Archiv

Nahost-Konflikt
"Lage hat sich zugunsten eines Palästinenser-Staates entwickelt"

Seit Dienstag gilt ein unbefristeter Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas. Derzeit herrsche eine Entwicklung zugunsten eines palästinensischen Staates vor, sagte Abdallah Frangi, Gouverneur von Gaza, im DLF. Für die Gründung eines eigenen Staates gebe es inzwischen internationale Unterstützung.

Abdallah Frangi im Gespräch mit Peter Kapern |
    Kinder in Gaza mit der palästinensischen Flagge
    Die Menschen in Gaza sehen sich nach Frieden, betonte der Gouverneur von Gaza, Abdallah Frangi, im DLF. (afp / Mahmud Hams)
    Die Mehrheit im UN-Sicherheitsrat würde einen eigenen Palästinenser-Staat unterstützen, darunter seien die EU, die USA, die arabischen Staaten, Ägypten. Auch viele Israelis würden glauben, dass es keinen Frieden gebe ohne eine Zwei-Staaten-Lösung.
    Für Palästinenser müsse die Möglichkeit bestehen, in einem eigenen Staat zu leben, der lebensfähig sei. "Die Menschen sehnen sich nach Frieden", sie hätten gelitten, sagte Frangi. Die Menschen wollten eine Chance auf einen eigenen Staat, in dem sie normal ein- und ausreisen könnten.

    Hier das vollständige Interview mit Abdallah Frangi:
    Peter Kapern: Versuchen wir also, den siebenwöchigen Krieg in Zahlen zu fassen. 2.139 Menschen sind im Gazastreifen getötet worden, darunter mehr als 490 Kinder. Auf israelischer Seite starben 70 Menschen, darunter sechs Zivilisten. 540.000 Flüchtlinge auf palästinensischer Seite hat der Krieg produziert, viele tausend Wohnungen und Häuser sind zerstört worden. Aber immerhin: Seit gut 37 Stunden gibt es eine Feuerpause. Und nun? Wie geht es weiter? Wiederaufbau und wieder Krieg, oder öffnet sich ein Fenster für eine echte Verständigung? – Das soll uns Abdallah Frangi erklären. Er ist außenpolitischer Berater von Palästinenserpräsident Mahmut Abbas und kürzlich zum Gouverneur von Gaza ernannt worden. Guten Morgen nach Gaza. Guten Morgen, Herr Frangi!
    Abdallah Frangi: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Frangi, wir haben das gerade gehört, wie sich da ein Hamas-Sprecher zum Sieger des Krieges erklärt hat, die Hamas zum Sieger dieses Konflikts erklärt hat. Sehen Sie das genauso?
    Frangi: Im Grunde genommen, wenn man genauer betrachtet die Ziele von Netanjahu und seiner Regierung, dann hat Hamas Recht, dass sie jetzt überlebt haben und dass sie stark aus dieser Konfrontation rausgekommen sind. Aber für mich ist auch wichtiger, darauf einzugehen, dass man jetzt die Chance hat wirklich für einen Frieden für längere Zeit und dass man die Chance hat, jetzt mehr auf Frieden einzusetzen als bis dahin.
    Kapern: Was muss man tun, um diese Chance wahrzunehmen?
    Frangi: Da muss man den Palästinensern die Möglichkeit geben, dass sie so frei leben können wie die anderen Menschen, dass sie ihren eigenen Staat gründen und dass dieser Staat lebensfähig ist und dass dieser Staat, der Gazastreifen und die Westbank, in den Grenzen von 1967 lebensfähig sein muss. Das heißt, wir sind dann als Staat Nachbarn von Israel und wir benehmen uns demnächst in Zukunft als Nachbarn. Das heißt, dass wir verhandeln, statt aufeinander zu schießen, dass wir die Chance geben, dass jeder sich entwickeln kann, dass man dem Aufbau sich widmet und dass man jetzt alles tut, damit die Menschen die Chance haben können in den palästinensischen Gebieten, dass sie ihre Grenzen, ihren Staat, ihre Häuser so gestalten können, ohne die Angst zu haben, dass sie wieder zerstört werden könnten, dass sie wieder angegriffen werden könnten und dass man wieder zur Waffe greifen muss.
    Kapern: Aber, Herr Frangi, alles was da in Kairo vereinbart worden ist, das läuft darauf hinaus, dass in einem Monat Gespräche beginnen sollen über eine teilweise Lockerung der Blockade des Gazastreifens. Das ist weit entfernt von der Lösung des Nahost-Konflikts, die Sie gerade skizziert haben, mit einer Zwei-Staaten-Lösung. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass sich da jetzt ein Fenster öffnet tatsächlich für eine umfassende Friedenslösung?
    Frangi: Ja, weil nach dieser, sagen wir, 50-tägigen Konfrontation hat sich die Entwicklung zugunsten des Palästinenser-Staates entwickelt. Denn die andere Alternative wäre jetzt, dass man so wie ISIS in der Umgebung von Palästina und rundherum um Israel und um uns diese Möglichkeit hat, und dann haben beide Seiten keine Zukunft, wenn das wäre. Jetzt haben wir so viele Unterstützung und Unterstützer für die Gründung eines palästinensischen Staates, wie die Europäische Union, wie die USA, auch wenn sie nicht so offensichtlich das sagen, aber eindeutig sind sie dafür, wie die arabischen Staaten, Saudi-Arabien hat sich jetzt betont dafür eingesetzt, Ägypten auch und die Arabische Liga. Also man merkt jetzt, dass der Einsatz und viele Israelis und viele Juden auf internationaler Ebene und in Israel, sie glauben auch inzwischen, oder viele von denen glauben inzwischen, dass man keinen Frieden bekommen kann, wenn die Palästinenser oder wenn die Zwei-Staaten-Lösung nicht stattfindet.
    Kapern: Aber, Herr Frangi, sehen Sie es mir nach, wenn ich da noch mal beharre. Es hat solche Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern noch bis in das Frühjahr hinein gegeben. Die sind dann ergebnislos abgebrochen worden. Warum sollte jetzt gelingen, was damals nicht gelungen ist? Wer soll dafür sorgen?
    Frangi: Ja! Dafür muss die Weltgemeinschaft, die UNO und der Weltsicherheitsrat sorgen. Das heißt, wir werden nicht noch mal jetzt wieder verhandeln wie früher. Wir werden nicht noch mal 20 Jahre verhandeln und dann sehen, dass die Westbank sich ändert. Das heißt, mehr Siedlungen und Siedler in der Westbank. Das ist das Land der Palästinenser, wo ein Staat darauf aufgebaut werden sollte.
    Kapern: Aber wie soll es Frieden geben ohne solche Verhandlungen?
    Frangi: Bitte?
    Kapern: Wie soll es Frieden geben ohne solche Verhandlungen?
    Frangi: Ich sage nicht, ohne Verhandlungen. Die Verhandlungen werden jetzt einen Rahmen haben und in der Zeit begrenzt und auch Staaten dafür haben, die sich einsetzen und nicht uns den Israelis gegenüber alleine überlassen. Das ist wichtig und dies hat sich inzwischen entwickelt, dies hat sich gezeigt. Und die Tatsache auch, dass die Palästinenser und die palästinensische Einheit jetzt sich ausdrückt in der Bildung einer neuen Regierung, die dafür sorgen muss, dass der demokratische Prozess innerhalb der palästinensischen Gebiete stattfinden wird in einem Jahr, dass wir auch wählen können, dass wir unsere Regierung, unsere Vertreter wählen können und unsere Minister. Das ist auch eine reelle Chance jetzt. Ich glaube, die Menschen sehnen sich richtig danach, jetzt Frieden zu haben. Die Menschen hier in Gaza, sie haben in diesen 50 Tagen, Sie können sich nicht vorstellen, wie sie gelitten haben und wie groß die Leiden der Palästinenser sind. Die Menschen möchten gerne endlich mal genau wie die anderen Völker auf dieser Erde die Chance haben, dass sie ihren eigenen Staat haben, dass sie einreisen und ausreisen vom Gazastreifen zur Westbank, der zweite Teil von Palästina, und nach Ägypten und in die Europäische Gemeinschaft und überall in die Welt, genau wie die normalen Menschen es tun. Das ist eine reelle Chance und es ist jetzt so, trotz dieser hässlichen 50 Tage, trotz dieses Krieges, der sehr, sehr grauenhaft war, dass die Hoffnung bei den Menschen viel größer ist, dass sie wieder aufbauen. Wir haben ein fleißiges Volk, wir haben viele Kapazitäten hier in den palästinensischen Gebieten, wir haben viele Palästinenser, die vom Ausland kommen möchten, um hier mit diesen Wiederaufbau zu gestalten.
    Kapern: Herr Frangi, lassen Sie mich doch bitte noch mal nachfragen, weil die Hoffnungen, die Appelle, die Sie gerade da an die Weltgemeinschaft gerichtet haben, mir doch noch etwas unkonkret klingen. Wir haben da einen Resolutionsentwurf bei den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat liegen, für den Deutschland, Frankreich und Großbritannien geradestehen. Wie soll sich daraus nun dieser Prozess entwickeln, der den beiden Konfliktparteien Israel und den Palästinensern quasi die Zwei-Staaten-Lösung diktiert? Denn das scheint ja, die einzige Möglichkeit im Moment zu sein.
    Frangi: Es wird nicht diktiert. Wir haben jetzt die Mehrheit. Wenn Sie genauer die UNO betrachten, dann sehen Sie, dass die Mehrheit dieser Staaten für einen Palästinenserstaat ist. Wenn Sie Europa insgesamt betrachten, dann sehen Sie, dass vielleicht 99 Prozent der Staaten dort sich für einen Palästinenserstaat aussprechen. Das heißt, es gibt keinen Zwang. Das ist eine normale Entwicklung. Die Menschen haben kapiert, dass das palästinensische Volk seinen Staat bekommen muss und damit einen Frieden in dieser Region. Wir haben jetzt gewartet seit 1948. Heute ist die Zahl der Palästinenser über zehn Millionen Menschen. Sie leben überall in der Welt und sie möchten gerne jetzt mithelfen diesen zwei Millionen Menschen im Gazastreifen und den drei Millionen Menschen, die in der Westbank leben.
    Kapern: Aber was genau erwarten Sie da von den Vereinten Nationen, dass die Vereinten Nationen nun Palästina als eigenständigen Staat anerkennen?
    Frangi: Das ist der Plan jetzt von Präsident Abbas. Der wird jetzt mit dem amerikanischen Außenminister Kerry reden darüber, über dieses Vorhaben. Wir möchten jetzt die Zeit wie ein Limit dafür einsetzen, dass wir sagen, wir möchten diesen Staat, wie lange muss es dauern, und dieser Staat muss unterstützt werden. Dieses Gespräch mit den USA wird den Weg öffnen für uns Richtung Weltsicherheitsrat und Richtung UNO.
    Kapern: Das heißt, Herr Frangi, wenn ich noch mal nachfragen darf, Sie setzen darauf, dass der Weltsicherheitsrat Israel ein Ultimatum setzt zur Räumung der Westbank?
    Frangi: Das ist inzwischen ja nicht nur eine Erwartung. Es gibt ja kein Land inzwischen, bis auf die USA vielleicht und einige andere in Europa, aber die Mehrheit heute und, ich sage, die Mehrheit heute in der Welt setzen sich dafür ein, dass die Zwei-Staaten-Lösung kommt. Auch wenn es zwangsweise kommen muss. Dann werden sie sich dafür einsetzen. Das heißt, nicht zwangsweise mit militärischen Mitteln und mit Druck, dass man jetzt die Israelis dazu zwingt, aber dass die Israelis keine andere Möglichkeit haben, als sich mit den Palästinensern zu einigen, ohne die Siedlungspolitik in den palästinensischen Gebieten, und das ist legitim und das ist legal und das ist eigentlich nicht zu viel verlangt von uns, wenn wir darauf bestehen.
    Kapern: Aber wie soll der Weltsicherheitsrat, wie soll die EU Israel dazu bewegen, die Besatzung zu beenden? Wie soll das konkret funktionieren?
    Frangi: Wissen Sie, man hat ja überall in der Welt sich eingesetzt, und erfolgreich auch. Es gab hier und dort Rückschläge, und wir haben bis jetzt nur Rückschläge. Der Einsatz jetzt, wenn das gut verhandelt wird, zwischen den Amerikanern und Israelis, und die Amerikaner zeigen der israelischen Regierung, dass diese expansionistische Politik nicht mehr zu akzeptieren ist von der Weltgemeinschaft, und dass die Amerikaner nicht mehr in der Lage sind, Israel weiterhin zu unterstützen, wenn sie darauf bestehen, die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten weiterhin zu bauen. Ich glaube, der Trend läuft jetzt in diese Richtung.
    Kapern: Glauben Sie allen Ernstes, die USA würden Israel den Geldhahn zudrehen, wenn Sie sagen, die USA dürfen Israel nicht mehr unterstützen?
    Frangi: Wissen Sie, ich habe das einmal erlebt 1990, als der amerikanische Präsident den Zehn-Milliarden-Kredit eingefroren hat, bis die Israelis nach Madrid gekommen sind. Also das ist nicht ein Verwischen und das ist auch nicht ein aggressiver Akt gegen Israel. Das ist eine Hilfe für Israel, damit sie diese expansionistische Politik aufgeben. Das ist alles.
    Kapern: Hat Ihre Regierung, hat die palästinensische Autonomiebehörde Signale aus den USA, dass die Vereinigten Staaten zu so etwas bereit wären?
    Frangi: Wissen Sie, wir haben gute Kontakte und gute, sagen wir, Beziehungen zu den USA, und Präsident Abbas ist in ständigem Kontakt mit dem amerikanischen Präsidenten, mit dem Außenminister, und es ist ihm auch jetzt gelungen. Ich glaube, derjenige, der jetzt für diesen Waffenstillstand sich so erfolgreich eingesetzt hat, war Präsident Abbas mit dem ägyptischen Präsidenten al-Sisi. Ich glaube, der Beitrag, den er geleistet hat, um den Frieden jetzt zu erreichen, um eine Station zu machen, damit man sich überlegt, was machen wir im nächsten Schritt, hier hat man eine Chance angeboten für die USA, für Europa, dass sie jetzt gemeinsam in der Richtung sich bewegen. Sie haben einen gemeinsamen Nenner und alle Staaten in dieser Weltgemeinschaft, die was zu sagen haben, wie die Europäer, wie der Weltsicherheitsrat, sind für einen Palästinenserstaat, sind für die Zwei-Staaten-Lösung, und dieser Staat muss in den Grenzen von 1967 sein. Ich glaube, jetzt ist eine Chance, dass man nicht noch mal zu diesen Verhandlungen von Oslo zurückkehrt, wo wir 20 Jahre lang verhandelt und nichts bekommen haben. Und Sie haben Recht: Wir können nicht mehr! Wir können nicht mehr auf diese Verhandlungen zwischen uns und den Israelis zurück und warten darauf, bis die Israelis nachgeben in einem Punkt oder in zwei Punkten. Wir möchten gerne einen Staat haben mit Flughafen, mit Hafen, mit freien Grenzen, sodass die Menschen sich bewegen können, genau wie die Israelis, genau wie die anderen Nachbarn, die um uns herum sind.
    Kapern: Abdallah Frangi, der Gouverneur von Gaza, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Frangi, ich bedanke mich für das Gespräch und ich wünsche Ihnen einen guten Tag nach Gaza.
    Frangi: Danke schön! Das wünsche ich Ihnen auch.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Frangi: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.