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"Nichts Neues, aber natürlich insgesamt symbolträchtig"

Die Forderung von US-Präsident Obama nach einer EU-Mitgliedschaft der Türkei hat Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien als "symbolträchtig" bezeichnet. Anders als die europäischen Staaten sähen die USA immer die strategische Perspektive eines solchen Beitritts als "Zementierung der westlichen Integration des Landes". In vielen EU-Staaten überwögen dagegen innenpolitische Perspektiven und Populismus, sagte Ulusoy.

Yunus Ulusoy im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Gestern hatte US-Präsident Obama in Prag angekündigt, konkrete Schritte hin zu einer atomwaffenfreien Welt unternehmen zu wollen. Diese Vision elektrisiert viele Politiker, Beobachter und Kommentatoren und bevor die Meldung richtig verdaut ist, ist der amerikanische Präsident bereits in der Türkei eingetroffen. Mit Spannung werden die Auftritte von Barack Obama in der Türkei verfolgt. Schon zuvor hatte der US-Präsident allerdings die Europäische Union aufgefordert, die Türkei als Vollmitglied in die Gemeinschaft aufzunehmen. Diese US-Position ist seit Jahren bekannt. Dennoch hat die Forderung Obamas auch hierzulande einmal mehr die Diskussion über einen türkischen EU-Beitritt auflodern lassen. Mitgehört hat Yunus Ulusoy. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentrum für Türkeistudien in Essen. Guten Tag, Herr Ulusoy.

    Yunus Ulusoy: Guten Tag.

    Engels: Wir haben gerade die deutsche Perspektive gehört, aber mit seinem Eintreten für einen EU-Beitritt in der Türkei hat Barack Obama doch viele Sympathiepunkte bei den Türken gesammelt, oder?

    Ulusoy: Das ist nicht neu im türkisch-amerikanischen Verhältnis. Für die USA bedeutet die Mitgliedschaft der Türkei die Zementierung der westlichen Integration des Landes und diese Tradition greift einfach Obama wieder auf. Insofern nichts Neues, aber natürlich insgesamt symbolträchtig. Anders als die europäischen Staaten sieht Amerika, die USA, immer die strategische Perspektive und für die europäischen Staaten kommt immer die innenpolitische Perspektive hinzu, Populismus hinzu. Die Beiträge, die ich vorhin mitgehört hatte, sind so ein Zeichen dafür. Deshalb sind die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU immer belastet, weil die Türkei einerseits mit der Mitgliedschaft des Landes in der EU die Vollendung der westlichen Integration anschaut und für die Europäer kommen immer die tagespolitischen, innenpolitischen Argumente hinzu.

    Engels: Nun wird ja in der EU gerade der kürzlich erfolgte Widerstand der Türkei gegen die Nominierung des dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen zum NATO-Generalsekretär als Beispiel dafür begriffen, wie kompromisslos auch ein EU-Mitglied Türkei auftreten könnte. Hat sich die Führung hier mittelfristig das Leben vielleicht selbst schwer gemacht?

    Ulusoy: Man kann es von der europäischen Perspektive so sehen. Die Türken sagen, es ging um einen NATO-Beschluss und die EU27 haben Rasmussen befürwortet und die Türkei saß nicht mit am Tisch. Insofern hat die Türkei vielleicht anders als früher die eigenen Interessen stärker artikuliert. Man muss auch die Sensibilitäten des Landes und eines Landes mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit verstehen. Wenn ich vorhin von innenpolitischen, auch populistischen Argumenten der Europäer gesprochen habe, gibt es natürlich auch diese innenpolitischen und populistischen Argumente in der Türkei. Insofern musste und hat sich Erdogan so positioniert und vom Ergebnis her hat die Türkei, glaube ich, nicht verloren.

    Engels: Herr Ulusoy, kommen wir auf mögliche Konflikte im US-türkischen Verhältnis zu sprechen. Da ist ja das Stichwort Armenien zu nennen. Barack Obama hat noch in seinem Wahlkampf die Massenmorde von Türken an Armeniern als Genozid bezeichnet, zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Wie wird das nun in der Türkei gesehen? Ist da die Angst, dass er es offen anspricht?

    Ulusoy: Die Angst belastet immer das Verhältnis der Türkei zu den USA, auch jetzt zu der neuen US-Administration. Die Türkei hat in den letzten Jahren einen Tabubruch begonnen. Es gibt eine Verbesserung der Beziehungen zu Armenien. In der Türkei wird über das Massaker an die armenische Bevölkerung heute offen diskutiert und die Türkei hofft, dass die US-Administration die strategischen Interessen in den Vordergrund stellen wird und das türkisch-amerikanische Verhältnis, aber auch das türkisch-armenische Verhältnis durch eine solche Aussage nicht belasten wird.

    Engels: Ein anderer Konfliktpunkt könnte die Haltung zu Israel sein. Zuletzt hat Ministerpräsident Erdogan Israel deutlich kritisiert. Können das denn die traditionell israelfreundlichen USA kalt lassen?

    Ulusoy: Die Türkei hat einfach die Affinität der muslimischen Welt selbst zum Ausdruck gebracht. Die Türkei unterhält strategische Bindungen zu Israel. Gleichzeitig ist sie ein Land mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Das Verhältnis der Türkei zum Nahost-Konflikt hat sich heute neu entwickelt und ist, glaube ich, eher auch ein Gewinn für die neue US-Administration, die auf Dialog setzt, und ein Dialogpartner Türkei, der in der islamischen Welt glaubwürdig ist und gleichzeitig auch einen kritischen Kontakt zu Israel aufrecht erhält, ist keine Belastung, sondern eher ein Gewinn. Deshalb besucht unter anderem auch Präsident Obama die Türkei, denke ich.

    Engels: Letzte Frage. Die Türkei und die USA arbeiten sicherheitspolitisch sehr eng zusammen. Überspitzt gefragt: Kann sich die Türkei deshalb gegenüber den USA zurzeit vieles herausnehmen?

    Ulusoy: Nein, das nicht. Die Türkei hat in den letzten Jahren ein belastetes Verhältnis zur Bush-Administration gehabt, insbesondere aufgrund der Entwicklungen im Irak, insbesondere der Sicherheitslage im Nord-Irak, das Einfallen von PKK-Terroristen aus dem Nord-Irak. Deshalb brauchen beide Länder einander, die USA braucht die Türkei im Kampf gegen den Terrorismus und die Türkei für seine eigenen Sicherheitsinteressen.

    Engels: Yunus Ulusoy, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentrum für Türkeistudien in Essen. Vielen Dank für dieses Gespräch.