Dienstag, 19. März 2024

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Merkel-Kritiker gründen "Konservativen Aufbruch"
"Wir sind weder Störfeuer noch ein Problem"

Aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel wollen CDU-interne Kritiker heute in Schwetzingen einen bundesweiten Dachverband gründen. Als bekanntester Unterstützer gilt Hessens Ex-Justizminister Christean Wagner. Im DLF wehrte er sich gegen Vorwürfe, die partei-interne Bewegung sei ein "Sammelbecken von Merkel-Kritikern".

Christean Wagner im Gespräch mit Stephanie Rohde | 25.03.2017
    Der hessische CDU-Fraktionsvorsitzende Christean Wagner, aufgenommen am 16.08.2011 in der Staatskanzlei in Wiesbaden während einer Pressekonferenz.
    Hessens ehemaliger Justizminister, CDU-Politiker Christean Wagner (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Vielmehr gehe es darum, angesichts sinkender Umfragewerte Wähler, die zur AfD abgedriftet seien, zurückzuholen. Das Projekt sei daher keine Kritikveranstaltung, sondern konstruktiv im Sinne der Union, betonte Wagner.
    Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Strobl kritisierte das Projekt. Niemand müsse sich absondern.
    Das Gespräch in voller Länge:

    Stephanie Rohde: Könnten die Deutschen ihre Kanzlerin oder ihren Kanzler direkt wählen, sie würden Martin Schulz wählen, das hat zumindest die neueste Infratest-dimap-Umfrage ergeben. 45 Prozent der Befragten waren für den SPD-Kanzlerkandidaten Schulz, die Rivalin Angela Merkel kommt auf 36 Prozent. Das ist zwar nur eine Momentaufnahme, aber sie zeigt, dass Martin Schulz der Union deutlich zusetzt, und das könnte sich auch schon morgen deutlicher zeigen bei der Wahl im Saarland. Als wäre das nicht genug Problem für die CDU, formiert sich innerhalb der CDU jetzt eine Basisbewegung der Merkel-Kritiker. Sie nennt sich "Freiheitlich-Konservativer Aufbruch in der Union", trifft sich heute im badischen Schwetzingen zu ihrer Gründungsversammlung. Mit dabei ist der frühere hessische CDU-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Justizminister Hessens, Christean Wagner. Guten Morgen!
    Christean Wagner: Guten Morgen, Frau Rohde!
    Rohde: Die CDU stellt sich auf einen harten Wahlkampf ein gegen die erstarkte SPD. Warum starten Sie genau jetzt ein Störfeuer innerhalb der CDU?
    Wagner: Also, liebe Frau Rohde, wenn ich mir Ihre Anmoderation anhöre und jetzt auch die Frage anhöre, liegen Sie leider mit Ihrer Begrifflichkeit nicht in der Realität. Wir sind weder ein –
    Rohde: Inwiefern?
    Wagner: Das will ich gerade erklären. Wir sind weder ein Störfeuer noch ein Problem noch Merkel-Kritiker, sondern wir haben eines im Sinn: Ein bestes Wahlergebnis bei der Bundestagswahl am 24.9. für die CDU herauszuholen. Warum engagieren wir uns? Wir engagieren uns deshalb, weil wir glauben, dass der konservative Teil der Anhängerschaft der CDU in nicht geringen Teilen abgedriftet ist, entweder als Nichtwähler, leider auch teilweise zur AfD. Die wollen wir zurückholen, und für die wollen wir Ansprechpartner sein. Also keine Kritikveranstaltung heute, sondern eine konstruktive Veranstaltung im Sinne der Union.
    "würde mir wünschen, dass ein Stückchen deutliche Rhetorik hinzukäme"
    Rohde: Aber wenn man sich anschaut, was in den letzten Monaten passiert ist, die Kanzlerin hat ja schon konservativen Teilen der CDU Zugeständnisse gemacht, also Stichwort Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, jetzt die Debatte über innere Sicherheit, schnellere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber. Das reicht Ihnen dann nicht?
    Wagner: Der Sachverhalt ist doch eindeutig. Wir haben in den letzten Jahren krachende Niederlagen erlitten bei Landtagswahlen, und wir haben im Augenblick ein richtiges Umfragetief. Und das darf man auch nicht ignorieren, sondern wir müssen darauf reagieren. Und jetzt will ich Folgendes hinzufügen: Sie haben völlig recht, auch zu unserer Zufriedenheit hat es hier gegen erhebliche Widerstände der SPD eine deutliche Verbesserung der Gesetzeslage gegeben im Hinblick auf die Flüchtlingskrise und viele andere Probleme. Ich würde mir wünschen, dass ein Stückchen deutliche Rhetorik noch hinzukäme, damit der Bürger, der inzwischen nicht mehr genau weiß, ob er sich an der CDU orientieren kann, weiß, hier haben wir eine klare Partei der Sicherheit, eine klare Partei, die die Flüchtlingskrise in den Griff nimmt. Das muss jetzt aber auch deutlich artikuliert werden.
    Rohde: Sie sagen, eine andere Rhetorik, eine deutlichere Rhetorik. Lassen Sie uns auf die Inhalte schauen. Stichwort Integration. Da sprechen Sie in Ihrem Entwurf von Assimilation, also dass Ausländer sich hier in Deutschland assimilieren sollen. Björn Höcke von der AfD, der verwendet genau diesen Begriff. Er fordert Assimilation als Leitbild. Ist der Rechtsaußen von der AfD ein guter Stichwortgeber für Sie?
    Wagner: Auch das ist eine Unterstellung, denn wir müssen ja die Ursachen sehen, die Ursachenverläufe sehen, auch die Reihenfolge sehen.
    "Wir lassen uns auch nicht durch Journalisten Sprechverbote auferlegen."
    Rohde: Na ja, die CDU spricht immer von Integration. Die CDU ist für ein Integrationsgesetz, sie spricht nicht von Assimilation.
    Wagner: Frau Rohde, lassen Sie mich bitte – ich wollte gerade antworten. Wir lassen uns nicht durch Formulierungen aus dem Munde von AfD-Leuten, auch nicht durch Journalisten Sprechverbote auferlegen. Es ist ein ganz normaler Vorgang. Ich erinnere an die 500.000 Polen, die im 19. Jahrhundert gekommen sind. Die haben sich erst integriert, und über die Jahre dann hin assimiliert. Das ist überhaupt nichts Neues, und wenn die AfD aus welchem Mund auch immer hier und dort Formulierungen vornimmt, dann sagen wir nicht, dass dies sofort zum Unwort wird. Uns wird niemand vorgeben, auch die AfD nicht, was wir für richtig halten.
    Rohde: Inwiefern stärken Sie denn mit der Forderung nach Assimilation von Ausländern den Markenkern der CDU?
    Wagner: Das war bei uns früher eine völlig klare Angelegenheit, dass wir im Hinblick auf die Integration von Ausländern sagten, eines Tages, wenn die dauerhaft hier bei uns leben werden und leben wollen, dann wird in der zweiten oder dritten Generation dann aus der Integration eine Assimilierung. Das ist ja nun überhaupt nichts Außergewöhnliches und auch überhaupt nichts Radikales.
    Rohde: Ein weiterer Punkt, der dort besprochen wird in diesem Programm, ist die Rückbesinnung auf einen antitotalitären Konsens unter den demokratischen Konsens unter den demokratischen Parteien und den Medien. Ist Deutschland ein totalitäres Parteien- und Mediensystem Ihrer Meinung nach?
    Wagner: Natürlich nicht, überhaupt nicht. Aber ich sage, wir haben natürlich schon politische Bewegungen im rechten und im linken Lager, die totalitäre Züge haben. Und die gilt es zu bekämpfen, sowohl rechts als auch links. Und diesen Auftrag hat jeder Demokrat.
    Rohde: Und wo sehen Sie das genau? Also ich verstehe das noch nicht, wo Sie diesen antitotalitären Konsens wiederherstellen wollen.
    "Die Linkspartei ist mindestens so weit von der Mitte entfernt wie die AfD."
    Wagner: Nein, wir wollen vor allen Dingen totalitäre Entwicklungen bei der AfD, bei weiter Rechtsaußen und bei der Linkspartei und Linksradikalen, die wollen wir ausdrücklich bekämpfen. Ich finde es geradezu einen Skandal, dass die große Volkspartei SPD mit einer in Teilen totalitären Partei wie der Linken gemeinsame Sache macht. Und da wollen wir klar und deutlich Stellung beziehen. Die Linkspartei ist mindestens so weit von der Mitte entfernt wie die AfD.
    Rohde: Lassen Sie uns auf die Chancen schauen, die Sie haben mit Ihrem Kurs. Angela Merkel hat die CDU ja ziemlich radikal modernisiert. Die Parteiführung hält das auch weiterhin für richtig und möchte lieber Wähler in der Mitte behalten statt eben nach Wählern am rechten Rand zu fischen. Wie viel Hoffnung machen Sie sich da, dass Sie in der Parteiführung Gehör finden können?
    "Wir wollen verhindern, dass die CDU weiter nach links marschiert"
    Wagner: Zunächst mal stellen wir einfach die Realität fest. Wir wollen nicht am rechten Rand fischen, sondern wir stellen einfach fest, dass durch eine, wie wir finden, nicht immer sehr erfolgreiche Politik rechts von der Union eine ernst zu nehmende Konkurrenz entstanden ist.
    Rohde: Von der Sie jetzt die Wähler wieder abwerben wollen.
    Wagner: Ja, das waren CDU-Wähler. Und wir wollen möglichst viele Wähler für die CDU gewinnen. Das ist doch das Natürlichste der Welt. Die sind ja leider sogar, was ich hoch bedaure und für einen schweren Fehler halte, CDU-Mitglieder in die AfD eingetreten. So. Dass wir die zurückgewinnen wollen, das ist doch eine ganz natürliche Angelegenheit, das ist die Aufgabe jeder Partei im Übrigen. Wir wollen die CDU nicht nach rechts rücken. Wir wollen verhindern, dass sie weiter nach links marschiert mit den Ergebnissen, die ich ja vorhin sagte, katastrophale Wahlergebnisse und schlechte Umfrageergebnisse.
    Rohde: Es hat ja auch Gespräche gegeben mit der inzwischen fraktionslosen Abgeordneten Erika Steinbach. Wird Ihre Gruppierung dann eine Art Auffangbecken der frustrierten ehemaligen CDU-Abgeordneten?
    Wagner: Nein, das geht deshalb nicht, weil sowohl in den konservativen Initiativen als auch im Berliner Kreis, erst recht im Berliner Kreis nur CDU-Mitglieder dort mitwirken können.
    Rohde: Das heißt, Erika Steinbach wird nicht Teil dieser Veranstaltung?
    Wagner: Natürlich nicht.
    Rohde: Das sagt Christean Wagner, der ehemalige hessische Justizminister hier im Gespräch in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank für das Gespräch!
    Wagner: Ja, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.