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Neue Anwendungen für Holz
Hochhäuser und Waschbecken

Überall auf der Welt entstehen zurzeit Häuser, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Hochhäuser aus Holz nämlich, mit acht, 13 oder sogar 24 Geschossen. Dazu tüfteln Forscher an Waschbecken aus Holz, an feuerfesten Türen, magnetischen Wänden und bauen Karosserieteile für Autos.

Von Monika Seynsche | 09.07.2017
    Zwei Männer stehen am 23.03.2014 auf einem hölzernen Aussichtsturm im Europaviertel in Frankfurt am Main (Hessen) in Sichtweite des Messeturms.
    Bauen mit Holz bringt viele Vorteile - auch weil sich die Anwendung stark entwickelt hat. (dpa / picture alliance / Arne Dedert)
    Der uralte Werkstoff Holz wird zurzeit generalüberholt und mit neuen Eigenschaften ausgestattet. Was dabei heraus kommen kann, zeigt Wissenschaft im Brennpunkt.
    Trotzdem bauen Ingenieure Hochhäuser aus Holz, mit acht, 13 oder sogar 24 Geschossen. Sie tüfteln an Waschbecken, an feuerfesten Türen, magnetischen Wänden und bauen Autoteile aus Holz. Wir schauen uns in den nächsten 30 Minuten diesen seltsamen Werkstoff Holz mal genauer an und klären wie und warum er gerade generalüberholt wird.
    Und dafür, Sie hören es im Hintergrund, senden wir diesmal nicht aus dem Studio, sondern von einer Baustelle am Pistoriusplatz in Berlin Weißensee. Hier wird zurzeit ein ganzes Wohnquartier mit bis zu fünf Stockwerken aus Holz errichtet. Am Mikrofon ist Monika Seynsche. Herzlich Willkommen!
    Wie baut man mit Holz Hochhäuser? Dazu: Interview mit Stefan Winter, Professor für Holzbau und Baukonstruktion an der Technischen Universität München und gleichzeitig der Prüfingenieur der Baustelle.
    Man kann die Eigenschaften von Holz aber auch verändern. Genau das haben Schweizer Forscher getan und so ganz neue Anwendungen für Holz in Innenräumen gefunden. Was dabei herausgekommen ist, hat sich mein Kollege Volker Mrasek in der Nähe von Zürich zeigen lassen.

    Beitrag:
    Feuerfeste Türen, keimtötende Klinken: In der Schweiz veredeln Forscher Holz für ungewohnte Anwendungen in Innenräumen
    "Wir ziehen jetzt Filzpantoffeln an." / "Ich zieh' auch Filzpantoffeln an."
    Zutritt nur mit Zahlencode und Filzlatschen für jeden Besucher. So stellt man sich normalerweise keine Studentenbude vor! Dies hier ist auch mehr ein Wohn-Labor, könnte man sagen.
    "Ja, man riecht's!"
    Heute allein zu Haus: Helen, Studentin der Umweltwissenschaften aus Freiburg im Breisgau: "Holz!"
    Vision Wood nennt sich die Wohneinheit: Vision Holz. Sie befindet sich auf dem Gelände der EMPA, der Eidgenössischen Materialforschungsanstalt in Dübendorf bei Zürich. In diesen vier Wänden haben Wissenschaftler der EMPA und ETH Zürich Holz dort verbaut, wo man es sicher nicht erwarten würde. Es geht ihnen darum, dem nachwachsenden Rohstoff neue Eigenschaften zu verleihen. Damit er in Zukunft stärker genutzt werden kann, auf umweltfreundliche und möglichst energieschonende Weise.
    "Also, hier haben wir das Bad!"
    Die erste dicke Überraschung! Das Waschbecken ist aus Holz! "Ich lass' das Wasser ins Waschbecken laufen. Und es perlt einfach schön ab."
    "Vor allem haben wir hier Buchenholz verwendet. Und das saugt Wasser auf wie wild normalerweise. Und haben dort eine feine metalloxidische Schicht aufgebracht. So ähnlich wie beim Lotus-Blatt, wo man auch eine Oberflächenstrukturierung hat. Und die lässt jetzt das Wasser abperlen."
    Fast unbemerkt hat sich Tanja Zimmermann ins Bad geschlichen, die Leiterin der Abteilung für Angewandte Holzforschung bei der EMPA. Auch sie trägt schön brav ihre Filzpantoffeln. Die Rotbuche - sie liegt der Holztechnologin besonders am Herzen. Aus dem verbreiteten Laubbaum könne man viel mehr machen als nur Möbel:
    "Buche ist eine unternutzte Holzart. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland. Oft verbrennt man sie leider einfach. Das ist schade! Wenn man wirklich diese Masse an Buche verwenden möchte, dann muss man in den Holzbau gehen."
    Wirkstoffe gegen Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen
    Auch das wird in der EMPA-Testwohnung neuerdings erprobt. Tanja Zimmermann dreht sich um 180 Grad.
    "Wir haben hier Sensorik in der Wand. / "Die Holzfeuchte wird da angezeigt." Mark Schubert ist hinzugekommen, Forst- und Umweltwissenschaftler in der EMPA: "Das sind sage und schreibe 16 Messfühler." / "Wir haben hier noch zwei Messpunkte. / Ich geh' ganz runter in die Knie. Und hier haben wir zwei Schrauben eingelassen. Und hier wollen wir sehen, ob das Holz sich bewegt mit Luftfeuchte-Wechseln."
    Auch in den Wänden der Wohnung steckt Buche. Als Sperrholzplatte anstelle von Fichte oder Tanne. Sie werden üblicherweise als tragende Elemente im Innenausbau genommen. Buchenholz hat hier wieder das Problem, sich bei Feuchtigkeit schnell zu verformen, ja sogar zu reißen. In diesen Räumen allerdings nicht! Die Buchenbretter wurden nämlich so verklebt, dass sie jetzt verwindungssteif sind:
    "Wir haben jetzt so eine Dreischichtplatte gemacht, wo wir die verschiedenen Schichten gegeneinander abgesperrt haben. So dass selbst, wenn das Holz versucht sich zu bewegen, es sich nicht bewegen kann. Und wir sehen: Auch nach einem Jahr sind noch keine Risse in der Wand."
    "Und die Tür? Willst Du die Tür erklären?" / "Ich erklär' schnell die Tür! Also, wir haben diese Türgriffe antimikrobiell ausgestattet."
    "Und wieder ein paar Bakterien weniger!"
    Natürlich sind die Griffe aus Holz! Und auch das ist funktionalisiert. Der Lieblingsbegriff der EMPA-Technologen. An die Oberfläche der Türgriffe wurde eine Substanz gebunden, die Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen abtötet.
    "Der Wirkstoff ist einfaches Kaliumiodid. Das ist ein Spurenelement. Das wandeln wir mit dem Enzym Laccase in hochreaktives Iod um. Und dieses Iodmolekül geht dann mit der Holzstruktur eine feste, enge Bindung ein, bleibt dort, wo es sein soll. Und wir erhoffen uns dadurch auch eine langfristige Wirkung."
    Die könnte das Iod-gespickte Holz zum Beispiel in Kliniken und Arztpraxen entfalten, wo Patienten Krankheitskeime weitergeben, wenn sie Türen öffnen und schließen: "Diese sterben ab, so dass der Nächste diese gleichen Bakterien dann nicht wieder aufnimmt." / "Das nicht-brennbare Holz wäre noch interessant hier!"
    In der Tür zum Schlafraum steckt tatsächlich noch mehr - auch wenn nichts darauf hindeutet: "Da können Sie noch so fest klopfen! Den Kalk werden sie nicht hören." / "Holz hat natürlich den Nachteil, dass es brennt. Und wir haben es schwer entflammbar gemacht, indem wir Kalziumkarbonat, nichts anderes als Kalk, tief in die Holzstruktur eingebracht haben. Kalk brennt nicht. Und das Holz ist dadurch sehr, sehr viel schwerer entflammbar."
    Auch hier sei die Bindung von Dauer. Das Holz werde in einer Kalklösung getränkt und das Karbonat in den Zellwänden eingelagert.
    Magnetisches Holz
    Studentin: "Wir sind jetzt in der Küche." Was hängt dort natürlich an der Pinnwand? Ein Einkaufszettel!
    "Äpfel, Butter, Brot, Öl, Salat und Brösel." / "Und damit ich auch meinen Einkauf nicht vergesse, werde ich die an der Magnetwand befestigen. / Hält wunderbar! / Keine Nadel! Nur mit einem Magneten."
    Der Clou auch hier: Das Wandboard ist aus funktionalisiertem Holz. Es enthält Eisenoxid-Partikel und ist dadurch magnetisch: Auch hier ist natürlich wieder die Besonderheit. Wie macht man das?" / "Es ist wieder ein Tränkprozess im Prinzip." "Genau!" "Letztendlich geht's um einen pH-Wert-Wechsel."
    Das Holz kommt also auch hier in ein Tauchbad. Darin befindet sich Eisenoxid, das tief in die Fasern eindringt. Dann gibt man Säure zu, der pH-Wert sinkt, das Oxid fällt als Feststoff aus der Lösung aus und lagert sich in den Zellwänden der Holzfasern ab.
    Wasserabweisend, keimtötend, feuerfest und auch noch magnetisch - all das kann Holz heute sein, wenn man es mit neuen Technologien aufpeppt wie in der Studenten-buchen-bude in der Schweiz.
    "So, jetzt schließ' ich die Jalousien. Sonst wird's hier zu warm und mache mal die Balkontür zu!"
    In der Schweiz veredeln Forscher Holz für ungewohnte Anwendungen im Innenraum. Das war ein Beitrag von Volker Mrasek.
    Ein Wohnhaus aus Holz in Berlin.
    Ein Wohnhaus aus Holz in Berlin. (dpa/ picture alliance/ Gero Breloer)

    Interview mit Stefan Winter, Professor für Holzbau und Baukonstruktion an der Technischen Universität München

    Man kann mit Holz Hochhäuser errichten, die modernen Brandschutzvorgaben gerecht werden, man kann aus Holz Waschbecken bauen, an denen das Wasser abperlt, man kann Türklinken aus Holz so konstruieren, dass sie Bakterien abtöten, aber Holz eignet sich nicht nu für die Konstruktion und den Innenausbau von Häusern.
    Mein Kollege Volker Mrasek ist für uns nach Kassel gereist, denn dort untersuchen Forscher, inwieweit man mit Holz auch Autos bauen kann.
    Beitrag
    Türstrebe statt Armaturenbrett: Ingenieure tüfteln an neuen Einsatzfeldern für Holz-Kompositmaterialien im Automobilbau
    Universität Kassel, Ingenieurwissenschaften, ein Prüflabor im Erdgeschoss. Am Kopfende des Raumes eine Messapparatur so groß wie ein Türrahmen, mit zwei ziegelsteingroßen Metallklötzen genau in der Mitte. Es sind die stählernen Spannbacken einer Zug-Prüfmaschine. Der Techniker Andreas Suckau bewegt die beiden Schraubstöcke etwas aufeinander zu, Ingenieur Daniel Kohl hält ein kleines, flaches Holzstück bereit:
    "Dann können wir dort in diese Probenhalter die Proben einspannen und ziehen dann entsprechend die Probe auseinander." / "Ein Buchen-Sperrholz. Und das soll nun auf Zugfestigkeit geprüft werden. / Und dann können wir die Prüfung starten."
    "Es ist weniger spektakulär als Sie hoffen. Jetzt ist die Probe kaputt."
    "Das war jetzt übrigens über eine Tonne Zugkraft."
    Solche Zerreißproben geben Aufschluss darüber, ob Holz robust genug ist, um eine neue Karriere zu starten - als Werkstoff im Automobilbau, der es sogar mit Stahl aufnehmen soll. Holz nicht mehr nur als Zierrat in vertäfelten Armaturenbrettern, sondern als Karosserie-Bauteil, das höchste Belastungen aushält - das ist die Idee. Und Daniel Kohl einer, der sie verfolgt:
    "Da sind jetzt Stahlverstärkungen drin. / Zwei 0,1 Millimeter dicke Stahlfolien, die einfach zusätzlich in das gleiche Material von eben eingebaut wurden."
    "Wir sind jetzt hier bei über 1,8 Tonnen Zugkraft! Also, da könnten Sie schon 'n kleines Auto dranhängen. "Sie haben an den Proben schön erkennen können, wie man aus einem einfachen Holz über zusätzliche Modifikationen eine verstärkte Holzwerkstoff-Kombination herstellen kann. Wäre möglich, dass man so etwas zukünftig in Fahrzeugen einsetzt."
    Genauso hart wie Stahl?
    Vier Jahre lang leitete Kohl ein entsprechendes Projekt, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde und an dem auch VW beteiligt war.
    "Also, wir im Projekt haben zum Beispiel festgestellt, dass die Tür eine sehr attraktive Baugruppe ist und dass es verschiedene Teile in der Tür gibt, die man möglicherweise aus Holz bauen könnte."
    Das passende Demonstrationsobjekt steht nach wie vor im Prüflabor: "Das ist eine Fahrzeugtür, also eine nackte Tür mit nichts dran. Und in dieser Tür ist eine Strebe quer drin, die den Fahrer und den Beifahrer vor einem Seitencrash schützt. Das ist Holz, fest verbaut in dieser Rohbautür. Da sind Verstärkungslagen aus Metallfolien drin, da sind Aramid-Gewebe drin. Und alles so geschichtet und an der richtigen Stelle verortet, dass die Kräfte, die entstehen bei einem Seitenaufprall, möglichst gut aufgenommen und abgeleitet werden."
    Holz ist um ein Vielfaches leichter als Stahl. Und wenn man in Buchen-Furnierblätter nur hauchdünne Lagen Metall oder hochfeste Kunststoffe wie Aramid einarbeitet, dann wird das Holz auch genauso hart wie Stahl: "Also, wenn ich das biegen will, da bieg' ich nichts mehr."
    Es gibt weitere Vorteile Stahl gegenüber: Buche stammt aus hiesigen Wäldern, die Lieferwege sind kurz.
    "Dazu kommt noch: In der Produktion brauche ich keine tausend Grad, um Holz zu verformen. Da reichen für wenige Minuten hundert Grad, und auch da sparen Sie wieder Energie. Weniger Energie verbrauchen, leichter, weniger CO2-Emissionen - da wollen wir hin."
    Holz-Verbundwerkstoffe könnten in Autos durchaus sinnvoll eingesetzt werden. Vier Jahre Forschung hätten das gezeigt, sagt Daniel Kohl. Doch noch seien wichtige Fragen offen. Die sollen nun in einem Anschlussprojekt beantwortet werden: "Ein ganz großer Punkt ist natürlich noch die Crash-Festigkeit. Also was passiert bei schlagartiger, schneller Belastung? Man muss sich darum kümmern - so ein Auto sollte 30 Jahre lang bestehen können -, dass das Holz entsprechend auch diese Dauerbeständigkeit hat."
    Unerlässlich auch: Die Buchen-Bauteile müssen sich so herstellen lassen, dass sie in die Fertigungsketten der Autoindustrie passen.
    "Ich bin davon überzeugt: Wenn wir hier unsere Forschung ordentlich machen und es so weiter geht, wie wir uns das vorstellen, dann wird die Automobilindustrie tatsächlich ganz schnell an den Punkt kommen, dass sie sagt: Ja, das ist sehr interessant."
    Fünf bis zehn Jahre werden aber sicher noch vergehen, bis erste Autos mit Karosserie-Teilen aus Buche herumfahren. Vorläufig bleibt es also erstmal bei weichem Wurzelholz in den Schaltungsgriffen und Armaturenbrettern von Autos.

    Das war ein Beitrag von Volker Mrasek. Wir haben es gerade gehört, Holz kann selbst im Fahrzeugbau eingesetzt werden. Aber warum eigentlich, Herr Winter?
    Interview mit Stefan Winter, Professor für Holzbau und Baukonstruktion an der Technischen Universität München
    Von Hochhäusern bis zu Waschbecken wird Holz als Werkstoff neu entdeckt. Das war Wissenschaft im Brennpunkt mit Monika Seynsche am Mikrofon. Ihnen noch einen schönen Abend!