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Navid Kermani
"Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?"

Es war eine bewegende Rede, die Navid Kermani in der Frankfurter Paulskirche hielt. Als gerade ausgezeichneter Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels kritisierte er das Desinteresse im Westen an der Situation der Menschen in Syrien und dem Irak - und rief zum Kampf gegen den "Islamischen Staat" auf.

    Navid Kermani hält am 18.10.2015 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels nach der Auszeichnung seine Dankesrede
    Navid Kermani: "Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun." (picture alliance/dpa/Arne Dedert)
    Am Ende wollte Navid Kermani Gebete oder Wünsche, keinen Applaus. So wolle er den Schreckensbildern des IS "ein Bild der Brüderlichkeit entgegenhalten". Die Anwesenden in der Paulskirche sollten an Jacques Mourad denken. Der syrisch-katholische Pfarrer war im Mai von Mitgliedern der Terrormiliz "Islamischer Staat" entführt worden - und war vor wenigen Tagen freigekommen. An seinem Schicksal machte Kermani die Situation der Menschen in den vom IS terrorisierten Ländern deutlich.
    Der deutsch-iranische Schriftsteller appellierte in seiner Rede eindringlich an die internationale Gemeinschaft, den Krieg in Syrien und dem Irak zu beenden. Dazu seien weit entschlossenere diplomatische und möglicherweise auch militärische Schritte notwendig, sagte der Orientalist bei der feierlichen Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vor fast 1.000 Zuhörern.
    "Ich rufe nicht zum Krieg auf"
    "Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?", fragte Kermani - um die Antwort gleich selbst zu geben: Er rufe nicht zum Krieg auf, er weise nur darauf hin, dass es einen Krieg gibt, der möglicherweise nur mit Waffen zu beenden sei.
    "Erst wenn unsere Gesellschaften den Irrsinn nicht länger akzeptieren, werden sich auch die Regierungen bewegen", sagte Kermani, der als Sohn iranischer Einwanderer in Siegen geboren ist und heute in Köln lebt. Der Krieg könne nur von den Mächten beendet werden, die hinter den befeindeten Armeen und Milizen stehen. Dazu gehörten der Iran, die Türkei, die Golfstaaten, Russland und auch der Westen.
    "Immer höhere Stufen des Horrors"
    "Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun", sagte Kermani. "Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des Islamischen Staates und den des Assad-Regimes."
    Der IS zünde immer "höhere Stufen des Horrors, bis wir fühlen, dass er nicht von selbst aufhören wird". Der islamistische Terror bedrohe auch Europa, der Terror von Paris werde nicht der letzte hierzulande gewesen sein, warnte Kermani. Dass Europa nach Paris dem Terror die Freiheit entgegengehalten haben, sei gut. Insgesamt sei der Protest aber noch zu unpolitisch.
    Börsenverein: Als Mensch ein Vorbild
    Kermani habe "unerschrocken" Assad und IS angeprangert, schrieb der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, bei Twitter, wo die Rede auch sonst von vielen gelobt wurde.
    Der Börsenverein des Buchhandels hatte zuvor Kermani als Reisenden zwischen den Kulturen und Weltreligionen gewürdigt. Der 47-Jährige sei zudem als Mensch ein Vorbild, sagte der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller.
    Bei der Feierstunde in Frankfurt hob der Literaturwissenschaftler Norbert Miller vor allem die Vielfalt Kermanis als Schriftsteller, Orientalist und Journalist hervor.
    (bor/stfr)