Mayenburg, Foto: Jessica Schäfer
    Torsten Flassig in Marius von Mayenburgs Theaterstück "Mars" (Schauspiel Frankfurt/ Jessica Schäfer)
    Vom "Letzten Kapitel" schrieb Erich Kästner, den bevorstehenden Weltuntergang besangen Udo Lindenberg und die Puhdys, und ein gewisser Karl Golgowsky wusste sogar genau, wann es so weit ist: "Am 30. Mai ist der Weltuntergang". Jedes Jahr wieder; das Lied wurde 1954 ein Hit. Verschwörungstheoretiker mit mehr oder minder wissenschaftlichem Basiswissen kündigen immer mal wieder das Ende von allem an. Marius von Mayenburg nutzt die weltumspannende Menetekelei im neuen Stück für ein praktisches Experiment – der Auswahl- und Prüf-Prozess hat hier begonnen für all die, die meinen, irgendwo anders überleben zu müssen, zum Beispiel eben auf dem Mars. Gut zu wissen, dass es dort schon kleine grüne Männchen (und Weibchen) gibt – denn die wunderlichen Wettbewerber auf der Bühne werden weder dort noch hier gebraucht.
    "Du hast mir gesagt, wir sind in Sicherheit…"
    "Du bist in Sicherheit!"
    "Heißt das: Ich kann den Sack abnehmen?"
    "Können Sie das?"
    Mit Sack überm Kopf werden sie durch den Wald geführt an einen geheimen Platz. Das heißt: zwei Wesen und ein Führer tappen in Sebastien Dupoueys Breitwand-Video heran an die Bühne und betreten sie dann real. Dieser Mix aus Echt-Spiel und Video wird zum wichtigsten Spiel-Element. Später werden die Mars-Kandidaten, vier insgesamt, Vater und Tochter sowie zwei ziemlich ungleiche Zwillingsbrüder, noch urzeitlichen Affen begegnen im Video hinter sich und immer wieder darin verschwinden – bis eine schwarzbraune giftige Flut das Wald-Biotop im Video insgesamt unter Wasser setzt. Dann ist der blaue Stern wieder wüst und leer, Haifische und Quallen durchziehen das Ur-Meer – an Rettung war nicht zu denken.
    Kain-und-Abel-Gezeter
    Zurück zum Wettbewerb: Wer in die sogenannte "Kolonie" möchte auf irgendeinem fernen Stern, muss alle Menschlichkeit ablegen; spätestens dann, wenn Futter besorgt werden soll von einem anderen Stamm. Dann kommen die Maschinengewehre zum Einsatz, wie beharrlich sich die Tochter, die letzte Zivilisierte, auch zu wehren versucht. Papa, längst von der eigenen Überflüssigkeit überzeugt, tut dies alles nur für sie. Während die Zwillinge Edgar und Oskar weitestgehend damit beschäftigt sind, das eigene Ich im brüderlichen Gegenüber zu suchen.
    Derart intensiv verfolgt von Mayenburg die Details der Brüder-Fabel, dass die Geschichte mit dem Weltuntergang fast in den Hintergrund rückt vor lauter Kain-und-Abel-Gezeter. Aber Oskar hat ja auch wirklich das Zeug zum Problemfall, braucht regelmäßig Beruhigungspillen, um nicht durchzudrehen. Einer wie der hat denn auch überhaupt kein Problem damit, den Rest der Menschheit plattzumachen, wenn er nur selber überlebt. Darum besteht er schlussendlich auch alle Prüfungen – und klettert im Video die Leiter zum Raumschiff hinauf.
    Das aber scheint eher zu explodieren – und ein wunderliches Wesen, das stets mit Bade-Ente und Schwimmring um den Hals durch den Wald geistert – und dabei regelmäßig in Stücke geschossen wird –, erklärt zum Schluss, dass es keine Kolonie, keinen Außenposten der Menschheit geben wird und der Wettbewerb eher präfinale Beschäftigungstherapie war. Dann, wie gesagt, kommen die Quallen. Autor Mayenburg verfällt bei diesem hoffnungslosen Schluss in leichte Poesie.
    "Die Erde kreiselt blau durchs All, ich sehe Schönheit – überall"
    Als hätte sich Wilhelm Busch mit zeitgenössischen Rap-Reimern zusammen getan. Und auch Mayenburg setzt mit diesen Poetereien eher auf Ironie. Überhaupt ist die Frankfurter Aufführung eher heiter, dem finsteren Thema zum Trotz. Beunruhigend, vielleicht sogar gefährlich, wird der Alptraum nie. Aber was ist denn auch an Zukunft zu erwarten, so lange immer nur die bieder-braven Bürgerinnen und Bürger nach ihr suchen – ohne sich selber und die eigene Behäbigkeit in Frage zu stellen.
    Das Stück hätte vermutlich doch einen Regisseur gebraucht, der dem Autor eigene Phantasie entgegensetzt; so bleibt das wirklich schöne Video-Spiel von Bühnenbildner Dupouey die einzige echte Herausforderung. Der Text erzählt sich handfest, klar und gut, bleibt aber ohne Tiefe, ohne Abgrund und Schrecken. Wir haben wohl noch reichlich Zeit bis zu irgendeinem 30. Mai – vor dem nächsten in zehn Tagen hat auch Marius von Mayenburg die Ruhe