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Mißfelder warnt vor voreiligen Schlüssen bei Ägypten-Krise

"Das Militär ist nach wie vor sehr, sehr stark in Ägypten", sagt Philipp Mißfelder und befürchet mit Blick auf die Muslimbruderschaft, "dass manche vielleicht im arabischen Raum unter Demokratie was ganz anderes verstehen als wir".

    Jürgen Liminski: Ägypten ist das Stammland der Muslimbrüder. Hier wurde die Bruderschaft 1928 gegründet und gilt heute trotz Verbot als die am besten organisierte und verzweigte Oppositionspartei. Aus ihr kamen Leute wie Arafat und die Hamas, jene Gruppe, die im Gazastreifen vor der Haustür Israels eine Art Kalifat errichtet hat, eine islamistische Diktatur mit den bekannten drakonischen Strafen. Die Hamas darf man getrost als langen Arm der Muslimbrüder bezeichnen, und auch wenn die Islamisten jetzt nicht großartig in Erscheinung treten auf den Straßen von Kairo, Suez oder Alexandria, sie beleben die Spekulationen über die Zukunft der Region in der einen oder anderen Weise. Einer, der gleich in die Region aufbricht, um die Vorgänge selbst in Augenschein zu nehmen, ist der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion Philipp Mißfelder. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Mißfelder.

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Mißfelder, Mubarak sitzt noch fest im Sattel, aber vielleicht ist das Pferd tot, also das System am Ende.

    Mißfelder: Das kann sein, aber ich glaube, dass jede Beurteilung momentan zu früh kommt, weil überhaupt nicht klar ist, in welche Richtung sich das Ganze jetzt entwickelt. Das Militär ist nach wie vor sehr, sehr stark in Ägypten und es kann sein, dass es entweder mit Waffengewalt, was wir nicht hoffen, oder auch in anderen politischen Prozessen in der Lage sein wird, seine Macht zu sichern.

    Liminski: Ist das der Beginn einer neuen demokratischen Ära im gesamten Vorderen Orient?

    Mißfelder: Dafür, das beurteilen zu können, ist es, glaube ich, auch noch zu früh. Ich glaube auch, dass man eines nicht verwechseln darf. Wir sehen ja jetzt den Fall Tunesien, die Unruhen in Algerien oder die Unruhe in Algerien, die jetzt längere Zeit ja auch schon andauert – Unruhen ist dort zu viel gesagt -, in direktem Zusammenhang mit Ägypten, und diesen direkten Zusammenhang kann man so nicht herstellen, weil es gibt immer unterschiedliche Motivlagen. Es kann auch sein, dass im Fall Ägypten – und Sie haben ja eingangs etwas zur Muslimbruderschaft gesagt -, dass hinter den friedlichen Demonstranten, hinter dem berechtigten Wunsch der Demonstranten und der Bevölkerung nach mehr Demokratie vielleicht auch ganz andere weitere Interessen stecken, nämlich von Islamisten, was man so in Tunesien zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen kann.

    Liminski: Wer oder was sind die regionalen Stabilisatoren in dieser Krisenzeit?

    Mißfelder: Das müsste eigentlich uns mehr beschäftigen, als es das momentan tut, denn in der Tat ist es ja so: Wir haben ganz klare Interessen, die Europäische Union und Deutschland, das Sicherheitsinteresse Israels, aber auch als Nachbarn in der Mittelmeerregion haben wir auch ein Interesse von Stabilität, und diese Interessen werden momentan nicht gerade kraftvoll vertreten, weil wir stellen ja fest, dass es allenthalben Kritik an Mubarak gibt, dass es allenthalben die Begrüßung der Oppositionsbewegung dort gibt, aber wo das Ganze enden soll, wohin das führen soll, mit welcher politischen Konzeption das Ganze dann auch außenpolitisch ausgestattet sein soll, das beschäftigt momentan nicht so viele, und wir haben ja gesehen, dass die israelische Regierung alarmiert ist und deshalb ja auch in Europa um Verständnis für ihre Position geworben hat.

    Liminski: Die Kanzlerin ist in Israel zu den deutsch-israelischen Gesprächen. Das hat sich so ergeben. Ist das nicht das falsche Signal an die Demonstranten in den arabischen Städten?

    Mißfelder: Das finde ich nicht. Unsere Nahost-Politik ist klar: Wir sind kein nationaler Teilnehmer am Tisch, sondern wir sind Partei. Aus meiner Sicht sind wir an der Seite Israels fest und da gehören wir auch hin. Gerade dann, wenn die USA in den vergangenen zwei Jahren haben Zweifel aufkommen lassen, wie sie es mit Israel halten, und Obama ja auch viel unterstellt wird in Israel, vielleicht auch zu Unrecht, ist es gerade wichtig, dass Deutschland als bester Freund Israels dann natürlich auch Flagge zeigt. Und dieser Zufall, dass die Kanzlerin und ein Teil des Kabinetts gerade in Israel ist, ist, glaube ich, aus meiner Sicht das richtige, um auch die israelische Politik zu beruhigen, denn man darf natürlich jetzt auch nicht die Opposition per se verdammen und so tun, als seien es nur Muslimbrüder. Das ist so auch nicht. Nur die Gefahr ist da, dass im Hintergrund andere Kräfte noch wirken.

    Liminski: Für wie groß halten Sie denn die Gefahr eines Flächenbrandes der Rebellion oder der Unruhen?

    Mißfelder: Ich schließe das nicht aus, denn wenn man ganz ehrlich bilanziert, Tunesien, jetzt auch das, was in Ägypten passiert ist, natürlich ahnt man immer, dass in Ägypten so etwas passieren könnte, aber mit dieser Dynamik hat ernsthaft niemand gerechnet. Ich kenne viele Berichte aus dem Auswärtigen Amt oder auch von anderen Institutionen in Deutschland, auch von Beratungsinstitutionen. Die Expertise bei uns ist nicht so ausgeprägt, als dass wir wirklich das bis zum Abschluss hätten voraussagen können, beziehungsweise ich glaube, kaum jemand hat das in der Dynamik voraussehen können. Insofern ist es für uns eine Entwicklung, die uns schon ziemlich überrollt hat.

    Liminski: Die Europäer befinden sich in einer Art Dilemma zwischen Stabilität und Demokratie oder Freiheit. Für wie demokratiefähig halten Sie die Region?

    Mißfelder: Grundsätzlich ist es natürlich so, dass wir demokratische Prozesse unterstützen. Die Frage ist nur, mit welchem Ziel. Es gibt ja die israelische Sorge, dass sich eine Entwicklung vollzieht wie in den 70er-Jahren im Iran, das heißt Unzufriedenheit mit dem Schah, Demokratisierungsbestrebungen und dann trotzdem am Ende die Errichtung eines neuen Regimes, was aus westlicher Sicht weitaus schlimmer ist und wo auch die Menschenrechte nicht verwirklicht werden und wo auch die Rolle der Frau eine wesentlich schlechtere ist, als das vorher beim Schah der Fall war. Ich habe in der Tat auch die Sorge, dass manche vielleicht im arabischen Raum unter Demokratie was ganz anderes verstehen als wir.

    Liminski: Beschwichtigend weist man in europäischen Staatskanzleien darauf hin, dass die Muslimbrüder nicht gegen das Volk regieren würden. Außerdem wirke die Abschreckung in Nahost. Ist das die neue Formel, Democracy in our time?

    Mißfelder: Zur Muslimbruderschaft ganz kurz: Auch dort möchte ich niemanden verdammen. Ich sehe die Gefahr, ich sehe auch die Geschichte der Muslimbruderschaft, dass sie zum Beispiel die Hamas als einen ihrer Ableger ja auch massiv unterstützt hat. Aber trotzdem ist es natürlich so, dass es dort auch starke moderate Kräfte gibt, mit denen man sicherlich auch sprechen muss, um für Stabilität in Ägypten zu sorgen. Es kann ja auch sein, dass das Militär oder andere politische Figuren, el Baradei, dann letztendlich auch versuchen, einen Konsens in Ägypten herzustellen. Die Frage ist nur, wie fragil wird dieser Konsens nachher sein. Ich denke, die Demokratisierungsbewegung im Nahen Osten, im arabischen Raum hat neuen Schwung bekommen, das muss man sich genau anschauen, aber ich warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt ein abschließendes Urteil weder in die eine, noch in die andere Richtung abzugeben.

    Liminski: Die strategischen Risiken der Ägypten-Krise, das war der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder. Besten Dank für das Gespräch, Herr Mißfelder, und gute und sichere Reise.

    Mißfelder: Herzlichen Dank.

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