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Missgunst, Vorwürfe, Parteiaustritte

Bremens CDU steckt in einer tiefen Krise. Nach dem desaströsen Wahlergebnis 2011 laufen der Partei die Mitglieder weg, intern ist man zerstritten. Und nun hat auch noch die ehemalige Hoffnungsträgerin und bisherige CDU-Landesvorsitzende Rita Mohr-Lüllmann ihren Rücktritt angekündigt.

Von Christina Selzer | 01.11.2012
    Im CDU-Büro in Bremens Stadtteil Huchting hängt sie noch immer an der Wand: die Spitzenkandidatin der Bürgerschaftswahl vom Mai 2011, Rita Mohr-Lüllmann, auf dem Plakat sympathisch strahlend. Darunter steht: "Jetzt das Richtige tun!"

    Die Wahl ist längst verloren, und seit vergangenem Sonntag ist sie auch nicht mehr Landesvorsitzende der Bremer CDU.

    Schriftlich erklärte sie ihren Rücktritt, sie sprach dabei von einem "Klima der Missgunst und aggressiver Ablehnung". Ob sie nicht die Richtige war für ihre Partei? Mit ihrem Rücktritt will die 55-Jährige den Weg freimachen für einen Neuanfang. Schon wieder ein Neuanfang. Für den sollte eigentlich Rita Mohr-Lüllmann stehen. Von Krise aber will Gregor Rietz aus dem Stadtbezirksverband Huchting nichts hören.

    "Nein, wir sind überhaupt nicht in der Krise. Es ist auch wieder so eine Geschichte, die gerne herbeigeredet wird. Es ist ein völlig normaler demokratischer Vorgang, dass Vorsitzende kommen, Vorsitzende gehen."

    Fakt ist: Die Bremer CDU ist in zwei Lager gespalten. Auf der einen Seite Fraktionschef Röwekamp, der Ex-Parteichef. Auf der anderen Seite Mohr-Lüllmann. Als sie vor Kurzem erklärte, Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl 2013 besetzen zu wollen, eskalierte der Streit zwischen den Lagern. Wie viele Funktionäre fühlt sich auch Hans-Georg Gerling von seiner Chefin überfahren.

    "Was uns in Huchting nicht gefallen hat, war, dass sie nach vorne getreten ist und gesagt hat: Ich will nach Berlin. Ohne die Gremien vorher zu fragen."

    Zudem soll Rita Mohr-Lüllmann auch noch schlecht über ihre Bremerhavener Parteifreunde gesprochen haben, so jedenfalls petzte es eine SPD-Abgeordnete weiter. Ab dem Zeitpunkt war sie zum Abschuss freigegeben.

    Nach der Wahl vor eineinhalb Jahren war Mohr-Lüllmann noch die Hoffnungsträgerin. Auf 20,4 Prozent der Stimmen waren die Christdemokraten damals abgestürzt. Ihr schlechtes Wahlergebnis seit 1965 bedeutete Platz 3 in der Bürgerschaft – noch hinter den Grünen. Der Schuldige war schnell gefunden: der schneidige Thomas Röwekamp, damals noch Parteivorsitzender. Er schaffe es nicht, die verschiedenen Flügel in der Partei zu einen. Das Amt jedoch wolle er nicht freiwillig abgeben, unterlag in einer Mitgliederbefragung dann aber Rita Mohr-Lüllmann. Sie sparte damals nicht mit Kritik an ihrem Kontrahenten.

    "Unsere Bremer CDU braucht wieder eine Seele, ein Herz, Strahlkraft und Emotionen. Thomas, für den notwendigen Kurswechsel kannst du nicht stehen."

    Das muss gesessen haben. Röwekamps Miene war wie versteinert. Zunächst gab er den einsichtigen Verlierer.

    "Wenn wir nach dem Mitgliederentscheid so weitermachen wie woher, dann wird es eng für die Bremer CDU. Das ist unsere letzte Chance."

    Doch hinter den Kulissen wurde fröhlich weitergemacht. Röwekamp blieb ja Fraktionsvorsitzender und versammelte seine Anhänger um sich. Ihr Abgang sei nur das Ende eines langen
    Zermürbungsprozesses, glauben etliche, die Mohr-Lüllmann unterstützt hatten. Dazu gehören auch die CDU-Mitglieder im bürgerlichen Stadtteil Borgfeld. Hier kam die promovierte Apothekerin und Mutter von zwei Kindern gut an. Niemand trauerte dem eher kühlen Karrieristen Röwekamp nach. So auch Dieter Focke.

    "Die Stimmung ist schlecht, schon seit ein paar Monaten, weil wir gewusst haben, dass es Differenzen die ganze Zeit gibt."

    Fast täglich versucht Focke nun Mitglieder davon abzubringen, aus der CDU auszutreten. Kopfschüttelnd räumt er ein, dass auch ihm langsam die Argumente ausgehen.

    Gernot Neumann-Mahlkau beispielsweise hat nach dem Rücktritt seiner Landeschefin sein Parteibuch zurückgegeben. Nach über
    30-jähriger Mitgliedschaft und politischem Engagement in seinem Stadtteil reicht es ihm jetzt.

    "Es war ein langer Schritt, einfach natürlich nicht, aber wenn man immer nach dem Motto lebt, nur weiter so, kann sich auch nichts ändern."

    Auch Hans-Hinrich Blumenberg ist tief enttäuscht. Der Ex-Karstadt-Chef wettert gegen den neuen abgeschotteten Klüngel im Bremer CDU-Haus und fordert, dass auch Fraktionschef Röwekamp abtritt.

    "Eine Landesregierung kann nur in die Hände klatschen und frohlocken. Aber wir sind in einem Status, wo wir keine ernst zu nehmende Gegner mehr sind."

    In vielen Großstädten wird über die Identitätskrise der CDU diskutiert. Oberbürgermeister- und Landtagswahlen gehen für die Christdemokraten reihenweise verloren. Die eigenen Leute beklagen sich über die Profillosigkeit ihrer Partei. Im rot-grün dominierten Bremen wollte Mohr-Lüllmann den Bürgerlichen wieder eine Stimme geben. Doch die so genannte bürgerliche Wählerklientel ist längst abgewandert – zu den Grünen. Das ist in Stuttgart so, das ist auch im Bremer Stadtteil Oberneuland so – eine ehemalige CDU-Hochburg. Hier ist Stefan Lindenberg zuhause, ein langjähriges CDU-Mitglied, das darüber nachdenkt, sich ebenfalls eine neue politische Heimat zu suchen.

    "Sicherlich muss sich eine Partei modernisieren. Wenn aber eine Partei hingeht und ihre Wurzeln verrät, diese versucht abzuschlagen, dann ist es wie bei einem Baum: Wenn sie die halbe Wurzel wegschlagen, dann wird er irgendwann keine Früchte mehr tragen."

    Bremens CDU-Chefin hat aufgegeben. Fraktionschef Röwekamp aber denkt nicht an Rückritt. Im Gegenteil: Im Hintergrund zieht er fleißig an den Strippen. Ein Weggefährte von ihm, Jörg Kastendiek, soll neuer Parteivorsitzender werden. Ob sich die Mitglieder diese Hinterzimmerklüngeleien gefallen lassen, steht auf einem anderen Blatt.