Archiv

Nachwahl in Großbritannien
Eine neue Chance für UKIP

Die EU-skeptische Partei UKIP in Großbritannien will heute ihre nächste Chance nutzen. Bei der Nachwahl im Wahlkreis Rochester hofft sie darauf, ein zweites Mandat im britischen Unterhaus zu bekommen. Der Sieg wäre vor allem ein Signal an Premierminister Cameron. Der müsste bei der nächsten regulären Wahl mit Stimmverlusten rechnen.

Von Jochen Spengler |
    Anhänger der UKIP-Partei mit Wahlplakaten.
    Die britische Unabhängigkeitspartei UKIP hofft bei der Nachwahl auf einen weiteren Sieg. (dpa / Andy Rain)
    13 Kandidaten für einen Unterhaus-Sitz. Und natürlich tritt auch bei dieser Nachwahl in Kent ein spleeniger, aussichtsloser Bewerber der Partei der Rasenden Verrückten Ungeheuer an, der Monster Raving Looney Party. Es handelt sich um den haarigen Hairy Knorm Davidson mit weißem Rauschebart und eingängiger Botschaft:
    "Warum missmutig sein, genießt Euer Leben, habt Spaß, es ist einfach!"
    Doch wenn man den Umfragen glaubt, dann dürfte vor allem Premierminister David Cameron an dieser Nachwahl überhaupt keinen Spaß haben. Denn es gilt als wahrscheinlich, dass die Konservativen ihren Sitz an die EU-Austrittspartei UKIP verlieren – jene Rechtspopulisten, über die Cameron vor einigen Jahren noch gespottet hatte, die sei doch ein Haufen Spinner, Irrer und heimlicher Rassisten.
    "UKIP – that is a sort of bunch of fruitcakes and looneys and closet racists."
    Doch Cameron hat den Aufstieg der EU-Feinde selbst mit zu verantworten. Eigentlich war der Premierminister vor vier Jahren angetreten mit der Absicht, das Thema Europa weitgehend zu umschiffen, das seine Partei schon seit Jahrzehnten spaltet und Vorgänger wie Margaret Thatcher und John Major das Amt gekostet hat. Doch das ist Cameron nicht gelungen. Von Anfang an setzte ihn eine EU-skeptische Minderheit eigener Hinterbänkler unter Druck.
    UKIP als Protest-Sammelbecken
    Ob er jetzt endlich auf konservative Parteifreunde höre und die Gelegenheit nutze, eine Volksabstimmung über die EU anzuberaumen, lautete eine Frage im Parlament im September 2011. Die klare Antwort Camerons:
    "Ich möchte, dass wir in Europa einflussreich bleiben bei den Themen, die in unserem nationalen Interesse liegen.... Ich sehe nicht die Notwendigkeit eines Rein oder Raus-Referendums. Wir sind in Europa und sollten dafür sorgen, dass es für uns funktioniert."
    Nur ein Jahr später fiel Cameron um und versprach ein Referendum für 2017. Doch jedes Zugeständnis an die EU-Skeptiker erhöhte nur deren Appetit, nicht aber die Attraktivität der Konservativen Partei. Tatsächlich macht die ständige Nörgelei an der EU und der Flirt mit dem Austritt die Anti-EU-Propaganda der Unabhängigkeitspartei glaubwürdiger. Zumal es UKIP versteht, sich als Protest-Sammelbecken zu profilieren für alle Unzufriedenen, die der etablierten Politik endlich einen Denkzettel verpassen wollen.
    "Mir scheint die Politik und die Richtung von UKIP zutiefst unbritisch zu sein. In jeder Hinsicht. Die sind gegen alles. Gegen Politik, gegen Ausländer, gegen Einwanderer – ich weiß nicht, wofür sie sind. Wir wissen nur wogegen sie sind."
    ...analysiert der konservative Ex-Premier John Major. Doch UKIP hat es geschickt verstanden, ihre Anti-EU-Propaganda mit einem Problem zu verknüpfen, das vielen Briten tatsächlich auf den Nägeln brennt: der Einwanderung.

    Porträt von Mark Reckless
    Der UKIP-Kandidat Mark Reckless könnte der zweite Abgeordnete der Partei im britischen Parlament werden. (picture alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga)
    UKIP setzt die Themen
    Stimmen aus dem Wahlbezirk Rochester and Strood:
    "Ich glaube, dass die meisten stört, dass die Immigranten sich in ihren eigenen Gemeinschaften abschotten, so dass sich die Anwohner in der Minderheit fühlen."
    "Wir Engländer wollen einen fairen Anteil von Einwanderung. Die ist aus den Fugen."
    Solange Europa Großbritannien bei seinem akuten Problem nicht helfen will, werden die Vorbehalte gegen die EU weiter wachsen und das Argument von UKIP schlüssig erscheinen, dass man nur außerhalb der EU das Einwandererproblem in den Griff bekommen und wieder Kontrolle über die eigenen Grenzen gewinnen werde. UKIP setzt die Themen, überzeugt Wähler der Konservativen und auch der Labourpartei und hat im Mai die Europawahl gewonnen. Danach lief der erste Tory-Abgeordnete zu UKIP über, wenig später der Zweite. Der heißt Mark Reckless. Es ist jener Parlamentarier, der vor drei Jahren im Parlament Cameron die Referendumsfrage gestellt hat.
    Heute wird Reckless voraussichtlich die Nachwahl gewinnen und damit der zweite Unterhausabgeordnete für UKIP. Das allein bringt Cameron nicht um den Schlaf; wohl aber, dass ein überzeugender UKIP-Sieg weitere konservative Abgeordnete verleiten könnte, die Seiten zu wechseln, weil sie sich als UKIP-Kandidaten bessere Chancen auf die Wiederwahl im kommenden Mai ausrechnen – darauf wies Labour-Chef Ed Miliband gestern genüßlich hin:
    "Two of the People behind him have jumped ship and the others are waiting for the result to see if they should follow."
    Und das wäre für David Cameron ein rechter Albtraum, da seine Chance auf Wiederwahl als Premier arg dezimiert würde.