Dienstag, 19. März 2024

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NATO
"Legale Einwanderung statt Militärmission"

Agnieszka Brugger hat die Vorschläge zum Einsatz der NATO zur Sicherung der EU-Außengrenzen scharf kritisiert. "Ich sehe da keine Rolle für die NATO und ich finde es auch falsch, den Umgang mit den Flüchtlingen im Mittelmeer weiter zu militarisieren", sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Deutschlandfunk. Schleppern würde man besser mit legalen und sicheren Einwanderungswegen das Geschäft kaputtmachen.

Agnieszka Brugger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.02.2016
    Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag in Berlin.
    Die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger im Bundestag. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Tobias Armbrüster: Steht das Militärbündnis jetzt vor ganz neuen Aufgaben? Wer das Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel verfolgt hat, der kann leicht zu dieser Schlussfolgerung kommen. Die Minister haben sich darauf verständigt, die NATO-Präsenz in Osteuropa deutlich auszubauen. Von einer multinationalen Truppe ist da schon die Rede. Und auch eine Idee von Angela Merkel findet Gefallen bei der Allianz. Die deutsche Kanzlerin hatte am Wochenende angeregt, die NATO bei der Sicherung der EU-Außengrenzen in der Ägäis einzusetzen.
    Diese Pläne der NATO müssen in den Mitgliedsländern diskutiert werden. Das wird hier bei uns in Deutschland in den kommenden Wochen sicher auch mit Sicherheit einige Debatten lostreten. Ich habe darüber mit Agnieszka Brugger gesprochen. Sie ist verteidigungspolitische Sprecherin bei den Grünen im Deutschen Bundestag. Und ich habe sie zunächst gefragt, was sie davon hält, die EU-Außengrenze in der Ägäis mit Hilfe der NATO zu sichern.
    Agnieszka Brugger: Diese Pläne überzeugen mich überhaupt nicht. Ich sehe eigentlich bei der Sicherung der EU-Außengrenzen keine Rolle für die NATO und ich finde es auch falsch, den Umgang mit den Flüchtlingen im Mittelmeer weiter zu militarisieren und der NATO dort eine Rolle zu geben. Die wahre Tragödie ist doch, dass nach wie vor jede Woche so viele Menschen im Mittelmeer ertrinken bei ihrer Flucht, und da muss es um eine zivile Seenotrettung gehen, die endlich den Aufgaben auch gerecht wird, und um legale Einwanderungswege nach Europa. So kann man den Schleppern das unmenschliche Geschäft wirklich kaputt machen.
    Armbrüster: Aber muss man nicht, um den Schleppern das Geschäft kaputt zu machen, dieses Geschäft einfach unterbinden?
    Brugger: Nur auf Abschottung und Abschreckung zu setzen, ist am Ende zynisch und trifft natürlich vor allem die Menschen, die aus den Kriegsgebieten dieser Welt den gefährlichen Weg übers Mittelmeer wagen. Am Ende des Tages birgt auch die militärische Schlepperbekämpfung immer große Gefahren. Was mich auch bei Frau von der Leyens Plänen gewundert hat: Es gibt ja schon eine EU-Militärmission im Mittelmeer. Die haben wir als Grüne ja auch sehr scharf kritisiert. Und warum jetzt hier die NATO noch zusätzlich tätig werden soll, erschließt sich mir jetzt überhaupt nicht. Frau von der Leyen stellt wieder einmal einen Militäreinsatz vorschnell in den Raum, ohne dass klar ist, welche Aufgaben, welche Grundlage, welche Grenzen soll er haben, und für mich sind das die falschen Antworten, wenn man wirklich effektiv den Schleppern das Geschäft kaputt machen will und die Menschen, die nach Europa flüchten, schützen möchte.
    Armbrüster: Aber es ist ja ganz offensichtlich der Fall, Frau Brugger, dass Griechenland nicht in der Lage ist, seine eigenen Grenzen und damit die EU-Außengrenze zu sichern. Müssen sich dann nicht andere Gedanken darüber machen, wie das sinnvoll geschehen kann?
    Brugger: Es gibt natürlich verschiedene Einrichtungen und Institutionen, die in diesem Bereich tätig sind, zum Beispiel Frontex, wo man aber auch viel Kritisches zu sagen kann. Für mich ist das wirklich keine militärische Aufgabe und mir erschließt sich auch wirklich der Mehrwert dieser Idee nicht.
    Armbrüster: Es muss ja auch gar nicht unbedingt militärisch laufen, dass da Menschen bedroht werden, sondern es kann ja einfach nur zum Beispiel auch auf türkischer Seite so geschehen, dass die Schlepper überhaupt davon abgehalten werden, mit ihren Booten in See zu stechen.
    Brugger: Aber das hilft natürlich den Flüchtlingen, die nach Europa flüchten wollen, auch nicht weiter, sondern im Gegenteil. Ich glaube, wir brauchen wirklich legale und sichere Einwanderungswege. Natürlich muss man auch die Türkei entlasten. Das kann man zum Beispiel auch über Kontingentlösungen tun. Und ich finde, das sind die Fragen, die wir diskutieren müssen, und jetzt nicht noch zusätzlich eine weitere Militärmission im Mittelmeer, die eigentlich am Ende des Tages wahrscheinlich auch wenig helfen wird, das Geschäft der Schlepper zu bekämpfen. Ich meine, das sehen wir jetzt auch schon bei der EU-Militärmission, die bei diesen auch bisher nicht besonders erfolgreich war.
    Armbrüster: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann soll es weiterhin unbegrenzt möglich sein für Menschen, in gefährlichen Schlauchbooten über das Meer an dieser Stelle zu fahren, von der Türkei nach Griechenland überzusetzen, möglichst ohne Schranken, ohne aufgehalten zu werden, möglicherweise sogar noch mit Hilfe aus der EU?
    Brugger: Nein, absolut überhaupt nicht. Das Geschäft der Schlepper ist zynisch und unmenschlich. Viele Menschen haben keine andere Möglichkeit, als sich auf diesen gefährlichen Weg zu begeben und sich diesen Menschen auszuliefern, und deshalb müssen wir wirklich über Seenotrettung und legale Einwanderungswege wie humanitäre Visa oder so sprechen. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend.
    Armbrüster: Seenotrettung, Frau Brugger, würde heißen, die Leute stechen in See und werden dann auf offener See sozusagen von anderen Schiffen in Empfang genommen und auf die andere Seite gebracht?
    Brugger: Genau.
    Armbrüster: Das würde aber ja tatsächlich heißen freie Fahrt übers Mittelmeer rein in die EU.
    Brugger: Die meisten Menschen begeben sich ja wirklich nicht leichtfertig auf den Weg, und wir sehen ja auch, dass sich viele Menschen in den letzten Monaten erst auf den Weg gemacht haben, weil die Situation in den Nachbarländern von Syrien sich dramatisch verschärft hat, als klar war, dass die Flüchtlingslager nicht ausfinanziert sind, und ich glaube, das sind die Fragen, an denen man ansetzen muss, statt irgendwie so zu tun, als ob eine NATO-Militärmission jetzt die Lage großartig verändern würde. Wir sehen schon bei der EU-Mission, dass sie nicht wirksam ist, und deshalb, finde ich, muss man über humanitäre Visa sprechen und über Kontingentlösungen.
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns, Frau Brugger, über das zweite große NATO-Thema an diesem Mittwoch sprechen. Die NATO-Verteidigungsminister haben sich außerdem heute in Brüssel im Grundsatz auf eine neue multinationale Truppe verständigt. Die soll in Osteuropa stationiert werden, und zwar in den Staaten, die eine gemeinsame Grenze mit Russland haben. Ist das jetzt wieder Kalter Krieg?
    Brugger: Es erinnert an den Kalten Krieg, wie auf beiden Seiten nicht nur rhetorisch aufgerüstet wird. Natürlich hat Putin mit dem Agieren in der Ukraine, auf der Krim das Völkerrecht gebrochen und ich kann auch die Bedenken und Ängste der osteuropäischen Staaten sehr gut nachvollziehen, auch aus historischen Gründen. Trotzdem blicke ich mit sehr großer Sorge auf die Entwicklung in der NATO, auf die Beziehung zwischen der NATO und Russland, wo man das Gefühl hat, dass jede neue Ankündigung immer die nächste Aufrüstung auf beiden Seiten provoziert, und das wird am Ende eine Situation ergeben, die nicht mehr Sicherheit für alle bedeutet, sondern einen neuen Rüstungswettlauf.
    Armbrüster: Das heißt, unterstützen die Grünen diese multinationale Truppe oder nicht?
    Brugger: Bisher sind auch diese Pläne ja noch relativ unkonkret und es ist mir völlig unklar, was sich genau dahinter verbirgt. Ich muss auch sagen, ich hätte schon erwartet, dass die Verteidigungsministerin, wenn sie zwei solche Vorschläge auf dem Tisch liegen hat, auch hier das Parlament früher und besser informiert. Man wird sehr genau hinschauen müssen, um was es sich da handelt, aber die NATO hat ja schon auf ihrem letzten Gipfel Maßnahmen beschlossen der Rückversicherung der osteuropäischen Staaten, und wo jetzt bei den neuen Vorschlägen der Mehrwert sein soll und wo da mehr Sicherheit entstehen soll, ist mir noch nicht klar.
    Armbrüster: Welches Signal geht denn von einer solchen Truppe in Osteuropa in Richtung Moskau aus?
    Brugger: Es gibt natürlich auch Vereinbarungen zwischen der NATO und Russland, nicht dauerhaft große Truppenkontingente an den NATO-Ostgrenzen zu stationieren. Bisher hat die deutsche Bundesregierung, auch der Außenminister sich immer sehr klar zu diesen Vereinbarungen bekannt. Für mich ist zum Beispiel eine ganz entscheidende Frage, wie das jetzt zusammenhängt und ob man hier diesen Kurs grundlegend ändern will. Ich glaube nicht, dass wir in eine neue Aufrüstungsspirale eintreten sollten, denn am Ende des Tages ist das ganz sicher nicht die Lösung für den Konflikt zwischen Russland und der NATO.
    Armbrüster: Da höre ich jetzt aber doch deutliche Skepsis an dieser Truppe heraus, oder liege ich da falsch?
    Brugger: Nein, ich bin wirklich sehr skeptisch. Mir ist wie gesagt nicht ganz klar, was sich hinter diesen neuen Plänen verbirgt, weil man hat ja auch die NATO-Speerspitze auf dem letzten Gipfel beschlossen, dort schon eine Antwort gegeben auf die Ängste, die es in einigen osteuropäischen Mitgliedsstaaten gibt, und man muss das natürlich auch in dem Zusammenhang sehen, dass wir gleichzeitig ja die Überlastung der Bundeswehr hier in Deutschland ganz stark diskutieren, und da muss man sich, glaube ich, bei jedem neuen Einsatz fragen, ob das wirklich das richtige Mittel ist, und gerade an dieser Stelle bin ich da doch sehr skeptisch.
    Armbrüster: Vielen Dank, Frau Brugger.
    Brugger: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.