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Niedersachsens Wirtschaftsminister
"Ich wünsche mir eine offenere, intensivere Kommunikation von Volkswagen"

Volkswagen und weitere Autobauer stehen unter Verdacht, das Kartellrecht durch Absprachen in Arbeitskreisen verletzt zu haben. Nach der Diesel-Affäre löse dieser Vorwurf erneut Misstrauen bei Kunden aus, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Liesen im Dlf. Nur mit "maximaler Transparenz" könne Vertrauen zurückgewonnen werden.

Olaf Lies im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD)
    Durch sein Amt als Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister ist Olaf Lies auch Mitglied im Aufsichtsrat von Volkswagen. (dpa/Holger Hollemann)
    Ann-Kathrin Büüsker: Dunkle Wolken schweben derzeit über Wolfsburg, und das ist keine Anspielung auf den Dauerregen in Südniedersachsen. Über der Konzernzentrale von Volkswagen braut sich seit dem Wochenende Ungemach zusammen. Der Vorwurf: Zusammen mit anderen Autoherstellern habe es Arbeitskreise gegeben, die unter Umständen kartellrechtlich relevant sein könnten. Auf gut Deutsch gesagt: Man hat zusammengesessen, Dinge abgesprochen und dabei unter Umständen die Grenzen des Erlaubten überschritten – das wird jetzt in Brüssel geprüft. Solche Verfahren dauern in der Regel lange, und am Ende könnte, wenn denn tatsächlich gegen Kartellrecht verstoßen wurde, eine ordentliche Strafe stehen. Und das alles in einer Zeit, in der man ohnehin mit dem Skandal über manipulierte Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen genug Ärger hat. Automobilkonzerne, aber auch die Politik, geben sich seit dem Wochenende sehr bedeckt. Weder das Bundesverkehrsministerium noch das Umweltministerium wollten uns in dieser Woche für ein Interview zur Verfügung stehen. Am Telefon ist jetzt aber einer, der mitten aus dem Auge des Sturms zu uns kommt, nämlich aus der Krisensitzung des Aufsichtsrats von Volkswagen gestern, Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies, SPD. Guten Morgen!
    Olaf Lies: Guten Morgen, Frau Büüsker!
    Büüsker: Herr Lies, Sie sind ja qua Amt Mitglied im Aufsichtsrat von Volkswagen – wie wütend sind Sie im Moment auf den Konzern?
    Lies: Das ist schon eine besonders schwierige Situation, weil wir jetzt seit fast zwei Jahren die Dieselproblematik, den Dieselskandal abarbeiten, wirklich dabei sind, davon bin ich überzeugt, auch Vertrauen bei den Kunden wiederzugewinnen. Und eine solche Diskussion löst natürlich wieder Kritik und Misstrauen aus, und das bereitet mir auch gerade mit Blick auf die vielen Beschäftigten insgesamt in der Automobilindustrie große Sorge. Um die muss es uns ja genauso gehen. Das ist ein ganz wichtiger Wirtschaftszweig in Deutschland, und der darf natürlich nicht gefährdet werden.
    Büüsker: Also hat es gestern bei der Aufsichtsratssitzung ordentlich geknallt?
    Lies: Das war ein sehr intensiver und offener Dialog, den wir dort geführt haben. Der war notwendig und richtig.
    Büüsker: Was haben Sie denn dem Vorstand gesagt?
    Lies: Das ist natürlich eine vertrauliche Sitzung, wo ich Ihnen natürlich keine Details nennen kann. Aber eines ist auch klar: Wir wollen über diese Angelegenheit vollumfänglich informiert werden, zukünftig auch vorher vollumfänglich informiert werden, sodass wir uns auch ein Bild davon machen können. Wir haben die Erwartung ans Unternehmen, dass sie jetzt intensiv mit den zuständigen Kartellbehörden zusammenarbeiten, auch denen entsprechend ihrer Informationswünsche Rechnung tragen, sodass es wirklich auch möglich wird, diesen Sachverhalt, der ja dann bei der EU-Kommission liegt, zügig in Anführungsstrichen, so zügig es geht, zu klären.
    Büüsker: Sie haben jetzt gerade darauf verwiesen, dass Sie nichts sagen dürfen. Das hat Ministerpräsident Stefan Wall gestern auch getan. Er hat auf die Verschwiegenheitspflicht verwiesen. Nun ist es aber so, dass sie beide auch gewählte Parlamentarier sind und damit auch den Wählerinnen und Wählern verpflichtet sind, die ja nun gerade ein enormes Interesse an der Aufklärung haben, weil sie entweder bei Volkswagen arbeiten oder weil sie vielleicht auch einen Volkswagen fahren. Ist die Konzernbeteiligung hier wichtiger?
    Lies: Nein, wichtig ist die Landesbeteiligung bei Volkswagen, die bleibt wichtig. Und wichtig ist auch, da haben Sie völlig recht, auch das Informationsrecht der Öffentlichkeit, übrigens auch das Informationsrecht des Parlaments. Auch da ist es gar nicht leicht, auf der einen Seite dem Aktienrecht gerecht zu werden und auf der anderen Seite auch dem Informationsbedürfnis der Parlamentarier. Und deswegen muss es auch so sein. Ich wünsche mir, dass der Volkswagen-Vorstand eine möglichst offene Kommunikation mit der Öffentlichkeit in dieser Angelegenheit führt. Natürlich muss man die rechtlichen Bedingungen einhalten, aber der Aufsichtsrat und auch wir als Landesvertreter sind ja nicht die Pressesprecher von Volkswagen. Und ich wünsche mir eine offenere, eine intensivere Kommunikation von Volkswagen mit der Öffentlichkeit, natürlich gezielt vom Vorstand Volkswagens mit der Öffentlichkeit.
    Austausch und Wettbewerbsneutralität
    Büüsker: Wie erklären Sie sich denn dann, dass die Bundesregierung gerade auch so mauert?
    Lies: Ich glaube, alle achten jetzt sehr genau darauf, was ist denn eigentlich passiert. Ich kann das überhaupt auch nach einer wirklich sehr umfangreichen Sitzung, die wir gestern hatten, wo wir eine Vielzahl von Fragen gestellt haben und auch eine ganze Reihe von Antworten bekommen haben, kann ich nur sagen, gerade diese Diskussionen, die dort in diesen Gruppen stattgefunden haben, in den Arbeitsgruppen oder Sitzungen, ein wirklich außerordentlich umfangreicher Sachverhalt, eine ganze Menge von technischen Details, und man merkt dabei, dass es ganz schwer ist, aus diesem Sachverhalt, und das wird dann ja die Aufgabe der Kommission dann sein, zu klären, was ist eigentlich erlaubt an Austausch, und damit, so ist der Begriff, wettbewerbsneutral, und wo ist die Grenze eigentlich bei dieser Zusammenkunft überschritten? Weil dass die zusammensitzen und sich austauschen, das ist ja erstmal nichts Falsches, sondern die Frage ist, gibt es eine Grenze, wo genau diese Wettbewerbsneutralität, die gesichert sein muss, überschritten wurde. Und das ist ein äußerst schwer zu klärender Sachverhalt. Insofern bin ich auch der Bundesregierung dankbar, jetzt nicht voreilig konsequent Schlüsse draus zu ziehen, vorzuverurteilen oder zu sagen, jetzt erwarten wir maximale Transparenz und Aufklärung, denn das Ganze muss immer im Rahmen des Gesetzes stattfinden, darauf legen wir alle sehr viel Wert.
    Büüsker: Ja, aber selbst, wenn das Ganze kartellrechtlich gerade so noch in Ordnung sein sollte, wie können sich denn die Kunden sicher sein, dass die Konzerne, die Autoindustrie gerade wirklich alles versucht, um die beste Innovation zu liefern?
    Lies: Warum ist die Annahme – und daran merkt man, glaube ich, wie sich der Blick auf die Automobilindustrie natürlich auch erheblich gewandelt hat in den letzten Jahren. Wir sind ja eigentlich stolz auf "Made in Germany", auf Produkte unserer Automobilhersteller, egal, wo sie in Deutschland sitzen …
    Büüsker: Ja, aber diese Marke ist doch jetzt total beschädigt jetzt, auch durch den Abgasskandal.
    Lies: Genau. Diese Marke ist total beschädigt, da haben Sie völlig recht. Und genau in diesem Feld sozusagen der Verunsicherung, der Verärgerung auch über die Automobilindustrie, kommt sozusagen diese Situation, die ja aber viel länger schon andauert, dass man zusammensitzt, und die das Ziel hat, und das, glaube ich, wäre ja zunächst mal positiv, auch über Strukturen, die man definiert, über Rahmenbedingungen, die man definiert, das durchaus zum Wohl des Kunden oder zum Wohl der Zulieferindustrie zu machen, aber –
    "Der Fehler entsteht dann, wenn rechtlich zulässige Grenzen überschritten werden"
    Büüsker: Aber Herr Lies, wie dient das denn dem Wohl der Kunden, wenn die Harnstoffbehälter in den USA größer sind als in Europa? Das hat doch mit Innovation nichts zu tun.
    Lies: Das hat im Moment was mit der Botschaft zu tun, dass es um die Tankinfrastruktur geht. Dieser Fall, da gebe ich Ihnen völlig recht, der muss genau geklärt werden. Und es muss wirklich, das sehe ich genauso, genau erklärt werden, wo die Grenze überschritten wird. Aber was wir nicht machen dürfen, ist sozusagen jetzt zu sagen, das kann doch nicht sein, dass die Industrie zusammensitzt und sich über Dinge austauscht oder versucht, quasi Rahmenbedingungen zu setzen. Das ist nicht der Fehler. Der Fehler entsteht dann, wenn rechtlich zulässige Grenzen überschritten werden. Und da muss man sagen, das geht nicht, und da ist Kritik, wenn es denn so ist, auch angebracht. Aber da ist eben Vorverurteilung an dieser Stelle noch nicht angebracht.
    Büüsker: Viele Bürgerinnen und Bürger haben aber ja den Eindruck, dass sich Politik und Autoindustrie sehr nahe stehen, zu nahe. Müsste da die Politik nicht umso mehr zeigen, wir meinen das ernst, so geht das nicht.
    Lies: Na, auf jeden Fall. Das meinen wir auch ernst. Und nochmal, da haben wir auch allergrößtes Interesse dran, dass das aufgeklärt wird. Ich denke, der größte Fehler, den man machen könnte, wäre zu glauben, das versiegt wieder irgendwie in der Öffentlichkeit. Damit gewinnt man kein Vertrauen zurück, und damit schafft man es auch nicht, dieses zumindest deutlich angekratzte Bild wieder zu verbessern, sondern jetzt hilft nur Karten auf den Tisch legen, auch den Kunden – denn um die geht es natürlich auch gerade, wenn wir die verlieren, haben wir ein großes Problem – zu erklären, was dort eigentlich stattgefunden hat. Warum macht man das eigentlich, warum sitzt man zusammen, welche Details werden besprochen? Nur mit maximaler Transparenz schafft man es, das Misstrauen, dass natürlich in der Öffentlichkeit vorhanden ist, und das ist ja an der Stelle aus Sicht des Kunden absolut berechtigt, ein Stück weit wieder vom Tisch zu bekommen.
    "Arbeitskreise, die zum Teil schon seit Ende der 70er-Jahre tagen"
    Büüsker: Und da stehen dann am Ende unter Umständen auch personelle Konsequenzen in den Konzernen?
    Lies: Das ist ja eine Frage der Sachverhaltsermittlung. Jetzt wird man ja gucken müssen, wo waren denn die Grenzen überschritten. Ehrlicherweise reden wir natürlich auch von Arbeitskreisen, die zum Teil schon seit Ende der 70er-Jahre tagen. Es entsteht manchmal der Eindruck, als sei das eine neue Idee, die vor wenigen Jahren erfunden wurde. Das war schon immer so, übrigens in allen Branchen, dass man sich über technische Dinge austauscht, über Zukunftsinvestitionen austauscht, dass man vielleicht auch nicht nebeneinander arbeitet. Ich meine, bei der Elektromobilität haben wir lange diskutiert, warum gibt es verschiedene Stecker. Deswegen macht es ja Sinn, dass man sich auch austauscht und sagt, gibt es nicht eine Norm, auf die man sich verständigen kann. Wir müssen aufpassen, dass das Sinnvolle, was richtig ist, jetzt nicht genauso beiseite gewischt wird, sondern wir müssen das deutlich auf den Tisch legen, und das müssen die Automobilhersteller, die ja zusammengesessen haben, was falsch gelaufen ist. Und nur dann, wenn man sagt, das ist falsch gelaufen, hat man auch eine Chance, das verloren gegangene Vertrauen – und das ist an vielen Stellen verloren gegangen, wieder zurückzugewinnen.
    Büüsker: Herr Lies, Sie haben das Wort sinnvoll benutzt mit Blick auf das, was in diesen Arbeitskreisen besprochen wurde. Da sollen sinnvolle Dinge bei rumkommen. Warum hält dann die Automobilindustrie in Deutschland kollektiv immer noch am Diesel fest?
    Lies: Der Diesel ist ja eine Konsequenz der EU-Richtlinien und -Regelungen. Dort hat man gesagt, wir wollen den CO2-Ausstoß in Europa erheblich reduzieren, das 95-Gramm-Ziel 2020 erreichen …
    Büüsker: Herr Lies, aber nirgendwo ist man so auf den Diesel fixiert wie bei uns in Deutschland.
    Lies: Wie bei uns in Europa, muss man sagen. Das würde ich jetzt nicht reduzieren wollen auf Deutschland.
    Büüsker: Aber Frankreich und Großbritannien sagen gerade, Verbrennungsmotor bis 2040 – tschüss.
    Lies: Ja, daran muss man auch mal überlegen, und da bitte ich auch mal die Politik ein bisschen um Vorsicht. Unsere Automobilhersteller, gerade die deutschen Automobilhersteller, produzieren für einen Weltmarkt, und wir entwickeln hier Motoren für einen Weltmarkt, entwickeln wir anständige Motoren, darüber reden wir jetzt nur. Und die entwickeln wir ja nicht für unseren lokalen Markt. Wir bauen ja nicht für Deutschland oder für Europa Autos. Das heißt, wir können da keine singuläre Entscheidung treffen, in Deutschland gibt es 2030 oder 2040 keine Verbrenner mehr. Das ist vielleicht eine Entwicklung, die sich dahin ergibt. Aber wir müssen ja überlegen, dass wir für den Weltmarkt produzieren. Aber was man machen muss, ist doch, mit sehr viel mehr Nachdruck die Elektromobilität voranbringen, mit sehr viel mehr Nachdruck vielleicht über die Frage auch von synthetischen Kraftstoffen reden, Power to gas, ich meine, wir haben die erneuerbaren Energien, warum nutzen wir sie nicht? Das macht Sinn. Und da will ich nur erinnern, das was andere Länder machen, auf Elektromobilität setzen, aber den Strom, den sie dafür brauchen, mit Kohlekraftwerken erzeugen, das ist nun wirklich schlechter als jeder Diesel. Also insofern, das gehört dann, finde ich, zur Wahrheit auch dazu.
    "Volkswagen wird 2019 sein erstes Volumenelektrofahrzeug auf den Weg bringen"
    Büüsker: Aber wieso kann Volvo schon ab 2019 auf E-Motoren umstellen, aber die deutschen Hersteller nicht.
    Lies: Auch das macht Volvo ja nicht. Volvo hat ja gesagt, ab 2019 entwickeln wir keine neuen Verbrennungsmotoren mehr. Und was Volvo macht, ist, sie steigen auf den Hybrid ein. Der Hybrid soll ja die Lösung bringen, ein Mix aus Verbrennungsmotor und Elektromotor. Das ist, sagen wir mal, ein ganz interessanter Weg für den Übergang, weil man damit übrigens auch die Durchschnittsemissionen deutlich senkt. Das ist aber ja kein Schritt, den man zukunftsfähig geht. Volkswagen, wenn ich mal nur fürs Unternehmen Volkswagen spreche, wird 2019 sein erstes Volumenelektrofahrzeug auf den Weg bringen und auf den Markt bringen, 2020 folgt das nächste. Das wird, davon bin ich überzeugt, ein wichtiger Meilenstein, wenn nicht sogar der Durchbruch auch für die Elektromobilität sein. Das werden ja die anderen Hersteller ähnlich machen. Das heißt, wir sind genau auf diesem Weg. Da gibt es überhaupt keine Zweifel dran, auch bei den Herstellern nicht. Und man kann jetzt nicht mal eben – lasst uns doch mal eben beschließen, 2030 gibt es keinen Diesel mehr, wenn man nicht abschätzen kann an dieser Stelle, ob wir mit allen anderen Maßnahmen in der Lage sind, die CO2-Emissionen, um die ging es uns auch mal, jetzt reden wir nur noch über Stickoxide, vorher haben wir nur über CO2 gesprochen –, in erheblichem Maße zu senken.
    Büüsker: Also aus Ihrer Sicht, wir brauchen den Diesel noch eine Weile.
    Lies: Aus meiner Sicht brauchen wir den Verbrennungsmotor noch eine Weile. Ich glaube, dass das Image des Diesels allerdings so angekratzt ist, dass er sich schwerer am Markt platzieren lässt, als es in der Vergangenheit der Fall war. Aber den Verbrennungsmotor, den werden wir brauchen. Aber beim Verbrennungsmotor werden wir auch über andere Alternativen wie zum Beispiel synthetische Kraftstoffe reden müssen. Auch das – nicht alles zur 100-Prozent-Lösung – kann einen Teilbeitrag dazu leisten, sowohl die NOx-Emissionen, aber auch die CO2-Emissionen zu senken.
    Büüsker: Sagt Olaf Nies, Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister. Vielen Dank für das Interview heute Morgen im Deutschlandfunk!
    Lies: Ich danke Ihnen, Frau Büüsker!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.