Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist in den vergangenen Tagen in die Kritik geraten. Europaparlamentarier warfen ihm vor, bei seinem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow nicht gut vorbereitet gewesen zu sein. Borrell hatte bei einem Besuch in Moskau erfolglos die Freilassung des Kreml-Kritikers Alexei Nawalny gefordert. Deshalb hat sich Borrell nun für neue Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Doch als politisches Instrument sind Sanktionen nicht unumstritten.
Auch der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Gabriel Felbermayr, sieht sie skeptisch. Das große Ziele der EU, einen Regimewandel in Russland, sei mit wirtschaftlichem Druck sehr schwer zu erreichen, gab er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk zu bedenken. Dazu müssten mehr Länder bei den Sanktionen mitmachen. Auch einen Baustopp von Nord Stream 2 sieht Felbermayr als schlechtes Instrument in der Auseinandersetzung mit der russischen Regierung von Wladimir Putin.
Katharina Peetz: Es gibt ja schon seit Jahren Sanktionen gegen Russland, seit der Annexion der Krim 2014 – die Sanktionen wurden auch kürzlich bis Mitte 2021 verlängert –, aber man muss wohl sagen, die Wirkung ist eher begrenzt, auch weil Russland es geschafft hat, sich von vielen westlichen Importen unabhängig zu machen. Auch im Fall Nawalny hat die EU schon Sanktionen verhängt, jetzt geht es um die Frage, ob weitere Sanktionen beschlossen werden sollen. Wie schätzen Sie die Wirkung ein, die weitere Sanktionen überhaupt entfalten könnten?
Gabriel Felbermayr: Ich bin da skeptisch. Die Frage ist immer, was will man mit Sanktionen erreichen. Wenn man Russland wirklich wirtschaftlich in die Knie zwingen will, dann bräuchte man dazu eine große Koalition von Ländern, da kann Europa allein nicht so viel ausrichten, wie notwendig wäre. Da bräuchte es zumindest auch China an Bord und am besten noch Indien und weitere Handelspartner Russlands. Dass in der Vergangenheit die Sanktionen so schlecht gewirkt haben, hat ja damit zu tun, dass sie unterlaufen werden von anderen Ländern, das ist ein Kernproblem. Deswegen bin ich skeptisch, dass jetzt noch eine Schippe draufzulegen wirklich hilft. Die Ziele, die wir gegenüber Russland haben, sind ja sehr große. Wir wollen ja nicht weniger als einen Regimewandel in Russland, das ist sehr schwer zu erreichen mit wirtschaftlichem Druck.
"Smart Sanctions sind sicherlich erfolgversprechender"
Peetz: Das heißt, Sie sagen, es bräuchte eine große Koalition, aber wie müsste konkret auch zielgerichtet vielleicht eine Sanktion aussehen, die dann vielleicht Wirkung hätte?
Felbermayr: Ich glaube, dass wir eben auch sehen müssen, wen wir mit den Sanktionen treffen. Sind das wirklich die Personen, die handeln und die im Lichte der Sanktionen dann vielleicht ihre Handlungsweisen überdenken, oder ist es die breite Bevölkerung, die sehr diffus getroffen wird, jeder ein klein wenig. Das tut sozusagen nicht weh genug, um großen Druck auf das Regime auszuüben, aber es trifft dann doch die breite Masse. Deswegen glaube ich, dass ein Sanktionsinstrument, das sehr viel mehr noch auf einzelne Personen abstellt, erfolgversprechender ist und nicht auf die breite Masse der Russen trifft.
Das gibt es ja schon, wir verwenden das in der Europäischen Union. Das könnten Reisebeschränkungen sein, das könnte das Einfrieren von Vermögen im Ausland sein, das könnten auch Sanktionen gegen bestimmte Unternehmen sein, die sehr nahe am Kreml sind. Da kann man vielleicht auch noch mehr ausrichten als Europa allein, weil sozusagen das russische Auslandsvermögen eben nicht in China ist und die Zweitwohnsitze russischer Oligarchen auch nicht irgendwo in der Dritten Welt, sondern in Monaco und London und Paris. Also Smart Sanctions sind sicherlich das, was erfolgversprechender ist – da muss man fragen, ob Europa die richtigen Instrumente hat.
Ungleiche Betroffenheit von Sanktionen als Kernproblem
Peetz: Welche Rolle spielt die Geschlossenheit innerhalb der EU-Mitgliedstaaten für die Wirksamkeit von Sanktionen, vielleicht auch speziell mit Blick auf Deutschland und Frankreich zum Beispiel, die sich ja auch in der Vergangenheit nicht immer einig waren, nicht auf einer Linie waren?
Felbermayr: Ja, ganz klar, die wirtschaftliche Betroffenheit der Sanktionen ist nun mal eine ganz andere. Deutschland leidet unter den Russland-Sanktionen, die es seit 2014 gibt, mehr als jedes Land der Welt, in absoluten Zahlen gerechnet, und ist im Vergleich zu Frankreich auch in Prozenten der Wirtschaftsleistung sehr viel stärker betroffen. Das kostet bei uns in Deutschland etwa 0,2 Prozent des BIP nach verschiedenen Abschätzungen, und in Frankreich ist dieser Wert sehr viel geringer. Es gibt natürlich aber auch andere europäische Länder, wo der Grad der Betroffenheit doch höher ist, Bulgarien zum Beispiel, oder ganz insgesamt die osteuropäischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Diese ungleiche Betroffenheit ist sicherlich ein politisches Dilemma.
Sie ist auch ein politisches Problem hinsichtlich der Vereinigten Staaten von Amerika, die zwar immer sehr auf Sanktionen pochen und drängen, aber daraus ökonomisch bisher kaum Nachteile gezogen haben, weil einfach der Handel der USA mit Russland sehr gering ist. Das ist das Kernproblem, wenn es darum geht, eine breite Koalition zu schmieden, dass die Kosten zu ungleich verteilt sind. Da müsste man sicher auch an Ausgleichsmechanismen innerhalb Europas oder innerhalb der westlichen Welt denken, damit der gemeinsame Kampf gegen die Verletzung von Menschenrechten zum Beispiel in Russland, dass der nicht nur von einigen wenigen Ländern wirtschaftlich bezahlt werden muss.
"Nord Stream 2 wird überschätzt"
Peetz: Es wird in dem Zusammenhang auch immer wieder über den Stopp des Baus der Pipeline Nord Stream 2 diskutiert. Inwiefern wäre das überhaupt ein wirkliches Drohmittel? Es gibt Beobachter, die die Bedeutung von Nord Stream 2 für Russland geringer einschätzen, als es hier in der deutschen oder europäischen Debatte vielleicht manchmal den Anschein erweckt, denn Erdgas aus Russland gelangt ja auch noch auf anderen Wegen nach Europa.
Felbermayr: Ja, da würde ich zustimmen, ich glaube, das wird überschätzt. Die Frage ist, wie viel Milliarden Exporterlös erzielt Russland in der Europäischen Union mit dem Verkauf von Erdgas, das ist die zentrale Frage. Und ob nun das Erdgas über die Ukraine oder über die Türkei oder über Deutschland in die Europäische Union kommt, spielt da keine große Rolle. Es ist vielleicht sogar so, dass durch die Möglichkeit, dann auch eine solche Pipeline wieder stillzulegen oder zu sperren oder mit Auflagen zu versehen, dass da Deutschland sogar einen Hebel bekommt gegenüber Russland, den man sonst nicht hätte.
Also ich denke auch, dass Nord Stream 2 überschätzt wird. Hier wäre auch noch mal die Frage zu stellen, wem kostet das eigentlich, wenn man das Projekt nicht fertigstellt. Da sind ja auch sehr viele europäische und deutsche Investoren negativ betroffen, und mit Sanktionen wollen wir ja vor allem den russischen Machtapparat Schmerzen zufügen und nicht uns selbst. Da ist Nord Stream 2, glaube ich, ein schlechtes Instrument.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.