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Nach Bundestagsentscheidung
"Einfluss von Lobbyisten ist nach wie vor sehr groß"

Auch nach dem Nein der Koalitionsmehrheit im Bundestag dringt die Organisation Lobbycontrol weiter auf Einführung eines Registers von Interessensvertretern. Im Deutschlandfunk sagte die Geschäftsführerin von Lobbycontrol, Dierßen, ein solches Verzeichnis würde auch den Abgeordneten selbst helfen.

Imke Dierßen im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Imke Dierßen, Geschäftsführerin von Lobbycontrol
    Imke Dierßen, Geschäftsführerin von Lobbycontrol (Imke Dierßen)
    Die Abgeordneten wüssten so künftig genau, mit welchen Gesprächspartnern sie es zu tun hätten. Gerade bei großen Verbänden wie etwa der Automobilindustrie sei der Einfluss, den Lobbyisten auf die Politik ausübten, weiterhin sehr groß.
    Im Bundestag waren gestern Linkspartei und Grüne mit dem Versuch gescheitert, eine solche Datenbank mit Informationen über Interessensvertreter einzuführen. Die Anträge wurden mit den Stimmen der großen Koalition abgelehnt. Der Justiziar der Unionsfraktion, Uhl, warnte in der Debatte vor einer Diskriminierung von Lobbyisten.

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon sage ich jetzt guten Morgen zu einer Interessenvertreterin, die sie auch ist, von der Organisation Lobbycontrol: Guten Morgen, Imke Dierßen!
    Imke Dierßen: Guten Morgen, Herr Grieß!
    Grieß: Wem hätte ein Lobbyregister geholfen?
    Dierßen: Ein Lobbyregister hätte den Abgeordneten geholfen, das hat Frau Haßelmann gesagt – Sie haben es gerade eingespielt –, aber auch uns Bürgerinnen und Bürgern, denn wir wollen, dass Lobbyeinflüsse nachvollziehbar sind, und wir wollen öffentlich mitdiskutieren darüber, welche Interessen ihren Platz finden in der Politik.
    Grieß: Da frage ich gleich noch mal nach, helfen Sie mir kurz noch bei der Definition: Wer überhaupt ist ein Lobbyist?
    Dierßen: Es gibt mittlerweile sehr, sehr viele Lobbyakteure – über die großen Dachverbände wie zum Beispiel der Bundesverband der Deutschen Industrie, kleine Vereine wie eben auch Lobbycontrol, aber auch Anwaltskanzleien, die eben nicht nur Mandanten in Rechtsstreitigkeiten vertreten, sondern auch Interessen vertreten. Es gibt große und kleine Lobbyagenturen, die auch wiederum in Verbänden organisiert sind, es gibt Denkfabriken, es gibt Stiftungen – all diese Akteure betreiben Politik. Die Interessen sind sehr partikular geworden, und in der Hauptstadt sind sehr viele Lobbyisten unterwegs.
    Grieß: Aber es gehört doch zum pluralistischen Wesen der Demokratie, dass sich Interessen organisieren und sich dann eben auch vertreten und dafür werben, dass es eine Mehrheit für ihre Interessen gibt.
    "Große Akteure, die sehr nah an der Politik sind"
    Dierßen: Das ist richtig, und das wollen wir auch nicht ändern. Wir wollen aber einen Einblick darin haben, wer das ist, wer tritt in Berlin auf, versucht Politikprozesse zu beeinflussen, mit welchem Interesse, wollen wir wissen. Wir wollen wissen, in wessen Auftrag das geschieht und mit welchen finanziellen und personellen Mitteln, denn wir sehen, dass die Einflüsse auf Politik doch sehr ungleich sind. Es gibt die großen Akteure, die sehr nah an der Politik sind, es gibt die kleinen Akteure, die wenig Mittel aufbringen können. Wir sehen das oft auch an Politikergebnissen, diese Ungleichheiten, und damit das transparent wird und wir darauf achten können, wollen wir ein Register.
    Grieß: Frau Dierßen, wo sehen Sie das beispielsweise als Beleg, dass die großen Interessen, die Sie genannt haben, sich besser durchsetzen können?
    Abgasskandal bei VW zeigt enge Verflechtungen mit der Politik
    Dierßen: Na ja, wir können das ganz aktuell ja in der Automobilindustrie sehen – der Abgasskandal bei VW hat das ja sozusagen wieder auf die Tagesordnung gespült –, da sehen wir ganz enge Verflechtungen zwischen Politik und der Automobilindustrie. Viele ehemalige Politiker wie Herr Wissmann oder Eckart von Klaeden vertreten die Interessen der Industrie und haben einen sehr direkten Zugang zur Politik und können sich mit ihren Forderungen auch sehr gut durchsetzen. Und wir sehen, dass das den kleineren Organisationen, die sich für Umweltschutz- oder auch für Verbraucherschutzinteressen einsetzen, nicht in dieser Form gelingt.
    Grieß: Ja, gut, aber manche Organisationen, nehmen wir etwa Greenpeace oder BUND, sind ja nicht so klein, wie sie manchmal tun, sondern durchaus große, schlagkräftige Organisationen, die auch wissen, wie PR geht, wie Marketing geht, wie Politmarketing funktioniert.
    Greenpeace macht es großen Konzernen nicht einfach
    Dierßen: Das ist richtig, und zum Glück können diese Organisationen wie Greenpeace oder auch der BUND oder andere ihre Anliegen auch erfolgreich in die Öffentlichkeit bringen, und ihnen gelingt es, dass wir eben die engen Verflechtungen und auch die Skandale diskutieren können in der Öffentlichkeit und dass es auch den großen Konzernen da nicht ganz einfach gemacht wird. Aber wir haben ja Politikentscheidungen, wie eben zum Beispiel die Grenzwerte bei den Abgaswerten, bei den Abgasmessungen, wo deutlich wird, wer sich da durchgesetzt hat, und das sind nicht die Umweltverbände.
    Grieß: Und Sie meinen, es müsste nun protokolliert werden, welche Abgeordnete sich mit welchem Industrievertreter oder wie auch immer Vertreter zum Bier abends trifft.
    Register, in dem sich alle, die Lobbying in Berlin betreiben, eintragen
    Dierßen: Nein, das meinen wir nicht. Wir wollen ein Lobbyregister – und darum ging es gestern auch in der Debatte, und wir haben das vorher in der Sachverständigenanhörung auch klargestellt –, wir wollen zunächst ein Register, in dem sich alle, die Lobbying in Berlin betreiben, eintragen. Sie sollen sich eintragen, dass sie Lobbying machen, sie sollen sich eintragen und deutlich machen, mit welchen Interessen sie es tun, in wessen Auftrag und auch mit welchen Mitteln. Wir wollen nicht, dass einzelne Termine zwischen Abgeordneten und Ministerialbeamten mit Lobbyisten dokumentiert werden, das ist nicht der Sinn und Zweck eines Registers aus unserer Sicht.
    Grieß: Was meinen Sie mit welchen Mitteln?
    Dierßen: Wir möchten sehen, wie viel finanzielle Mittel, also wie viel Budget aufgewendet wird allein nur für das Lobbying und wie viel Lobbyisten, also personelle Mittel eingesetzt werden für die Interessenvertretung in Berlin.
    Grieß: Ja, okay, aber dann hat man einen großen Datensatz, da stehen verschiedene Namen drin, Organisationen und auch einige Summen. Was kann ich daraus lesen?
    "Wer warum Einfluss nimmt auf Politik"
    Dierßen: Ich kann zunächst einmal sehen, wer ist überhaupt in Berlin unterwegs, welche Lobbyeinflüsse gibt es. Ich kann mir anschauen – diese Datenbank muss auch entsprechend durchsuchbar sein –, wenn ich eine konkrete Politikentscheidung habe, die da ansteht, kann ich sehen, wer ist denn in diesem Politikfeld überhaupt unterwegs, wer hat da ein Interesse gehabt und möglicherweise auch vorgebracht, und kann mich besser in die öffentliche Diskussion einbringen. Das bringt sehr viel mehr Transparenz, es ermöglicht den Bürgern, sich einzubringen, es ermöglicht auch den Parlamentariern – wie Frau Haßelmann ja sagte – einzuschätzen, mit wem man es zu tun hat.
    Aus dem Bundestag hören wir immer wieder von Abgeordneten, die sagen, ja, ich krieg hier eine Terminanfrage und ich weiß gar nicht, wer dahintersteht. Und das kann in einer Demokratie nicht sein, Politiker müssen auch wissen, mit wem sie es zu tun haben und wer warum Einfluss nimmt auf ihre Politik.
    Grieß: Nun gibt es natürlich in der Tat etliche Interessenverbände und Lobbyisten, die ihre Büros in Berlin unterhalten, da wo eben ein Großteil der Politik spielt, aber das ist hier ja ein föderales Land, die Abgeordneten sind regelmäßig auch in ihren Wahlkreisen. Wie wäre denn festzuhalten, wen sie da so alles treffen?
    Schwellenwerte in Bezug auf die finanziellen Mittel von Lobbyvertretern
    Dierßen: Das ist richtig, dass wir das auch in den Blick nehmen müssen. Die Unternehmen zum Beispiel, die aus dem Wahlkreis heraus Lobbyarbeit machen, die möchten wir in dem Register sehen, denn sie wollen ja ihren Abgeordneten beeinflussen, der in Berlin Politik macht und darüber entscheidet. Es soll allerdings nicht so weit gehen, dass einzelne Bürger, die mit ihrem Abgeordneten sprechen wollen, sich in dieses Register eintragen müssen. Da geht es um Bürgerinteressen, da geht es nicht um Lobbyeinflüsse, da muss es Schwellenwerte geben, dass sichergestellt ist, dass Bürgerinnen und Bürger sich mit ihren Abgeordneten unterhalten können, ohne dass sie gleich in dieses Register sich eintragen müssen.
    Grieß: Also ganz kurz: Der Schützenverein, der eine neue Halle möchte, der bleibt außen vor?
    Dierßen: Möglicherweise. Wir würden gerne Schwellenwerte einführen, sozusagen eine Grenze einführen in Bezug auf die finanziellen Mittel, die da aufgeführt werden, und der Schützenverein fällt da möglicherweise nicht drunter und dann gehört er auch nicht ins Register.
    Grieß: Imke Dierßen von der Organisation Lobbycontrol, es ging um das gestern im Bundestag abgelehnte Lobbyregister. Danke für das Gespräch, Frau Dierßen!
    Dierßen: Danke auch, Herr Grieß!
    Grieß: Einen schönen Tag wünsche ich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.