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Nahles: Stabilisierung der Löhne beeinflusst das Rentenniveau positiv

Wenn die SPD an die eigene Arbeitsmarktreform glaubt, dann wird es möglich sein – ohne Änderung der Rentenformel – das Rentenniveau zu halten, sagt Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin. Jeder Mindestlohn verhindere, dass man den Menschen später Soli-Rente oder Aufstockungen von Renten zahlen müssten.

Andrea Nahles im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Auf einem kleinen Parteitag will die SPD heute ihren so langen Streit um die Rente endlich beilegen. Abgesegnet werden soll rechtzeitig vor der Bundestagswahl ein Kompromiss, den Kritiker allerdings eine Rolle rückwärts nennen. Denn was jetzt infrage gestellt wird, sowohl die Rente mit 67 als auch die Rentenformel, wonach das Rentenniveau bis 2020 auf 46 Prozent eines Durchschnittslohns sinken kann, das hat die SPD einst mit beschlossen, als sie noch in der Regierung war. Am Telefon ist Andrea Nahles, die Generalsekretärin der SPD – schönen guten Morgen, Frau Nahles!

    Andrea Nahles: Schönen guten Morgen!

    Zagatta: Frau Nahles, kann man eine solche Rolle rückwärts machen, wenn – das werden Sie ja so sehen – wenn sie in die richtige Richtung geht?

    Nahles: Aus meiner Sicht ist es keine Rolle rückwärts, sondern das ist die Auseinandersetzung damit, wie die Lebensrealitäten der Menschen sind, insbesondere älterer Arbeitnehmer, die möglicherweise erkrankt sind, erwerbsgemindert sind, oder auch nach Berufsgruppen gucken wir, die besonders belastet sind und deswegen eben das Rentenalter 67, woran wir prinzipiell festhalten, nicht erreichen können.

    Zagatta: Aber da gibt es die Festlegung jetzt von Ihnen, dass man keine Abstriche macht, wenn man 45 Jahre Beiträge gezahlt hat. Das werden auch nicht allzu viele erreichen.

    Nahles: 45 Versicherungsjahre, das erreichen immerhin über ein Drittel der Rentnerinnen und Rentner durchaus auch noch in den nächsten 20 Jahren. Das ist eine Gruppe von Menschen, die besonders früh ins Erwerbsleben eingetreten ist – manche, wie mein Vater, mit 15 Jahren – und die auch körperlich belastende und psychisch belastende Berufe machen. Und von daher ist das eine ganz große Gruppe eigentlich. Und es kommt hinzu, dass wir auch etwas verbessern wollen für die Erwerbsgeminderten. Das sind Menschen, das sind teilweise auch 40-Jährige, die erkrankt sind und die jetzt wirklich in der Armutsfalle stecken. Deswegen sagen wir auch bei denen, dass sie abschlagsfrei in Rente gehen können.

    Zagatta: Frau Nahles, was umstritten ist, das ist ja vor allem das Rentenniveau oder die Rentenformel, also die geltende Gesetzeslage. Da sagt jetzt der Berliner Landesverband der SPD, diese Rentenformel wird mit dem Kompromiss, den Sie da heute beschließen wollen, damit wird diese Rentenformel geändert. Peer Steinbrück dagegen betont, wenn ich ihn richtig wiedergebe, die Rentenformel wird nicht geändert. Was gilt denn jetzt?

    Nahles: Nun, das ist richtig, was Peer Steinbrück sagt. Wenn wir an unserer eigenen Arbeitsmarktreform glauben, dann wird es möglich sein, ohne Änderung der Rentenformel tatsächlich auch dieses Rentenniveau zu halten. Woran liegt das?

    Zagatta: Das liegt daran, dass Sie optimistisch sind.

    Nahles: Nein, das hängt da dran, dass man Arbeitsmarktreform und Rentenreform zusammen denkt. Wenn wir die Erwerbsarmut bekämpfen, die Niedriglohnsektoren, die wir haben, die sind so breit geworden, da sagen wir, wir müssen da ran, wir müssen Mindestlohn schaffen, wir müssen auch bei der Leiharbeit Missbrauch eindämmen, wir müssen die Tarifautonomie stärken. Dann führt das dazu, dass wir im Jahr – wir reden ja immer über die Jahre 2020 oder 2030 … Jeder Mindestlohn verhindert, dass wir nachher Soli-Rente oder Aufstockung der Rente bezahlen müssen, und jeder Mindestlohn und alles, was wir tun zur Stabilisierung der Löhne, wird auch am Ende das Rentenniveau positiv beeinflussen. Also muss man da schon das, was wir politisch wollen, auch zusammen denken. Und da hat Peer Steinbrück recht, das geht, das ist keine Glaubensfrage, sondern ist eine Frage, ob wir wirklich ernst machen ab 2013 mit unserer Arbeitsmarktpolitik.

    Zagatta: Geht aber trotzdem auch nur auf, wenn die Konjunktur weiterhin gut läuft, und danach sieht es ja im Moment nicht aus.

    Nahles: Nun, der Geschäftsklimaindex ist jetzt wieder angehoben worden, ich gebe jetzt mal keine apokalyptischen Szenarien, wir reden auch nicht über Zweijahresschritte, sondern wir reden hier über Perioden von 15 Jahren. Und da ist natürlich im Durchschnitt gesehen, wie sich das entwickelt – und da können Sie fest davon ausgehen, dass das Lohnniveau in den nächsten 15 bis 20 Jahren steigt. Und wenn das Lohnniveau steigt, steigen eben auch die Renten. Wenn wir was für die Löhne tun, steigen immer auch die Chancen, dass wir im Transfer nachher eben – heute haben wir ja auch schon eine Grundrente, eine Grundsicherungsrente – weniger tun müssen. Da ist insbesondere in Ostdeutschland ein absehbares Problem, aber nicht nur in Ostdeutschland, es trifft auch sehr viele Frauen. Und deswegen sagen wir, müssen wir an der Stelle auch wirklich diese Arbeitsmarktreformen prioritär anpacken, wenn wir in die Regierung kommen.

    Zagatta: Frau Nahles, Ihr designierter Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der hat ja als Finanzminister dieser alten Regelung, der Rente mit 67 zugestimmt, Frank-Walter Steinmeier der immer noch gültigen Rentenformel. Ist da der SPD heute peinlich?

    Nahles: Nein, aber man darf sich auch selber auf den Prüfstand stellen und gucken, wie die Gesetze, die man gemacht hat, wirken.

    Zagatta: Und da wird man auch nicht unglaubwürdig, wenn man von seiner eigenen Politik derart abrückt?

    Nahles: Ich möchte noch mal betonen, wir halten an den Zielen der Reformen fest, und wir sind auch, wir wollen auch nicht die Rentenformel ändern, um das Mal klipp und klar zu sagen. Wir sagen aber, dass wir gucken, dass die Menschen mit der jetzigen starren Regelung, die wir gefunden haben, einzelne Berufsgruppen, einzelne Menschen, die krank werden, insbesondere auch Frauen, die Armutsrenten zu erwarten haben, dass die damit nicht gut klarkommen. Und dann zu sagen, he, da halten wir jetzt die Augen und Ohren zu, weil wir irgendwann mal gesagt haben, so sieht das Gesetz aus, das ist unsouverän. Ich finde es souverän, wenn wir sagen, wir korrigieren da, wo es nötig ist. Und das tun wir – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    Zagatta: Wenn Sie jetzt von Armutsrenten reden, wenn wir über Renten von 850 Euro auch reden und die SPD ja die Partei des kleinen Mannes ist oder sein will, wie kommt es denn aus Ihrer Sicht da an, dass Ihr Kanzlerkandidat da bis zu 25.000 Euro verdient mit Vorträgen? Ist das ein Problem oder nicht?

    Nahles: Also ich habe den Eindruck, dass das in der SPD überhaupt nicht vermischt worden ist mit den Fragen, wie wir uns politisch aufstellen. Peer Steinbrück hat dazu auch ganz klar alles gesagt, was nötig ist, das Geld ist mittlerweile auch gespendet. Ich denke, ich hab den Eindruck, dass es darauf ankommt, was man nachher für die Mehrheit der Menschen macht. Ob man das, was man einnimmt, auch ordentlich versteuert, dass man eben sich anständig am Ende verhält, auch wenn man viel Geld hat. Und das ist der entscheidende Punkt. Man muss ja nicht arm sein, um Sozi zu sein, mit Verlaub, sondern man muss versuchen, dass es ein gerechtes und faires System gibt, bei der Rente, bei den Steuern, und dafür steht nun Peer Steinbrück glaubwürdig ein.

    Zagatta: Ja, und er steht ja auch jetzt ein für eine, was Sie jetzt anständig nennen, er hat ja seine Einkünfte da offengelegt, weitaus transparenter als andere, aber auf der anderen Seite überschattet diese Debatte doch alles, was er macht. Also man muss doch nur in die Zeitung blicken, das überschattet doch alles – ist das da doch irgendwie ein Fehlstart in den Wahlkampf?

    Nahles: Also wir haben einen Parteitag, wo wir ihn nominieren, und ich sag mal, es ist jetzt so gelaufen, wie es gelaufen ist, Punkt. Da hilft es nix, jetzt noch mal alles aufzurühren. Ich hab den Eindruck, dass das in der Partei als absolut handhabbar und auch nicht negativ ihm ausgelegt wird. Die Unterstützung für ihn ist extrem gut weiterhin, und wir sehen, dass wir im nächsten Jahr die Wahlen haben und dass wir bis dahin noch eine Menge wichtiger Etappen vor uns haben. Die nächste Etappe ist der Parteitag am 9. Dezember, dann haben wir die niedersächsische Landtagswahl, da wird Peer Steinbrück sich einbringen. Die Stimmung in der SPD ist absolut gut, und wir gucken nach vorn, und wir haben vor allem eins: Wir wissen, dass wir eine Chance haben, gerade mit Peer Steinbrück, weil er der richtige Kandidat jetzt auch in dieser Zeit ist.

    Zagatta: Wenn die Stimmung bei Ihnen so gut ist, wie erklären Sie sich dann, dass in allen Umfragen Angela Merkel weitaus beliebter ist als Peer Steinbrück?

    Nahles: Peer Steinbrück ist einer der Top-Leute in den Umfragen, und ich denke, dass es auch nicht darum geht, jetzt einen Showdown zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück zu organisieren. In Deutschland haben wir ein anderes System als in den USA oder in Frankreich, hier müssen Parteien mit ihrem Spitzenkandidaten überzeugen, hier müssen am Ende Koalitionen zustande kommen, die einen Kanzler wählen können im Parlament. Und da hat doch Frau Merkel ein viel größeres Problem als die SPD. Frau Merkel hat doch gar keinen Koalitionspartner mehr, egal ob sie in den Umfragen ein bisschen weiter vorne liegt oder nicht – das ist nicht der entscheidende Punkt. Das sehe ich nicht als das Hauptproblem an. Wichtig ist, dass die SPD geschlossen bleibt, dass sie Fahrt aufnimmt, jetzt auch vor der Landtagswahl in Niedersachsen, und vor allem, dass wir Alternativen klarmachen und dann auch für Rot-Grün kämpfen. Frau Merkel kann nicht darauf setzen, dass die FDP stark genug wird, um als Koalitionspartner überhaupt noch zu funktionieren.

    Zagatta: Andrea Nahles, die Generalsekretärin der SPD, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Nahles, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Nahles: Ja, vielen Dank, tschüss!


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