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Neue Enthüllungen
"Der BND-Gesetzentwurf gehört in die Tonne"

Der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, André Hahn, hat die Bundesregierung aufgefordert, die angestrebte Reform des BND-Gesetzes zurückzuziehen. Die jetzt geplante Fassung lasse viele Punkte, die die Datenschutzbeauftragte nun kritisiert habe, ungelöst, sagte der Linken-Politiker im DLF.

André Hahn im Gespräch mit Reinhard Bieck | 02.09.2016
    Der Linken-Bundestagsabgeordnete André Hahn.
    André Hahn (Die Linke), stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. (pa/dpa/Burgi)
    Reinhard Bieck: Andre Hahn von der Linkspartei ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste Wir erreichen ihn in der sächsischen Schweiz. Guten Abend.
    André Hahn: Ja! Schönen guten Abend.
    Bieck: Herr Hahn, wie kommt es denn, dass der Datenschutzbeauftragten schwere Vergehen des BND aufgefallen sind, dem Kontrollgremium, dem Sie angehören aber nicht?
    Hahn: Wir haben den Bericht der Bundesdatenschutzbeauftragten ja schon im Kontrollgremium diskutiert. Wir haben bestimmte Informationen ja nie erhalten. Die Bundesregierung hat über Jahre selbst die Existenz von Kooperationsabkommen mit der NSA, den Einsatz von umstrittenen Suchbegriffen, die Weitergabe von Daten verschwiegen. Das ist ja im Dezember auch schon festgestellt worden, nachdem klar wurde, dass auch der BND EU-Behörden und andere Regierungen ausgespäht hat. Hier hat man einfach gegenüber dem Kontrollgremium nicht die Wahrheit gesagt. Man kann auch sagen, man hat die Mitglieder dort belogen. Und das hat ja schon dazu geführt, dass es Kritik gegeben hat, wie es in der Schärfe sie noch nie vorher gegeben hat, mit Unterstützung der Koalitionsabgeordneten. Aber insgesamt zeigt das natürlich wieder, wie sehr sich die Geheimdienste verselbstständigt haben und ein Staat im Staate sind, und das darf so nicht sein und da muss sich dringend etwas ändern. Und da sehe ich im Moment nicht, dass die Bundesregierung oder auch die Koalitionsfraktionen hier schon eine Antwort haben.
    "Das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben"
    Bieck: Das Gutachten der Datenschutzbeauftragten ist schon ein halbes Jahr alt. Warum wurde es so lange unter Verschluss gehalten? Oder umgekehrt: Warum ist es genau jetzt auf den Markt gekommen?
    Hahn: Letzteres kann ich nicht beurteilen. Wir haben schwer darum gekämpft, dass es nicht geheim bleibt. Nachdem der Bericht nun öffentlich geworden ist, kann sich jeder vorstellen, warum die Bundesregierung das alles geheim halten wollte. Es sollte möglichst nicht herauskommen, welche gravierenden Rechtsverstöße und Pannen es beim BND gegeben hat. Ich habe im Untersuchungsausschuss gefordert, dass der Bericht herabgestuft wird, damit wir Zeugen in öffentlicher Sitzung Fragen dazu stellen können. Das hat die Bundesregierung bisher abgelehnt. Uns ist völlig klar, dass man jetzt auch über die Substanz reden muss, wenn es nun schon öffentlich ist. Formal ist das sicherlich ein Verstoß, wenn es jetzt irgendwie weitergegeben worden ist, aber das, was dort festgestellt worden ist, ist doch gravierend. Man wirft ja dem BND und damit auch der Fachaufsicht im Bundeskanzleramt gleich dutzendfach vor, gegen die Verfassung, gegen den Datenschutz, gegen andere Gesetze verstoßen zu haben. Es wurden die NSA-Suchbegriffe nie geprüft. Man konnte sie gar nicht prüfen, war fachlich dazu nicht in der Lage. Und ich denke, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie eine derartige Menge von geballten Beanstandungen gegen die Bundesregierung gegeben hat, weder bei den Geheimdiensten, noch in einem anderen Politikfeld, und das darf natürlich nicht ohne Konsequenzen bleiben.
    Koalition versucht, Verstöße mit dem BND-Gesetz zu korrigieren
    Bieck: Ein zentraler Vorwurf lautet ja, der BND habe ohne gesetzliche Grundlage personenbezogene Daten gesammelt und weiter verwendet. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen? Was wird da gesammelt?
    Hahn: Ich bin jetzt etwas im Zweifel, was ich sagen darf, ohne mich strafbar zu machen. Wir müssen ja immer aufpassen, dass wir aus den geheim zu haltenden Sitzungen nichts öffentlich sagen. Ich würde das liebend gerne ausführlich beantworten, darf es aber leider nicht. Der BND ist ja, wie wir aus dem Untersuchungsausschuss wissen, unter anderem in den Kabelknotenpunkt in Frankfurt gegangen, hat dort millionenfach Telefonate, Mails abgefischt, SMS überprüft, und da sind natürlich unendliche Datenmengen angefallen. Und es hat ja, wie wir auch wissen, nicht funktioniert, dass die deutschen Staatsbürger dort komplett herausgefiltert wurden. Immer wieder wurden natürlich auch Deutsche erfasst, europäische Institutionen. Und diese Daten sind dann auch noch zum Teil ungefiltert an die Amerikaner weitergegeben worden, und dafür gab es nie eine rechtliche Grundlage und dafür soll es, wenn es nach uns geht, auch künftig keine rechtliche Grundlage geben, auch wenn die Koalition jetzt versucht, alles was in letzter Zeit falsch gelaufen ist, was rechtswidrig war, mit dem neuen BND-Gesetz zu korrigieren. Das kann aus meiner Sicht so nicht sein.
    Bieck: Im bayerischen Bad Aibling hat der BND ja ein Abhörzentrum der USA übernommen. Muss man sich das so vorstellen, dass der deutsche Geheimdienst jetzt da weitermacht, wo die Amerikaner aufgehört haben?
    Hahn: Das vermag ich im Einzelfall noch nicht zu beurteilen. Es gibt ja dort nach wie vor einen Stützpunkt der Amerikaner, ein Gebäude, in dem auch die Datenschutzbeauftragte nicht Einsicht bekommen hat und wo man ihr keinen Zutritt gegeben hat. Wir werden als Parlamentarisches Kontrollgremium in Kürze nach Bad Aibling fahren. Wir werden uns vor Ort die gesamte Situation noch einmal ansehen, auch Akteneinsicht nehmen. Ich denke, das ist dringend nötig. Aber natürlich ist auch klar: Eigentlich müsste jetzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des BND zurückgezogen werden, sofort und grundlegend überarbeitet werden. Denn die jetzt geplante Fassung lässt viele Punkte, die die Datenschutzbeauftragte zurecht kritisiert hat, ungelöst und stellt sie nicht ab. Zum Beispiel die vollständige Weitergabe von erhobenen Daten an ausländische Geheimdienste, die Überwachung von Journalisten, die künftig möglich sein soll. Das alles sind Punkte, die dürfen so nicht bleiben, und deshalb gehört der Gesetzentwurf eigentlich in die Tonne und muss grundlegend überarbeitet werden.
    "Der BND darf nicht alles einfangen, was ihm in die Leitung kommt"
    Bieck: Es hat den Anschein, als operiere der BND so nach dem Motto "viel hilft viel". Sprich: Er sammelt verdachtsunabhängig alle möglichen verfügbaren Daten und untersucht erst dann, ob sich irgendwo zum Beispiel Hinweise auf terroristische Aktivitäten finden. Diese Methode wird von vielen kritisiert. Gehören Sie auch dazu?
    Hahn: Ja natürlich. Die massenhafte Erfassung von Daten - und das hat ja die Datenschutzbeauftragte auch in ihrem Bericht geschrieben -, wo völlig unbescholtene Bürger immer ins Visier gelangt sind, die ist nicht akzeptabel. Die entspricht nicht unseren gesetzlichen Vorgaben. Es muss Anhaltspunkte geben. Es gibt die Möglichkeit, G10-Maßnahmen zu beantragen bei der zuständigen Kommission des Bundestages, wenn man Gruppierungen oder einzelne Personen in Verdacht hat.
    Bieck: G10-Maßnahmen?
    Hahn: Ja! G10-Maßnahmen sind Maßnahmen nach dem Artikel 10 Grundgesetz, wo der Schutz der Telekommunikationsfreiheit und Sicherheit auch aufgehoben werden kann: Entweder durch einen Richter, oder durch eine parlamentarische Kommission. Und dann darf der BND oder darf auch der Verfassungsschutz rechtmäßig entsprechende Abhörmaßnahmen vornehmen. Diese Möglichkeit gibt es ja jetzt schon und die wird es auch künftig wohl geben. Aber gerade deshalb darf der BND nicht alles einfangen, was ihm irgendwie in die Leitung kommt. Das hat mit seinen Aufgaben nichts zu tun, das war durch das alte BND-Gesetz definitiv nicht gedeckt, und wir wollen auch nicht, dass das künftig erlaubt wird.
    "Es muss mehr Transparenz geben"
    Bieck: Herr Hahn, nun heißt der BND ja nicht umsonst Geheimdienst. Kritiker fordern aber immer wieder mehr Transparenz. Aber ist das nicht eigentlich ein unlösbarer Widerspruch?
    Hahn: Wir haben ja gesehen im Parlamentarischen Kontrollgremium, dass wichtige Vorkommnisse, dass wichtige Dinge, dass wichtige Pannen einfach verschwiegen worden sind. Wir können ja nur das kontrollieren, was man uns vorlegt oder was uns bekannt wird. Wir können Personen befragen. Aber wenn sie uns nicht die Wahrheit sagen, dann können wir das auch nicht kritisieren oder abstellen. Das ist ein äußerst misslicher Zustand, wenn die Abgeordneten über 80 Prozent aller Skandale und Skandälchen aus den Medien erfahren und nicht in dem Gremium, was eigentlich für die Kontrolle zuständig ist. Deshalb sage ich: Es muss mehr Transparenz geben. Wir wollen beispielsweise auch die Dienstechefs künftig in öffentlichen Sitzungen befragen und vernehmen können, damit deutlich wird, dass wir kontrollieren, welche Themen wir behandeln. Jetzt haben wir eine Sitzung, bekommen mit, dass etwas schief gelaufen ist, aber dürfen mit niemand darüber reden. Ich glaube, da ist mehr Transparenz möglich, bei allem Verständnis dafür, dass zum Beispiel die Befreiung von Entführungsopfern, dass auch die Verfolgung von terroristischen Strukturen oder auch von Erpressungen und Ähnlichem, dass das natürlich nicht auf dem offenen Schreibtisch diskutiert werden kann und im offenen Raum in allen Details. Aber die Einhaltung der Gesetze, oder auch die Nichteinhaltung, wenn es vorkommt, das muss auch öffentlich thematisiert werden. Das darf nicht unter der Decke bleiben.
    Bieck: Das war über die schweren Vorwürfe gegen den BND André Hahn von der Linken, stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Danke für das Gespräch.
    Hahn: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.