Montag, 13. Mai 2024

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Neues Foo-Fighters-Album
"Wahnsinnig aufregend und inspirierend"

Für ihr neues Album "Sonic Highways" haben die Foo Fighters nicht nur alle Songs an verschiedenen Orten geschrieben - Frontmann Dave Grohl hat für eine begleitende Fernsehserie über 100 Musiker und Prominente interviewt. Im Corsogespräch erzählt er, wie es zu dem Projekt kam und wie es war, mit Barack Obama über Musik zu reden.

Dave Grohl im Gespräch mit Marcel Anders | 15.11.2014
    Foo Fighters-Frontmann und Ex-Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl
    Foo Fighters-Frontmann und Ex-Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl (ROBYN BECK / AFP)
    Marcel Anders: Herr Grohl, reicht es Ihnen nicht mehr, einfach ein Album zu veröffentlichen und auf Tour zu gehen? Muss es ein großes, aufwendiges Konzept sein?
    Dave Grohl: Na ja, nach 20 Jahren ist es wichtig, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Das letzte Album haben wir zum Beispiel in meiner Garage aufgenommen. Einfach, um die Band aus ihrer vertrauten Umgebung herauszureißen und sie ein bisschen zu fordern. "Sonic Highways" ist die Fortsetzung davon. Eben: Wie können wir das noch spannender gestalten? Denn wären wir das zu Hause angegangen, hätte es schon nach einer Stunde geheißen: Lasst uns Sushi bestellen. Es wäre eine ganz andere Erfahrung gewesen.
    Anders: Und die Herausforderung bestand darin, für ihr achtes Album acht Songs an acht verschiedenen Orten aufzunehmen?
    Grohl: Wobei einige davon nicht mal richtige Studios waren. Wie die Preservation Hall in New Orleans. Das ist eher ein kleiner Raum, der im 18. Jahrhundert ein spanisches Hotel war - ehe er zu einem Ort wurde, an dem sich Leute Kunst ansehen und traditionellen Jazz hören. Drei Mal täglich tritt dort die Preservation Hall Band auf. Sie stellen ein paar Kirchenbänke zum Sitzen auf und die Band legt los - ohne Mikrofone, ohne Elektrizität. Denn in diesem Raum wurde seit 150 Jahren nichts verändert. Und um dort aufzunehmen, mussten wir zunächst ein komplettes Studio einrichten, was wirklich anstrengend war, aber auch sehr inspirierend. Du schaust den Technikern zu, wie sie die Kabel verlegen und versuchen, alles zum Laufen zu bringen. Dann hattest du ein paar Tage, um die Musik aufzunehmen - und eine Nacht, um die Texte zu schreiben. Was wahnsinnig aufregend war.
    "Die Umgebung beeinflusst die Musik"
    Anders: In wieweit hat der jeweilige Aufnahmeort den Sound der Songs beeinflusst? Hat New Orleans zum Beispiel für Cajun-Einflüsse gesorgt - oder Chicago für einen Blues-Vibe?
    Grohl: Das war eine der ersten Fragen, die aufkam. Als ich das Konzept vorgestellt habe, hieß es: "Sollen wir dann das jeweilige Genre aufgreifen, das mit einer bestimmten Stadt assoziiert wird?" Was ich für eine ziemlich schlechte Idee hielt. Denn wir können keinen Jazz spielen. Und mir ging es auch eher darum, meinen Respekt gegenüber diesen Städten zum Ausdruck zu bringen, die ja alle Musikmetropolen sind. Ich wollte da eine Woche verbringen, mir anschauen, was sie zu bieten haben, das lokale Essen genießen und mit den dortigen Leuten abhängen. Denn seien wir ehrlich: Sieben Tage in Nashville, Washington, Chicago oder New Orleans sind gerade genug, um die Energie dieser Städte einzufangen. Und mir ging es darum zu zeigen, wie sehr die Umgebung, in der ein Künstler arbeitet, auch seine Musik beeinflusst. Denn ich glaube, dass das der Fall ist. Ich meine, schick David Bowie nach Berlin oder die Beach Boys nach Santa Monica. Zu diesem Thema habe ich auch ein großartiges Interview mit Joe Walsh geführt.
    Anders: Inwiefern?
    Grohl: Ich habe ihn gefragt: "Macht es einen Unterschied, ob die James Gang in New York oder in Los Angeles aufnimmt?" Und darauf er: "Nun, in New York herrscht viel Verkehr, alles ist wahnsinnig schnell und wahrscheinlich wird man auf dem Weg zum Studio ausgeraubt. Das ist dann ein winziger Raum, es ist kalt und wenn du spielst, spürst du die Spannung der Stadt in deiner Musik. In Los Angeles ist es dagegen so, dass du gerade vom Strand kommst, noch einen Joint rauchst und dann ein bisschen jammst." Ich finde, da trifft er den Nagel auf den Kopf: Jeder dieser Orte hat einen gewissen Einfluss auf das, was du tust. Egal, ob es musikalisch ist oder den Klang des Raums oder die Geschwindigkeit und die Energie einer Stadt betrifft.
    Anders: Wie viele Interviews - die in der gleichnamigen HBO-Serie zu bewundern sind - haben Sie für "Sonic Highways" geführt?
    Grohl: Um die Hundert. Ich habe jedem Kandidaten eine Mail geschrieben, in der es hieß: "Hi, mein Name ist Dave. Ich singe in einer Band namens Foo Fighters und habe vor einem Jahr eine Dokumentation namens 'Sound City' gedreht. Jetzt starte ich ein neues Projekt, bei dem ich über Musik reden möchte." Und ich schätze, dieser simple Ansatz, dass da ein Musiker mit anderen Musikern reden möchte, hat vieles vereinfacht. Wobei einige Gespräche - etwa mit Roky Erikson von den 13th Floor Elevators, mit Chuck D, Ian MacKaye, Steve Albini, Willie Nelson, Buddy Guy, Seymour Stein, Clive Davis, Jimmy Iovine oder Rick Rubin - definitiv zu den Highlights meines Lebens zählen. Einfach, weil ich da so viel gelernt habe. Kann sein, dass das kitschig klingt, aber die Geschichte hat gezeigt, dass kulturelles Erbe am besten weitergegeben wird, indem Leute miteinander reden. So wurde das früher gehandhabt und so funktioniert es immer noch. Da kann sich die Technik noch so entwickeln - die Vergangenheit wird allein dadurch lebendig gehalten, indem man sie kommuniziert. Und das ist extrem wichtig.
    "Einer der größten Momente meines Lebens"
    Anders: Wie war es, solche Ikonen wie Willie Nelson zu treffen? Waren Sie als Medienprofi zumindest ein bisschen nervös?
    Grohl: Ich war sehr nervös als es darum ging, Willie zu interviewen. Weshalb ich seine PR-Dame extra noch mal gefragt habe, ob er ein leichter Gesprächspartner sei. Darauf sie: "Oh ja, er ist toll - frag ihn nur nicht nach der Vergangenheit." Was die Sache nicht leichter gemacht hat. Aber er war sehr zuvorkommend und nett. Und es war einer der größten Momente meines Lebens, da mit ihm zu sitzen und über Nashville, Austin, Country Musik und Texas zu reden. Es gibt Leute, die dafür sterben würden.
    Anders: Und wie verlief Ihr Gespräch mit Präsident Obama - war das auch so entspannt oder standen da zig Bodyguards hinter der Kamera?
    Grohl: Nein! Die Sache ist die: Wenn du einmal im Weißen Haus bist, herrscht da eine sehr entspannte und gemütliche Atmosphäre. Einfach, weil sie dich da gar nicht erst reinlassen, sofern sie nicht wissen, ob du cool bist. Und der Präsident hatte ein paar tolle Sachen über unser Land und über spezielle Musiker zu sagen. Was ja eine der Sachen war, die ich mit ihm besprechen wollte - also nicht nur die Geschichte der amerikanischen Musik, sondern auch Amerika als Land, das seinen Bewohnern die Möglichkeit gibt, große Dinge zu leisten. Eben durch diese Freiheit, die zum Beispiel einen Buddy Guy hervorgebracht hat. Er hat seine erste Gitarre aus Drähten und Holz von seiner Veranda gebastelt - daraus hat er Instrumente erschaffen. Und er hatte nicht mal ein Radio, sondern er kannte nur die Musik, die auf den Baumwollplantagen und in der Kirche gesungen wurde. Unter diesen Bedingungen eine Blues-Legende zu werden, die jeden von Jeff Beck über Eric Clapton bis Jimmy Page beeinflusst hat, zeigt, welche Möglichkeiten sich einem hier eröffnen. Und das wollte ich erzählen. Darum geht es in jeder einzelnen Episode der Doku. Und was für Buddy Guy gilt, trifft ja auch auf mich zu.
    Anders: Woran machen Sie das fest?
    Grohl: Ich bin ein Schulabbrecher aus Springfield, Virginia. Und ich hatte nie genug Geld fürs College. Stattdessen habe ich in Jobs gearbeitet, die auf einer anstrengenden körperlichen Tätigkeit basierten - und nebenher lauten Punkrock gespielt. Mittlerweile bin ich in der Rock'n'Roll Hall Of Fame und darf mit dem Präsidenten der USA über Musik reden. Was ein Indiz dafür ist, dass solche Dinge möglich sind. Aber die meisten glauben nicht daran. Da heißt es: "Das würde ich nie hinkriegen." Dabei habe ich nicht mal Schlagzeugunterricht genommen. Insofern hat jeder dieselben Möglichkeiten wie ich.
    "Wenn du leidenschaftlich und konzentriert bist, kann dir alles gelingen"
    Anders: Sprich: Der amerikanische Traum lebt - sofern man daran glaubt?
    Grohl: Ich bin der festen Überzeugung: Wenn du leidenschaftlich und konzentriert bist, kann dir alles gelingen. Also kümmere dich nicht um die Meinung von anderen, sondern mach es so, wie du es für richtig hältst. Ich selbst habe ja auch keine Ahnung, wie man Regie führt, Schlagzeug spielt oder Songs schreibt. Ich tue es so, wie ich glaube, dass man es tut. Was nach gängigem Standard bestimmt völlig falsch ist. Aber egal. Ich denke, wenn man die Leute dahingehend ermutigt, dass sie frei und ungezwungen agieren, können dabei tolle Sachen entstehen.
    Anders: Das klingt, als würden Sie mit "Sonic Highways" gleich mehrere Missionen verfolgen: Einerseits musikalische Selbstverwirklichung mit den Foo Fighters, dann die Vermittlung von Musikgeschichte durch aufschlussreiche Interviews und - noch wichtiger - das Rekrutieren von Rock-Nachwuchs, dem sie prophezeien, dass alles möglich ist - sofern man nur will.
    Grohl: Stimmt. Den brauchen wir händeringend. Einfach, weil die aktuelle Popmusik in Amerika unfassbar oberflächlich ist. Sie hat keinerlei Bedeutung, keine Substanz, kein gar nichts. Sie ist sinnlos. Was ich jetzt nicht als frustrierter 45-jähriger Musiker sage, sondern als Mensch. Denn wenn die Nummer 1 in diesem Land von einem Hintern handelt, dann haben wir ein echtes Problem.
    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!
    Grohl: Thanks, man.