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Nach Nizza-Attentat
Zweifel an der Sicherheitspolitik in Frankeich

Die nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich sind zwar erst 2017, doch der Wahlkampf beginnt jetzt schon. Die oppositionellen Republikaner benutzen das Nizza-Attentat, um scharfe Angriffe gegen die Sicherheitspolitik der Regierung zu äußern. Zudem werden dem Innenminister Vertuschungsversuche vorgeworfen. Die Regierung kontert: Das Land lebe in Trauer, derzeit sei die aufkommende Polemik unangebracht.

Von Jürgen König | 26.07.2016
    Polizisten stehen an der "Promenade des Anglais" in Nizza.
    Polizisten stehen an der "Promenade des Anglais" in Nizza. (picture-alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Neun Monate sind es noch bis zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich und der Anschlag von Nizza setzte den Beginn des Wahlkampfs. Schon am Wochenende nach dem Attentat kam Polemik auf. Marine Le Pen vom Front National erklärte in einem Communiqué, der Krieg gegen den fundamentalistischen Islamismus habe noch gar nicht begonnen, es sei dringend an der Zeit, diesen Krieg zu erklären. Diese Kriegsrhetorik griff Nicolas Sarkozy umgehend auf. Der Parteichef der Republikaner, der sich als Präsidentschaftskandidat noch nicht erklärt hat, dessen Ambitionen aber unübersehbar sind, warf der Regierung im Fernsehsender TF 1 "völliges Versagen" vor.
    "Man muss endlich verstehen, dass wir in einem Krieg sind, in einem totalen Krieg! Um es ganz klar zu sagen: entweder sie oder wir."
    Angriffe der Oppostion
    Belegen lässt es sich nicht, aber vieles spricht dafür: dass die Republikaner das laut vernehmbare Rufen nach Wiederherstellung von Recht und Ordnung auf gar keinen Fall dem rechtsextremen Front National alleine überlassen wollen. Ein hartes Vorgehen, deutlich schärfere Gesetze werden gefordert, etwa die Einschränkung von Persönlichkeitsrechten aktenkundig bekannter Islamisten. Laurent Wauquiez, Abgeordneter der Republikaner, bei einer Debatte über die Verlängerung des Ausnahmezustandes in der Nationalversammlung, direkt an Premierminister Manuel Valls gerichtet:
    "Ändern Sie das Recht! Das ist genau das, was die Franzosen seit anderthalb Jahren von Ihnen erwarten! Sie reden immer vom Recht, aber wir reden davon, dieses bestehende Recht endlich den Gegebenheiten anzupassen! Der wirkliche Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Sie machen die persönlichen Freiheitsrechte der Terroristen geltend, wir aber sagen: es gibt keine Freiheiten für die Feinde der Republik!"
    Und der Premierminister unmittelbar darauf:
    "Wenn es etwas gibt, Monsieur Wauquiez, was uns voneinander trennt, dann sind es offenbar die fundamental anderen Auffassungen von Demokratie und der Republik! Und ich werde mich, was das angeht, niemals von einem solchen Opportunisten hinreißen lassen!"
    Gegen die Angriffe der Opposition führt die Regierung an, man habe ja doch die bestehenden Gesetze verschärft und im Übrigen alles Menschenmögliche getan, um die Bevölkerung zu schützen. Und holt zum Gegenangriff aus: Das Land lebe in Trauer, unwürdig sei es, so kurz nach einer solchen Schreckenstat derart zu polemisieren.
    Doch die Opposition sieht ihre Chance, wird nicht müde, Umfragen zu zitieren, wonach 70 Prozent der Franzosen kein Vertrauen mehr zu ihrer Regierung haben. Zitiert Zeitungsberichte wie den der "Libération", wonach die "Promenade des Anglais" in Nizza am 14. Juli von nur einem Fahrzeug der städtischen Polizei gesichert wurde. Anders als Innenminister Cazeneuve angegeben hatte, soll die nationale Polizei nicht vertreten gewesen sein.
    Am Wochenende fand sich in der Zeitung "Journal du dimanche" ein Interview mit Sandra Bertin, die in Nizza die polizeiliche Videoüberwachung leitet. Darin berichtet sie, ein Beamter des Innenministeriums habe sie angerufen und unter Druck gesetzt. Sie hätte in ihrem Bericht über die polizeilichen Vorkehrungen am Abend des Attentats hervorheben sollen, dass "an zwei Stellen auch die nationale Polizei zu sehen gewesen sei". Sie berichte aber nur, was sie gesehen hätte, antwortete die Polizistin nach eigenen Angaben, vielleicht sei die nationale Polizei ja dort gewesen, in den Videos aber tauche sie nicht auf.
    Vorwurf des Vertuschungsversuches
    Daraufhin habe der Vertreter des Innenministeriums sie aufgefordert, ihren Bericht "in nicht schreibgeschützter Fassung" zu schicken. Dieses geschah und einige Tage später, so Sandra Bertin gegenüber dem "Journal du Dimanche" – sei eine Aufforderung der Antiterror-Abteilung des Innenministeriums an sie ergangen, die Videoaufnahmen zu löschen: und zwar die Bilder jener sechs Kameras, die den Anschlag filmten. Damit, so habe es vonseiten des Ministeriums geheißen, wolle man verhindern, dass diese Bilder an die Öffentlichkeit gelangen und für dschihadistische Propaganda benutzt werden können.
    Noch am Sonntag reichte Innenminister Bernard Cazeneuve eine Verleumdungsklage gegen Sandra Bertin ein. Die große öffentliche Aufregung gibt es noch nicht, Frankreich macht Ferien. Aber man solle sich nicht täuschen, meinte Francois Bayrou, Parteichef des liberalen Mouvement democrate, im Sender BFM:
    "Das Drama von Nizza wird politisch benutzt, wird schon zum Mittel des Wahlkampfs gemacht. Und das ist für viele Franzosen ein richtiger Schock, es macht sie fassungslos; irgendwie glaube ich, fühlen sie sich jetzt noch mehr bedroht: immerzu und von allem."