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Weltraumkontrollzentrum ESOC
Europas Tor zum Orbit wird 50

1957 begann mit dem Sputnik die Weltraumfahrt. Waren zunächst nur die Sowjetunion und die USA im All aktiv, zogen die Europäer mit eigenen Satelliten nach. Und am 8. September 1967 ging das Europäische Operationszentrum für Weltraumforschung, ESOC, in Darmstadt in Betrieb. Seither wurden bereits 77 Weltraumissionen von Südhessen aus geleitet.

Von Dirk Lorenzen |
    Herzstück von Europas Raumfahrt: Der ESOC-Kontrollraum
    Herzstück von Europas Raumfahrt: Der ESOC-Kontrollraum (ESA / Jürgen Mai)
    "Ladies and Gentlemen, it looks like we have a signal, it looks like Rosetta has indeed woken up:" Als sich vor einigen Jahren die Raumsonde Rosetta nach einer mehrjährigen Funkpause planmäßig wieder gemeldet hatte, kannte der Jubel im Weltraumkontrollzentrum ESOC in Darmstadt keine Grenzen.
    Die Rosetta-Mission zum Kometen Tschuri ist der bisher größte Erfolg dieser Einrichtung, deren Gründung manchen wohl als Wagnis galt:
    Auch ein Bild mit ESOC-Hilfe: Komet Tschurjumow-Gerasimenko, aufgenommen von der Raumsonde Rosetta.
    Komet Tschurjumow-Gerasimenko, aufgenommen von der Raumsonde Rosetta.Die -Mission dem der bisher größten Erfolg ESOC, (ESA/MPS)
    "Ich kann mich an den 8. September 1967 erinnern. Wir saßen in einem Raum. Stoltenberg von der Regierung war da und hat eine Rede gehalten. Ein ganz markanter Satz, den – glaube ich – viele nicht vergessen haben, war: ‚Es ist immer einfacher eine internationale Organisation zu gründen als eine internationale Organisation, die besteht, wieder zu löschen.‘ Das hat uns den Mut gegeben, hier zu arbeiten."
    So Dietmar Pallaschke, damals ein junger Mathematiker, gehört zum ESOC-Urgestein. Er und seine Kollegen aus vielen Ländern Europas haben Bundesforschungsminister Gerhard Stoltenberg keinen Anlass gegeben, über eine Schließung nachzudenken. Denn das European Space Operations Centre hat sich schnell weltweit einen exzellenten Ruf erarbeitet. Herzstück ist der Hauptkontrollraum: In drei langen Reihen sitzen die Mitglieder der Flugteams vor ihren Bildschirmen, analysieren Daten und funken Steuerbefehle zu Satelliten und Raumsonden. Über dem Platz des Missionsdirektors stehen an der Wand die Namen und Startdaten von inzwischen 77 Weltraummissionen: Dazu Andreas Rudolph,am ESOC für die Astronomie- und Physikmissionen zuständig:
    Ein Anfang voller Improvisation
    "Das ist unsere Geschichtstafel, wenn man so möchte. Hier haben wir die ganze Geschichte der europäischen Raumfahrt eigentlich dokumentiert. Denn jeder Satellit, der gestartet und von hier aus kontrolliert worden ist, hat auf dieser Tafel einen Eintrag: Also, es geht los 1968 mit der ESRO-2-Mission, damals noch auf amerikanischen Raketen, die Scout. Wir sehen dann, wie die Geschichte der europäischen Raumfahrt sich entwickelt hat. Meteosat-2 auf der Ariane 1981: zum ersten Mal eine europäische Rakete, die wir da benutzt haben."
    . Egal mit welcher Rakete ein europäischer Satellit startet, egal, ob er das Wetter überwacht, ferne Galaxien beobachtet oder der Telekommunikation dient: Sobald er im Weltraum ist, befindet er sich in der Obhut des Darmstädter Kontrollzentrums Dazu Andreas Rudolph:
    "Wir sind in diesem Raum schon mehrere Monate vor dem Start zwei Mal in der Woche und simulieren und trainieren uns. Wie das Fußballteam, das sich auch warm machen muss, bevor sie dann ihren Gegner wirklich im echten Finale treffen, so ist es bei uns auch. Wir laufen uns hier warm, wir üben, wir trainieren alle möglichen Szenarien, alle möglichen Fehlerfälle ..."
    ... denn nur so wissen die Experten bei Pannen sofort, was zu tun ist. Das ESOC-Team hat Sonden auf einem Kometen und dem Saturnmond Titan landen lassen, Missionen zum Mars und zur Venus manövriert oder Erdbeobachtungssatelliten gesteuert. Abenteuer dieser Art waren anfangs noch undenkbar, erinnert sich Dietmar Pallaschke:
    "Es musste improvisiert werden, und die Kontrolle war nicht so groß. Ich würde einfach sagen, die ersten zehn Jahre, die wir hier verbracht haben, bis ungefähr 1977, da wurde sehr locker gearbeitet. Locker meinte ich jetzt nicht in der Art, dass also die Leute kamen und gingen, wann sie wollten. Sondern es wurde hart gearbeitet, aber es war nicht so eine strenge Prozedur da, wie wir sie heute haben, mit Simulationen, mit Tests. Und wir haben heute wesentlich mehr Struktur da, das wurde damals nicht so gemacht."
    In den Pionierzeiten hing das Wohl und Wehe eines Satelliten zum Teil vom Können eines einzelnen ab. Der Wagemut wurde belohnt: Das Kontrollzentrum reihte Erfolg an Erfolg – und so haben Andreas Rudolph und seine Kollegen zum runden Geburtstag vor allem einen Wunsch:
    Die Darmstädter Raumfahrtgeschichte soll weitergehen
    "Die Weitersetzung dieser Geschichtstafel, dieser europäischen Geschichtstafel, würde ich sagen; europäische Raumfahrgeschichte, auch Weltgeschichte, wenn man so möchte. Im Jahre 2000 war der erste Start auf einer Soyuz-Rakete, nachdem der Eiserne Vorhang so gefallen war , hat man auch mit den Russen angefangen, zusammenzuarbeiten. So sieht man eigentlich so ein bisschen Weltraumgeschichte, Welthistorie, alles auf dieser Tafel da drauf."
    Das ESOC erwartet in einem Monat den nächsten Start: Ein Erdbeobachtungssatellit fliegt vom russischen Plesetsk aus ins All – mit einer Rakete, die jetzt friedlichen Zwecken dient, einst aber Atomsprengköpfe tragen sollte. Auch dies wird ein Stück Darmstädter Raumfahrtgeschichte.