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Nach der Brexit-Abstimmung
"Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Kanals betroffen"

Die deutsche Wirtschaft rechnet nach der Brexit-Entscheidung mit negativen Folgen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, sagte im Deutschlandfunk, besonders betroffen seien die Branchen Automobile, Chemie, Elektro und Maschinenbau. Er kenne kein einziges deutsches Unternehmen, dass nun einen Vorteil für sich erwarte.

Markus Kerber im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
    Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie. (imago / Jakob Hoff)
    Diese würden sich zudem künftig mit Investitionen in Großbritannien zurückhalten, prognostizierte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Wichtig sei nun, die Austritts-Verhandlungen innerhalb von maximal 2 Jahren zu beenden und zu klären, in welcher Form die Briten zumindest Teil des Binnenmarktes bleiben könnten. Daran hingen schließlich auf beiden Seiten des Kanals Arbeitsplätze, betonte Kerber. Allein auf britischer Seite seien dies etwa 400.000 in Niederlassungen deutscher Unternehmen.
    IFO-Präsident Clemens Fuest wertete das Ergebnis als "Niederlage der Vernunft". Die Politik müsse jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir wollen natürlich auch noch einmal ganz genau wissen, was diese Brexit-Entscheidung jetzt bedeutet für die Wirtschaft, die europäische, aber vor allem auch die deutsche. Am Telefon einer der führenden deutschen Wirtschaftsvertreter, Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer beim Bund der Deutschen Industrie, beim BDI. Schönen guten Morgen, Herr Kerber.
    Markus Kerber: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Armbrüster: Herr Kerber, was haben Sie heute Morgen gedacht, als sich das langsam abgezeichnet hat, die Briten gehen raus?
    Kerber: Ich habe in der Tat die Ereignisse die ganze Nacht über verfolgt, und es zeichnete sich dann in den frühen Morgenstunden ab, was ich als große Enttäuschung bezeichnen möchte. Als ein Ereignis, das wir beim Bundesverband der Deutschen Industrie zutiefst bedauern, weil dieses Resultat ein Alarmsignal an uns Europäer ist, ein Alarmsignal, die EU wirtschaftlich wettbewerbsfähiger, politischer aber attraktiver und effizienter zu machen.
    "Für unseren Export wird es hart werden"
    Armbrüster: Ist die Industrie darauf vorbereitet, auf dieses Europa ohne Großbritannien?
    Kerber: Wir sind vielleicht mental darauf vorbereitet, weil es immer einer von zwei möglichen Ausgängen war. Das hat ja Martin Schulz heute Morgen ebenfalls gesagt. Aber im Moment müssen wir insbesondere auch im Interesse der 400.000 Menschen, die in Großbritannien in den Niederlassungen unserer deutschen Unternehmen arbeiten, überlegen, wie schnell wir die Effekte, die jetzt kommen werden, abpuffern können. Nur ein Beispiel: Das britische Pfund hat über zehn, zeitweise 15 Prozent verloren. Das heißt, für britische Importe, für Importe aus Deutschland nach Großbritannien wird das Leben schwerer, die sind zehn Prozent teurer geworden. Großbritannien hat ein Handelsdefizit mit der EU. Das werden sie natürlich jetzt in Angriff nehmen müssen und das wird für unsere Exportwirtschaft, für die in unterschiedlichen Branchen Großbritannien jeweils der zweite, der dritte oder der viertwichtigste Partner ist, sehr, sehr hart werden.
    Armbrüster: Welche Branchen sind denn da besonders betroffen?
    Kerber: Sie können den Automobilbau nehmen, die Chemie, die Elektroindustrie und den Maschinenbau, um mal vier zu nennen. Bei denen rangiert der Anteil an den Exporten, die Großbritannien als Zielland haben, zwischen fünf und sieben Prozent. Das ist eine erklägliche Zahl.
    Armbrüster: Das heißt, da hängen auch deutlich Arbeitsplätze dran?
    Kerber: Es hängen auf beiden Seiten des Kanals in der Tat Arbeitsplätze daran, und wie ich sagte im sechsstelligen Bereich. Aber es gilt jetzt auch für die politischen Verhandlungen meines Erachtens der Leitspruch oder das Leitmotto der englischen Königin: Keep calm and carry on.
    Armbrüster: Bleiben Sie ruhig und machen Sie weiter! - Gibt es denn eigentlich auch Unternehmen - ich muss das jetzt mal fragen -, die von diesem Brexit profitieren können?
    Kerber: Ich habe bei all den Umfragen, die wir gemacht haben - und wir haben ja in der vergangenen Woche erst eine Umfrage, die wir unter 215 deutschen Unternehmen gemacht haben, veröffentlicht -, ich kenne kein einziges Unternehmen, welches den Brexit für sich als vorteilhaft ansieht und dies uns gegenüber geäußert hat.
    "Unsicherheitszeit wird Investitionen in Großbritannien einschränken"
    Armbrüster: Gut. - Herr Kerber, was ist denn Ihr Ratschlag an die, die jetzt die Verhandlungen führen in Europa mit den Briten, an die EU-Kommission und an die führenden Europapolitiker? Wie sollen diese Verhandlungen vorangehen, dass das alles möglichst glimpflich abläuft für die deutschen Exporte, auch für die deutschen Arbeitsplätze?
    Kerber: Die Verhandlungen müssen schnell begonnen werden. Sie müssen klares Ziel haben, innerhalb von zwei Jahren beendet zu werden, denn wir werden während dieser gesamten Verhandlungsdauer eine große Unsicherheit haben, in der meines Erachtens die deutschen Unternehmen, die europäischen Unternehmen in Großbritannien nicht investieren werden, in der die Handelsbeziehungen erst einmal nicht ausgeweitet werden, und wir brauchen innerhalb dieser Verhandlungen sehr, sehr schnell Klarheit seitens der britischen Partner, welches Modell sie denn anstreben, ob sie einen Status wie Norwegen anstreben, ob sie einen Status wie die Schweiz anstreben, um mit uns weiterhin handeln und produzieren zu können. Dieser britische Weg in den Binnenmarkt ist von enorm großer Bedeutung für uns und je schneller wir dort Klarheit und Sicherheit haben, desto mehr gewinnen die Unternehmen die Daten, die sie brauchen, um ihre Strategien anzupassen.
    Armbrüster: Jetzt ist Schnellheit ja nicht unbedingt gerade eine der Kerntugenden, eine der Kernstärken der Europäischen Union. Wie zuversichtlich sind Sie denn da, dass das tatsächlich in zwei Jahren klappt?
    Kerber: Der wirtschaftliche und politische Druck, der auf beiden Verhandlungspartnern liegt, wird meines Erachtens für die Schnelligkeit sorgen. Die Finanzmärkte - das werden wir heute Morgen schon beobachten können -, insbesondere der Blick der Asiaten und der Nordamerikaner auf die Bewertung Europas wird einen solchen Druck ausüben, dass sich beide Verhandlungspartner dies nicht werden leisten können, hier Verhandlungen zu verzögern oder durch politische Taktierereien zu beschädigen.
    Armbrüster: Jetzt blicken wir mal, Herr Kerber, kurz auf die internationale Wirtschaftspolitik. Was für einen Partner in der EU verliert Deutschland denn mit den Briten?
    Kerber: Wir verlieren einen Partner, der ähnlich wie Deutschland für einen freihandlerischen Angang in der Gestaltung der Globalisierung steht. Wir verlieren mit Großbritannien einen Partner, der eher dem Markt als staatlicher Bürokratie zutraut, die Menschen glücklicher und freier zu machen. Und wir verlieren vor allen Dingen einen Partner, der immer von Optimismus geprägt war. Leider ist den Briten dieser Optimismus in den letzten Jahren verloren gegangen. Sonst hätten wir nicht dieses tragische Ergebnis heute Nacht erlebt.
    Armbrüster: Ist das denn nicht vielleicht ein Trugschluss gewesen, dass die Briten tatsächlich so große Anhänger eines freien Marktes sind? Zeigt nicht dieses Referendum viel mehr, dass nicht nur in Großbritannien, sondern in vielen anderen europäischen Ländern eigentlich diese immer viel gepriesene Errungenschaft des gemeinsamen Marktes, dass die gar nicht so besonders hoch eingeschätzt wird, sondern dass viele Leute das eigentlich eher als ja fast Bedrohung empfinden und als Gängelung?
    Kerber: Nein! Ich bin der festen Meinung, dass hier der Leitspruch gilt, wenn es dem Esel zu wohl geht, geht er aufs Eis. Großbritannien hat ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland in ganz erheblichem Ausmaß von dem Binnenmarkt profitiert, denken Sie nur an die Finanzdienstleistungen, denken Sie an den Dienstleistungssektor, der in und um London entstanden ist, denken Sie beispielsweise an ein Erfolgsmodell im industriellen Bereich wie den Mini in Oxford. Der gar nicht möglich gewesen wäre, wenn die Produktion dieses Autos nicht auf erheblichen Exportzahlen vor allen Dingen in den kontinentaleuropäischen Markt abgestellt hätte. Und so könnte ich Ihnen mannigfaltig Beispiele bringen, die leider Gottes meines Erachtens in den nächsten Monaten belegen werden, dass Großbritannien, auch wenn er demokratisch legitimiert war, einen falschen Weg beschreiten wird.
    "Britische Ökonomie steht vor Stresstest"
    Armbrüster: Sie sprechen jetzt ja für die deutsche Industrie. Vielleicht trotzdem mal ein Blick nach Großbritannien selbst. Welche Folgen erwarten Sie denn da für die dortige Wirtschaft?
    Kerber: Ich erwarte einen relativ schnellen Test der Beständigkeit der britischen Staatsfinanzierung. Ich habe vorher viel über den Devisen- und über den Aktienmarkt gesprochen. Wir werden in den nächsten Monaten sehr schnell sehen, ob die Märkte der britischen Regierung zutrauen, ihr nicht gerade kleines Staatsfinanzierungsdefizit über internationale Märkte auf sich ganz allein gestellt wird refinanzieren können.
    Wir werden weiterhin natürlich die Frage sehen, die viele an Großbritannien stellen, ob sie noch im selben Umfang wie bisher exportieren können auf den größten Zielmarkt, den Großbritannien hat, und das ist nun mal der europäische Binnenmarkt, sodass ich glaube, dass die britische Ökonomie vor schwierigen, schwierigen Stresstests steht.
    Armbrüster: Nicht nur die britische, möglicherweise auch die deutsche - wir sprachen mit Markus Kerber vom Bund der Deutschen Industrie. Vielen Dank, Herr Kerber, für dieses Gespräch heute Morgen.
    Kerber: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.