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Neskovic: Unfassbares Versagen der Sicherheitsbehörden

Wolfgang Neskovic nennt die späten Ermittlungsergebnisse zu den Neonazi-Anschlägen ein "Waterloo für die Sicherheitsbehörden". Der ehemalige Strafrichter und Rechtsexperte der Linkspartei sagt, dass die Behörden in erster Linie den Islamismus und den Linksextremismus ins Visier nehmen.

Wolfgang Neskovic im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Anne Raith: Bisher wird die sogenannte Zwickauer Zelle für die Morde an neun ausländischen Kleinunternehmern und einer Polizistin verantwortlich gemacht sowie für zahlreiche Banküberfälle. Die Behörden schließen aber nicht aus, dass sie in den vergangenen Jahren weitere Attentate verübt hat, in Köln etwa, wo vor sieben Jahren eine Nagelbombe explodierte, oder in Düsseldorf. Jetzt ist auch gegen den mutmaßlichen Helfer aus Niedersachsen Haftbefehl erlassen worden.

    Seit dem langsamen Bekanntwerden der Zusammenhänge stellen sich nun also viele Fragen, wie die Bande untertauchen konnte, wie sie jahrelang weiter schwere Straftaten begehen konnte, welche Verantwortung der Verfassungsschutz trägt. Über die Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz und mögliche Konsequenzen hat mein Kollege Jürgen Liminski mit dem ehemaligen Bundesrichter Wolfgang Neskovic gesprochen. Er ist heute Rechtsexperte der Partei Die Linke im Bundestag. Von ihm wollte er wissen, ob er einen direkten Zusammenhang sieht zwischen den Verbrechen der Zwickauer Zelle und der NPD, so dass ein Verbot in greifbare Nähe rücken könnte?

    Wolfgang Neskovic: Also einen direkten Zusammenhang sehe ich so nicht, einen indirekten ja. Also die NPD ist geistiger Wegbereiter für solche terroristischen Akte. Sie schafft einen Nährboden, sie ist organisatorisch stark und kann so die Voraussetzungen für solche Straftaten schaffen.

    Jürgen Liminski: Also sollte man sie verbieten.

    Neskovic: Ich bin nicht der Meinung, dass man mit einem NPD-Verbot rechtsextremes Gedankengut unterbinden kann. Ich halte dennoch ein solches Verbot für sinnvoll und notwendig, weil es eben diesen Leuten die Möglichkeit nimmt, dass mit Steuergeldern im Grunde genommen Aktivitäten finanziert werden, die dann zu solchen Straftaten auch führen können.

    Liminski: Sie sind auch Mitglied der Kontrollkommission des Bundestages. Seit Tagen wird nun darüber diskutiert, ob und wie die Verfassungsschutzorgane versagt haben. Muss man die Kontrolle des Verfassungsschutzes neu überdenken?

    Neskovic: Also das glaube ich nicht. Wir haben eigentlich gesetzliche Vorschriften, die ausreichend sind. Wenn in diesen Tagen immer wieder darauf hingewiesen wird, dass man die gesetzlichen Voraussetzungen verbessern müsse, dann kann ich denjenigen nur empfehlen, schlicht von der alten Kulturtechnik des Lesens Gebrauch zu machen, ins Gesetz zu gucken. Dort gibt es die gewünschte Verzahnung in jeder Hinsicht, in beide Richtungen, von den Landesschutzbehörden zum Bundesamt für Verfassungsschutz. Es gibt sogar in extremen Fällen ein Weisungsrecht. Ich glaube, auf der gesetzgeberischen Ebene gibt es nichts zu tun. Aber wir müssen eben bei den Gesetzesanwendern hinschauen, und ich glaube, dort besteht ein erheblicher Nachholbedarf.

    Liminski: Es gibt ja nun vermutlich viele V-Männer in der rechtsextremen Szene, dennoch dieses Versagen. Liegt es also an der Einstellung des Personals, oder doch an den Rechtsgrundlagen?

    Neskovic: Nein. Ich glaube, es liegt ganz eindeutig an der Einstellung des Personals. Dies ist ein Waterloo für die Sicherheitsbehörden, ich möchte aus meiner Sicht sagen, ein fast unfassbares Versagen wieder. Es ist so, dass ich gerade in diesem Bereich mir wünsche, dass man professionell versucht, solchen Taten nachzugehen, und wenn man mit kriminalistischer Arbeit - und ich habe als Strafrichter doch eine gewisse Erfahrung - an die Dinge herangeht, dann stellt man fest, es gab ein und dieselbe Tatwaffe, das verband alle Straftaten, und es war so, dass eigentlich nicht erkennbar war, dass unter räumlichen Gesichtspunkten und unter dem Gesichtspunkt persönlicher Bekanntschaft, Schutzgelderpressung, dafür gab es keine Anhaltspunkte. Aber es gab ein Merkmal, das allen gemeinsam war: das war das Fremde, das Ausländer sein. Und ich meine, das was das Bundeskriminalamt alles an Möglichkeiten hat, hier tätig zu werden, und ein Verfassungsschutz, der sorgfältig und sensibel an die Dinge herangeht, der hätte eigentlich erkennen müssen, dass dies ein Ansatz ist, und hätte sich auch nicht dadurch beirren lassen müssen, dass es kein Bekennerschreiben gab. Ich meine, die Zusammenhänge lagen hier eigentlich auf der Hand, und es liegt daran, dass in diesen Behörden sie ein politisches Umfeld haben, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, den Islamismus und den Linksextremismus ins Visier zu nehmen und den Rechtsextremismus so am Rande zu beurteilen. Und gerade die Gewaltbereitschaft, die in diesem Bereich herrscht - ich erinnere an Solingen, ich erinnere an Mölln; es gibt Statistiken, die aufführen, dass mehr als 100 Menschen den rechtsextremistischen Gewalttaten zum Opfer gefallen sind -, also in dem Bereich darf es keine Verharmlosung geben. Aber hier gibt es aus meiner Sicht bei den Rechtsanwendern eine ausnehmende Sorglosigkeit und da muss sich elementar etwas ändern.

    Liminski: Eine Frage zur juristischen Begrifflichkeit. Alle sind sich einig, dass es sich hier um Rechtsterrorismus handelt. Nun gehört zum Terrorismus auch das Erschrecken der Öffentlichkeit, die offene Gewalt am hellichten Tag sozusagen. Diese Gruppe hat ihre Verbrechen zehn Jahre lang im Geheimen verübt und erst jetzt werden Bekennervideos bekannt. Handelt es sich nicht schlicht um Schwerstverbrecher mit ideologischen Ansätzen?

    Neskovic: Der Begriff Terrorismus, der hat eine politische Ebene und hat eine strafrechtlich-juristische Ebene, und im letzteren ist es so, dass Terrorismus gerade durch diese Eigenschaft, dass das nach außen ausgetragen wird, nicht Merkmal ist der entsprechenden Strafvorschrift, sondern es ist schlicht und ergreifend, dass sich Leute zusammentun, um bestimmte Straftaten zu erfüllen wie zum Beispiel Mord, Totschlag, Völkermord und andere schwere Straftaten. Also sich zu vereinigen, um solche Straftaten auszuführen, das ist eigentlich das, was rechtlich den Terrorismus ausmacht, und nicht, sich dazu zu bekennen und so. Das ist die politische Ebene.

    Raith: Wolfgang Neskovic, Rechtsexperte der Partei Die Linke und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages, im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.