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Nahost-Experte: Geld kann Probleme im Libanon nicht lösen

Der Nahost-Experte Michael Lüders warnt vor andauernder Gewalt im Libanon. "Die Lage ist außerordentlich gespannt", sagte er. Das prowestliche und das prosysrische Lager stünden sich unversöhnlich gegenüber. Zudem sei die Einwirkung aus dem Ausland sehr groß.

Moderation: Alexandra Gerlach |
    Alexandra Gerlach: In Paris tagen seit diesem Morgen Vertreter von rund 50 Ländern und internationalen Organisationen. Sie beraten über Milliarden-Hilfen für den Libanon. Knapp ein halbes Jahr nach dem Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz steht die libanesische Regierung Siniora unter erheblichem Druck. Die prosyrische Opposition um die radikale Hisbollah und den christlichen Parteiführer Michel Aoun drängen Regierungschef Siniora zum Rücktritt. Das Geld aus der internationalen Gemeinschaft soll nun zur Stabilität beitragen.

    Wir bleiben beim Thema. Was braucht der Libanon wirklich, um wieder zur Ruhe zu kommen? Das möchte ich jetzt den Nahost-Experten Michael Lüders fragen. Er ist aus Berlin zugeschaltet. Guten Tag, Herr Lüders!

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Frau Gerlach!

    Gerlach: Herr Lüders, ist das mit dem Geld der richtige Ansatz, um den Libanon zu befrieden?

    Lüders: Es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Geld allein kann die Probleme des Libanon nicht lösen, aber der Libanon hat natürlich sehr, sehr schwer gelitten im Krieg im vorigen Sommer, gelitten auch darunter, dass der Libanon in einer sehr paradoxen Situation ist. Es ist das am meisten prowestlich, europäisch orientierte Land in der arabischen Welt. Und gleichwohl fühlte er sich während des Krieges im vorigen Jahr vom Westen weitgehend verlassen. Jetzt ist diese Konferenz in Paris sicherlich auch, so sehen es viele Libanesen, eine Geste der Wiedergutmachung.

    Gerlach: Die Bilder der letzten Wochen und Tage zeigten ja zum einen die Belagerung des Regierungssitzes, dann die Auswirkungen eines Generalstreiks und schließlich brennende Barrikaden in den Straßen von Beirut. Wie ernst ist die Lage im Libanon?

    Lüders: Die Lage ist sehr ernst. Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass in naher Zukunft eine Wiederaufnahme des Bürgerkrieges im Libanon auf dem Programm stünde. Dafür ist die traumatische Erinnerung an den Bürgerkrieg, der 1990 zu Ende ging, noch zu groß. Aber die Lage ist außerordentlich gespannt. Es stehen sich zwei Lager gegenüber: auf der einen Seite ein prosyrisches Lager, das von der Hisbollah angeführt wird, und dieses prosyrische Lager will die prowestliche Regierung unter Fuad Siniora beseitigen. Die Regierung selbst wird vor allem von den Sunniten und von einem Großteil der Drusen und der Christen unterstützt. Und beide Lager sind in etwa gleich stark. Kein Lager kann das andere über den Tisch ziehen oder marginalisieren. Das macht die Lage so prekär. Und natürlich ist der Libanon ein kleines und schwaches Land. Es gibt sehr viele Akteure von außen, die auf den Libanon einwirken. Dazu zählen vor allem Israel und Syrien, die beide den Libanon immer wieder in den Würgegriff genommen haben.

    Gerlach: Bleiben wir mal bei Syrien. Jetzt fordert Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen Dialog mit Syrien, damit das Land zur Lösung der Konflikte in der Nahostregion beitragen kann. Ist das ein realistischer Ansatz? Da müsste ja auch Israel mit an den Tisch.

    Lüders: Es ist mit Sicherheit ein sehr vernünftiger Ansatz, denn auch wenn es wenig Gründe gibt, das Regime in Syrien zu mögen, so ist doch Syrien, und auch Iran, beides sind wichtige Akteure im Nahen und im Mittleren Osten. Syrien versteht sich traditionell als Schutzmacht des Libanon und war ja auch jahrzehntelang Besatzungsmacht in diesem westlichen Nachbarstaat. Man kommt um Syrien nicht herum. Syrien könnte theoretisch eine durchaus konstruktive Rolle im Nahen Osten spielen, im Libanon, auch im Irak. Aber dafür will die Regierung in Damaskus natürlich eine Gegenleistung erhalten, insbesondere die Rückgabe der von Israel 1967 besetzten Golan-Höhen. Es ist interessant, dass Israel und Syrien selbst ja immer wieder darüber auch durchaus erfolgreich verhandelt haben. Die israelische Zeitung "Ha'aretz" berichtete vor zwei Wochen, man sei sich in dieser Frage quasi handelseinig geworden. Aber es war nach diesen Informationen von "Ha'aretz" die Regierung in Washington, die diese Wiederannäherung zwischen Israel und Syrien nicht wollte.

    Gerlach: Trotzdem noch mal nachgefragt: In Israel ist man ja insgesamt nicht sehr gut auf Syrien zu sprechen. Also noch mal gefragt: Hätte das überhaupt eine Mehrheit im Land?

    Lüders: Es wäre gegenwärtig politisch nicht durchzusetzen. Es gibt Umfragen in Israel, aus denen hervorgeht, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung eine Rückgabe der Golan-Höhen an die Syrer ablehnen. Es ist also doch noch ein politischer Prozess vonnöten auf beiden Seiten der Waffenstillstandslinie. Aber wenn man die Dinge von außen analytisch betrachtet, muss man sagen, ohne eine Rückgabe der Golan-Höhen wird es einen Frieden nicht geben. Und es ist ja das Paradoxe im Nahen und Mittleren Osten, dass wirklich alle Probleme mittelbar oder unmittelbar untereinander verbunden sind wie in einem System miteinander kommunizierende Röhren. Probleme an der einen Seite kann man nicht einseitig lösen, ohne auch gleichzeitig das große Ganze zu betrachten. Dazu gehört natürlich insbesondere der Nahost-Konflikt, die Spannungen zwischen Israel und den Nachbarn.

    Gerlach: Das wissen ja auch die USA. Warum haben die Ihrer Meinung nach interveniert?

    Lüders: Die USA haben das Problem, mit der Regierung Bush einen sehr starken ideologisch geprägten Kurs zu fahren. Syrien und auch Iran sind nach Auffassung der dortigen Regierung verantwortlich für das Desaster im Irak. Und man ist offenbar nicht gewillt, zu einem pragmatischen Kurs zu finden, der diese beiden Akteure Syrien und Iran einbezieht in den Friedensprozess, in den Versuch, die Lage vor allem auch im Irak zu befrieden. Die Ideologie ist gegenwärtig noch stärker ausgeprägt als ein realistischer, pragmatischer, politischer Sinn.

    Gerlach: Der Nahost-Experte Michael Lüders. Herzlichen Dank für das Gespräch.