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Neue Musik aus Ost- und Südosteuropa

Biblisches Vokabular, der Rückgriff auf Kirchentonarten, die Assoziation Orgel-begleiteten Gemeindegesangs - aus alledem fügt Zsolt Gárdonyi, was in Gestus und Klang wie ein protestantisches Oratorium anmuten mag. Seine CD "Die Verkündigung" ist eine von fünf CD-Vorstellungen.

Von Frank Kämpfer |
    Im Folgenden geht es um Begegnungen, Kombinationen, Dialoge. Sie finden sich in biblischen Texten, im Spannungsfeld von Glaubensbekenntnis und Avantgarde, in Berührungen zwischen zeitgenössischem Komponieren, ethnischen Instrumenten und kirchenmusikalischer Tradition. Am Mikrofon Frank Kämpfer - ich habe für Sie drei CDs mit neuer Musik aus Ost- und Südosteuropa ausgewählt.

    Zsolt Gárdonyi, aus: Die Verkündigung
    Monteverdi-Chor Würzburg. Mainphilharmonie
    CD SRL4-10070, LC 15543 EAN 4 260130 380700


    Quasi biblisches Vokabular, der Rückgriff auf Kirchentonarten, die Assoziation Orgel-begleiteten Gemeindegesangs - aus alledem fügt Zsolt Gárdonyi, was in Gestus und Klang wie ein protestantisches Oratorium anmuten mag. Die Verkündigung - so der Titel der Komposition - ist für Sopransolo, Chor und Orchester oder zwei Orgeln notiert, und spannt den Bogen von der Voraussage Christi Geburt bis zum Pfingstwunder in nur knapp zwanzig Minuten. - Worum handelt es sich? Um eine populistische Annäherung an ein beliebtes Sujet? Um eine nachempfindende Meditation, um neue liturgische Gesänge?

    Zsolt Gárdonyi, Jahrgang 1946, Sohn eines Hindemith-Schülers, ist kirchenmusikalischen Welten verpflichtet. Der gebürtige Ungar lebt und wirkt seit Jahrzehnten in Deutschland - als Hochschullehrer und Organist, der auch komponiert. Ein Avantgardist ist er zweifellos nicht; Gárdonyi versteht sich vielmehr als Missionar - in diesem Fall von musikhistorischer Tradition. Er zitiert, imitiert, versammelt selbige in seinen Werken mit einiger Absicht: wen er ansprechen will, der soll, was er hört, ohne Irritationen begreifen, das heißt in musikalischer, zugleich aber auch in religiöser Weise verstehen.

    Auf der Porträt-CD, die Werke Gárdonyis aus drei Jahrzehnten vereint, erklingt hauptsächlich Orgelkammermusik, gespickt mit mehr oder weniger direkten Bezügen. Die Orgelchoräle, die intensive Bach-Verehrung belegen, wurden von Gárdonyi selbst vor zehn Jahren in Schweden gespielt. Andere Aufnahmen - Duette und Trios für Orgel, Oboe, Posaune - entstanden Mitte der 90er-Jahre in Ungarn.

    Das Titelstück der CD wurde vor eineinhalb Jahren in Würzburg, wo Gárdonyi lehrt, eingespielt. Auch hier sind historische Bezüge unüberhörbar. Das vokalsinfonische Opus "Die Verkündigung" greift zurück auf fünf Medaillons des gebranntmarkten Nürnberger Renaissance-Bildhauers Veit Stoß. Dessen Miniaturen inspirierten die fünfsätzige Gliederung der Komposition, die indes auf Gotteslob, nicht in ein Personendrama hin zielt. Es beginnt mit einer Marien-Huldigung, umgeben von Orchesterfanfaren; zwei Weihnachtslieder werden zitiert, eines davon ursächlich ein Lutherchoral.

    Zsolt Gárdonyi, aus: Die Verkündigung
    Monteverdi-Chor Würzburg. Mainphilharmonie
    CD SRL4-10070, LC 15543 EAN 4 260130 380700


    Die Verkündigung und andere kirchenmusikgeschichtliche Widmungen von Zsolt Gárdonyi - veröffentlicht beim Regensburger Label Spektral Records. Die nächste Veröffentlichung kommt aus Prag. Ihr Titel Dialogues steht für ein komplexeres musikalisches Konzept. Unter "Dialog" nämlich verstehen die beteiligten Musiker und Macher der Platte - der namhafte Violoncellist und Komponist Jiří Bárta und die Schola Gregoriana Pragensis - mehr als nur ein banales Gespräch. Einander Zuzuhören, aneinander Anknüpfen, einander ergänzen und in der Polyphonie zu harmonisieren bedeutet in diesem Falle konkret, vokal und instrumental, komponiert und improvisiert, alt und neu sinnträchtig miteinander in Beziehung zu setzen.

    Gesprächsgegenstand sind Texte, Melodien, Formmuster der Liturgie. Die Platte beginnt mit einem Graduale Universi, wobei sich in dem Männeroktet als neunte Stimme alsbald das Violoncello zumischt und verbindet. Im Primo tempere aus einer böhmischen Quelle des 14.Jahrhunderts verbindet sich der Vokal-Polyphonie eine Improvisation:

    Aus: Lectio primo tempere (14. Jh.)
    Jiří Bárta (Cello), Schola Greogriana Pragensis
    CD Supraphon SU 4009-2, LC 00358 EAN 099925 40092 7


    Mittelalterliche Vokalpolyphonie und improvisierendes Violoncello im Dialog - das angespielte Musikbeispiel sagt einiges über den Wärmegrad der CD, die einem Konzeptalbum gleicht. Wie die Korrespondenz der jeweiligen Seiten verläuft, wohin sie führt, ist indes weniger klar. Keinesfalls obsiegt der Missionierungsgedanke. Das gesungene geistliche Wort mündet in Instrumentalklang, von allerdings beachtlicher Intensität. Zeitgenössische Kompositionen u.a. von Martin Smolka, Peter Graham und Arvo Pärt verweisen auf tiefer lotende Beschäftigung ihrer Urheber zum Beispiel mit Bach und gregorianischer Tradition. Im Neuen spiegele sich Altes und lebe so fort - dies die vielleicht zentrale, wenngleich diffuse Botschaft der Produktion, deren künstlerische Ernsthaftigkeit und emotionale Substanz bemerkenswert ist. Künstlerischer Höhepunkt: das 1993 notierte Miserere des polnischen Komponisten Pawel Szymanski, darin sich gregorianischer Psalmengesang im zweiten Modus mit Klängen von Vibraphon, Harfe und glissandierem Violoncello vermischt:

    Pawel Szemanski, aus: Miserere
    Jiří Bárta (Cello), Katertina Englichova (Harfe), David Rehor (Vibraphon)
    Schola Greogriana Pragensis
    CD Supraphon SU 4009-2, LC 00358 EAN 099925 40092 7


    Dialogues - Begegnungen von alter und neuer, geistlicher und improvisierter Musik mit Jiří Bárta (Violoncello) und der Schola Gregoriana Pragensis. Diese in Prag eingespielte CD ist beim Label Supraphon veröffentlicht; in Deutschland ist sie über den Vertrieb Codaex zu erhalten.

    Die dritte und letzte CD, die ich Ihnen heute anspielen will, ist zugleich ein Projekt auch ein Porträt der aus Griechenland stammenden Komponistin Konstantia Gourzi. Gourzi, Jahrgang 1962, kam 1987 nach Deutschland, zurzeit wirkt sie als Professorin und Ensembleleiterin an der Hochschule für Musik und Theater in München. Auf ihrer bei NEOS veröffentlichten Produktion Conjunctions - Synápsies (dt: Verbindungen) demonstriert sie anhand sieben eigener Werke Möglichkeiten kompositorischer Begegnungen zwischen östlicher und westlicher Tradition:

    Konstantia Gourzi, aus: Flammenarie
    Michalis Cholevas (Tarhu), Christian Elsässer (Klavier)
    CD NEOS 11035, LC 15673 EAN 4 260063 110351


    Kontantia Gourzi kombiniert - wie soeben gehört - das Streichinstrument Tarhu und das Klavier, die arabische Flöte Ney, die türkische Laute Saz und ein Streichquartett, und sie gibt einen Psalmisten, einen orthodoxen Sänger dazu. Liturgische Musik enthält diese Einspielung nicht. Neben eher säkularen Texten byzantinischer Mönche greift die Komponistin auf Strophen der Antike zurück. Beabsichtigt ist, Instrumente und musikalische Praktiken aus verschiedene Kulturen und Epochen zu kombinieren, deren Klänge und Farben zu mischen, und auf diese Weise ein Spannungsfeld zu erschaffen, wo - künstlerisches Experiment! - einander begegnen kann, was dezidiert bislang nicht zusammen gehört.

    Alle Titel sind Weltersteinspielungen, verschiedene Werke hat Konstantia Gourzi, die auf der Platte die musikalische Leitung inne hat, eigens für die CD revidiert. Eine ästhetisch sehr spezielle Produktion, die dem heute aktuellen interkulturellen Crossover eine durchaus plausible, biografisch grundierte Variante hinzufügt. Ein wenig indes wirkt das Ganze zu konstruiert, um sich einem größeren Hörerkreis emotional zu entfalten.

    Letztes Hörbeispiel: Mittags in Saloniki - Satz Nr. 3 aus den Ieratiki Poíisi. Die Ausführenden sind Vassilis Agrokostas (Gesang), Michalis Cholevas (Ney); Christian Elsässer (Klavier) sowie das Apollon Musagète Quartett.

    Konstantia Gourzi, aus: Midday in Salinica
    Vassilis Agrokostas (Gesang), Michalis Cholevas (Ney); Christian Elsässer (Klavier)
    CD NEOS 11035, LC 15673 EAN 4 260063 110351


    Begegnungen orientalischer, byzantinischer und zeitgenössischer europäischer Musiktradition im Werk von Konstantia Gourzi. Diese im vergangenen Jahr mit dem Bayerischen Rundfunk koproduzierte Produktion ist beim Münchner Label NEOS erschienen. Zuvor habe ich Ihnen die bei SUPRAFON veröffentlichte CD Dialogues mit Jiri Bárta und der Schola Gregoriana Pragensis sowie eine bei SPEKTRAL editierte Porträt-CD mit Kirchenmusik von Zsolt Gárdonyi angespielt. Soweit für heute Die neue Platte, ausgewählt von Frank Kämpfer.

    Musikablauf:
    Zsolt Gárdonyi, aus: Die Verkündigung. Monteverdi-Chor Würzburg. Mainphilharmonie. CD SRL4-10070, LC 15543 EAN 4 260130 380700

    aus: Lectio primo tempere (14. Jh.). Jiří Bárta (Cello), Schola Greogriana Pragensis. CD Supraphon SU 4009-2, LC 00358 EAN 099925 40092 7

    Pawel Szemanski, aus: Miserere. Jiří Bárta (Cello), Katertina Englichova (Harfe), David Rehor (Vibraphon). Schola Greogriana Pragensis. CD Supraphon SU 4009-2, LC 00358 EAN 099925 40092 7

    Konstantia Gourzi, aus: Flammenarie. Michalis Cholevas (Tarhu), Christian Elsässer (Klavier). CD NEOS 11035, LC 15673 EAN 4 260063 110351

    Konstantia Gourzi, aus: Midday in Salinica. Vassilis Agrokostas (Gesang), Michalis Cholevas (Ney); Christian Elsässer (Klavier). Apollon Musagète Quartett. CD NEOS 11035, LC 15673 EAN 4 260063 110351