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Naher Osten
"Wir machen uns unsere Feinde selbst"

Al Kaida, Taliban, Islamischer Staat: Der Erfolg der einflussreichsten Terrorgruppen der vergangenen zehn Jahre ist unter anderem das Ergebnis einer falschen Politik des Westens, meint der Politikwissenschaftler Michael Lüders. Westlich Akteure hätten im Nahen Osten nichts aus ihren Fehlern gelernt, sagte Lüders im DLF.

Monika Dittrich im Gespräch mit Michael Lüders |
    Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz
    Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz (afp)
    Nachhören können Sie das Gespräch hier.
    Monika Dittrich: Herr Lüders, sind wir im Westen also selbst schuld, wenn wir jetzt den Sturm ernten, beispielsweise in Form von Terroranschlägen?
    Michael Lüders: Zum Teil ist das in der Tat so. Es wäre natürlich zu einfach zu sagen, dass alleine westliche Politik verantwortlich wäre für das Desaster, das sich im Nahen Osten immer mehr abzeichnet. Es ist natürlich auch die Unfähigkeit der jeweiligen Herrscher in der arabisch-islamischen Welt, die über Jahrzehnte nichts geleistet haben, ihre Gesellschaften zu entwickeln. Das Ergebnis ist Chaos und Staatsverfall und Anarchie. Also die arabischen Herrscher haben auch ihre Verantwortung zu tragen. Aber wenn man die Geschichte sich anguckt, dann muss man sagen, dass seit der Unabhängigkeit der arabisch-islamischen Welt nach dem Ersten Weltkrieg westliche Militärintervention oder Putsche immer wieder dazu geführt haben, dass Situationen entstanden sind, die im Grunde genommen sehr ungünstige Entwicklungen eingeleitet haben. Ohne den Putsch gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Irans, Mossadegh, im Jahr 1953, wäre es niemals zur islamischen Revolution 1979 gekommen. Also ich sag mal, es gibt den Fluch der bösen Tat, man macht etwas, Mossadegh musste weg aus westlicher Sicht, weil er die Erdölindustrie verstaatlicht hatte, aber die Antwort kam 26 Jahre später in Form der islamischen Revolution.
    Dittrich: Sie bezeichnen das ja auch als Sündenfall der westlichen Politik. Was würden Sie sagen, waren die allergrößten Fehler, die in der Folge gemacht worden sind?
    Michael Lüders: Ich würde denken, der größte Fehler ist, und der setzt sich fort bis in die Gegenwart, die fehlende Bereitschaft, westlicher Akteure, allen voran der Vereinigten Staaten, aus den Fehlern, die man einmal gemacht hat, zu lernen. Ich will das mal an einem Beispiel deutlich machen. Die Amerikaner haben in den 1980er-Jahren die Mudschahedin, die Glaubenskämpfer in Afghanistan bewaffnet und finanziert im Kampf gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans. Man mag sagen, das ist ja durchaus eine vernünftige Handlung gewesen aus Sicht der Amerikaner, aber das Ergebnis war, dass, nachdem die UdSSR sich zurückgezogen hatte aus Afghanistan, aus diesen Mudschahedin dann gewalttätige Islamisten wurden, aus denen dann Al Kaida erwuchs und eben auch die Taliban. Und eigentlich sollte das ja eine Lektion sein, aus der man lernen kann. Hat man aber nicht getan, wenn wir uns fragen, warum der Islamische Staat, der uns heute alle umtreibt, so einflussreich geworden ist, dann muss man sagen, es ist dies das Ergebnis des Einmarsches in den Irak in 2003, mit dem Ziel, Saddam Hussein zu stürzen. Ein Diktator, dem man zwar keine Träne nachweinen muss. Aber da die Amerikaner keinen Plan hatten für den Tag danach, gab es dann Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Religionsgruppen, Sunniten und Schiiten, die sich bis heute fortsetzen, und die Sunniten, die von der Macht verdrängt worden sind durch die Amerikaner, die rächen sich, indem sie Widerstand leisten, zunächst gegen die Amerikaner. Aus diesem Widerstand sind dann radikale Islamisten erwachsen, Al Kaida, aber auch der Islamische Staat. Und dies ist eben das Ergebnis einer, wie ich meine, sehr kurzsichtigen, westlichen Politik. Wir schaffen uns also unsere Feinde zu einem erheblichen Teil auch selbst.
    Deutsche Politik sollte Israel kritisieren können
    Dittrich: Nun haben wir es mit Ländern zu tun, in denen wir eine religiöse Fanatisierung erleben, Gewalt, die Menschenrechte bedeuten wenig. Warum sind diese Länder so, wie sie sind?
    Lüders: Ja die Frage ist sehr berechtigt. Warum eigentlich ist die Lage in der arabisch-islamischen Welt so katastrophal, wie sie es nun einmal ist. Man muss sich vor Augen führen, dass die arabischen Länder nicht aufgebaut sind wie die europäischen Länder. Sie leben in einer blockierten Entwicklung, in einem Übergang von einer feudalstaatlichen Ära hin zur Moderne, hin zu einer Industrialisierung. Und diese Länder hängen irgendwo dazwischen. Sie sind gleichzeitig heimgesucht von politisch unfähigen Eliten, die sich allein um den eigenen Machterhalt kümmern. Und als Ergebnis dieser blockierten Entwicklung kam es, insbesondere im Zusammenhang mit der arabischen Revolte zu Kriegen, zu Bürgerkriegen, zu Putschen, zu Gegenputschen. Wir sehen in Syrien, wie der dortige Herrscher Baschar al-Assad um jeden Preis versucht, seine Macht zu verteidigen, und sei es um die Zerstörung des gesamten Landes. Die Länder des Nahen Ostens, insbesondere die arabischen Länder des Nahen Ostens, sind sehr stark geprägt von Clan-und Stammesstrukturen. Und wenn hier der Zentralstaat als das Dach, das diese Länder zusammenhält zerstört ist, dann beginnt die Herrschaft der Milizen. Und es setzen sich dabei nicht diejenigen durch, die über aufgeklärte, oder humanistische Ideale verfügen, sondern diejenige, die mit der allergrößten Brutalität und mit den entsprechenden Ressourcen in Sachen Waffen und Geld in der Lage sind, sich bestimmte Gebiete untertan zu machen. Und im Moment ist eben die erfolgreichste dieser Gruppierungen der Islamische Staat.
    Dittrich: Lassen wir uns über Israel sprechen. Ein wichtiges Thema in Ihrem Buch. Sie sprechen von einer Nibelungentreue Deutschlands gegenüber Israel, von einer einseitigen Parteinahme für Israel. Was kritisieren Sie konkret an der deutschen Israelpolitik und wie kann man sich eine Politik vorstellen in dem Land, das den Holocaust zu verantworten hat gegenüber Israel?
    Lüders: Ich glaube, dass es in der Tat besondere Beziehungen gibt zwischen Deutschland und Israel aufgrund der jüngeren deutschen Geschichte. Das sollte deutsche Politiker und auch die Öffentlichkeit allerdings nicht blind machen gegenüber dem Unrecht, dass von Israel begangen wird. Die Lage der Menschen im Gazastreifen ist verheerend, ist eine Katastrophe. Als Ergebnis des Krieges im vergangenen Sommer sind immer noch über 100.000 Menschen obdachlos. Der Gazastreifen ist ein riesiges Gefängnis. Menschen dort verhungern, erfrieren, kommen um. Es ist eine unerträgliche Situation. Aber der Gazastreifen ist von der westlichen Politik komplett vergessen worden. Ich plädiere dafür, dass wir gegenüber Israel, unserem Freund, nach wie vor freundschaftliche Beziehungen pflegen, selbstverständlich. Aber ich bin der Meinung, dass man einen Freund da kritisieren sollte, wo er Kritik verdient, nämlich immer dann, wenn er gegen die Norm internationalen Rechtes verstößt. Es ist nicht akzeptabel, dass Israel seit Jahrzehnten die völkerrechtswidrige Aneignung palästinensischen Landes im Westjordanland betreibt, ohne dass deutsche oder westliche Politik aber auch nur Anzeichen erkennen lässt, diese Politik durch entsprechenden Druck unterbinden zu wollen.
    Michael Lüders: "Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet". 175 Seiten, C.H. Beck Verlag, 14,95 Euro.