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Norbert Röttgen
"Es gibt immer noch keine US-amerikanische Außenpolitik"

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hält die USA derzeit nicht für einen verlässlichen Partner. In seiner Zentrale funktioniere das politische System dort momentan nicht, sagte er im DLF. In der Regierung seien immer noch viele Posten unbesetzt - und bei den Zuständen im Weißen Haus sei es schwierig, neue Leute zu finden.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 18.05.2017
    Außenaufnahme: Der ehemalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen, im Hintergrund ist eine große Rasenfläche zu sehen
    Norbert Röttgen im Sommer 2015 (Jörg Carstensen/dpa )
    Ann-Kathrin Büüsker: Das ist das Signal aus Berlin nach Washington: Ihr seid unser Partner. Aber wie hat sich die Partnerschaft verändert? Darüber möchte ich jetzt mit Norbert Röttgen sprechen. Der CDU-Politiker ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Röttgen, ich erlebe das bei mir in meinem privaten wie journalistischen Umfeld: Wenn man morgens aufwacht, dann greift man direkt mit der Erwartungshaltung zum Handy – wollen wir mal sehen, was letzte Nacht wieder Verrücktes in den USA passiert ist. Geht Ihnen das ähnlich?
    Röttgen: Ja, ich glaube, das geht mir so. Es geht Ihnen so, es geht sehr vielen so, und es drückt unsere innere Beziehung, glaube ich, zu den USA aus. Nicht nur reines politisches Interesse, sondern wir fühlen uns auch irgendwie selber betroffen davon.
    Büüsker: Das ist aber kein richtig gutes Zeichen für eine internationale Partnerschaft.
    Röttgen: Doch. An sich ist das ein sehr gutes Zeichen für eine gute internationale Partnerschaft, weil sie wahrscheinlich sogar zu den USA, vielleicht noch zu Frankreich, so tief auch emotional in einer inneren Verbindung unterlegt ist, dass wir in gewisser Weise, ich würde das für viele behaupten, mitleiden, was wir dort gerade erleben.
    "Ein Mitleiden mit dem, was man dort erlebt"
    Büüsker: Aber wenn wir uns Sorgen machen müssen, was der US-Präsident jetzt wieder angestellt hat, das ist ja irgendwie nicht so richtig zuverlässig.
    Röttgen: Nein, ganz klar. Die gegenwärtige Situation ist nicht erfreulich. Aber ich wollte das Positive hervorheben. Das ist die wirklich tiefe Verbundenheit, die wir haben. Die führt zu einem Mitleiden mit dem, was man dort jetzt nahezu täglich erlebt. Heute Morgen sind wir immerhin aufgewacht mit der Information, dass es einen Sonderermittler gibt. Das ist etwas Positives. Das zeigt, dass das System funktioniert. Aber in seiner Zentrale funktioniert das politische System im Moment nicht. Das ist unbestreitbar.
    Büüsker: Herr Röttgen, Matthias Döpfner, der hat für die Welt etwas sehr Interessantes geschrieben. Das würde ich gerne zitieren: "Jeder, dem Amerika am Herzen liegt, muss in Trump mittlerweile einen Gegner der Werte sehen, für die die Weltleitmacht der Demokratie immer gestanden hat." Würden Sie dem zustimmen?
    Röttgen: Er ist jedenfalls so gestartet. Das ist unbestreitbar. Und der prägnanteste, präziseste Ausdruck dessen, was Döpfner dort beschreibt, hat sich immerhin in der Inaugurationsrede von Donald Trump gefunden. Es ist andererseits nicht eine klare Linie in dem, was er beschreibt. Es gibt auch in der Außenpolitik Personalentscheidungen, die sind sozusagen realpolitische Entscheidungen. Es gibt Sachentscheidungen gegenüber Syrien, auch im Verhältnis gegenüber China, das ist realpolitisch geprägt. Und die Akteure sind auch verantwortlich und setzen auf Diplomatie und in ihrem Handeln drückt sich nicht die Rhetorik des Präsidenten aus. Er ist ideologisch so gestartet. Stephen Bannon ist sozusagen der Kopf einer ideologischen Gruppe, die antiwestlich ist. Das ist überhaupt keine Frage. Antimultilateral, antiliberal. Er drückt es ja auch so aus. Er versteckt das gar nicht. Dem gehört dem Ursprung nach Trump auch zu. Die Frage bleibt immer noch offen, in welche Richtung wird sich dann die Präsidentschaft vor allen Dingen auch in der Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln.
    "Es gibt immer noch keine US-amerikanische Außenpolitik"
    Büüsker: Aber, Herr Röttgen, wenn ich kurz einhaken darf? Ist die Richtung nicht klar, dass die Richtung im Grunde Chaos ist?
    Röttgen: Ich finde, man muss immer noch zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist das Weiße Haus selber, das was wir jetzt erleben, die Einwirkung von Russland in den Wahlkampf und die Verbindung zu dem Team. Das ist etwas, was mehr und mehr auch die Beschäftigung in der Zentrale bei Trump und seinem engsten Team wird, und mit der Entlassung von Comey hat er gewissermaßen einen Brandbeschleuniger in diese ganze Affäre geworfen, die auch eine Selbstbelastung und eine Belastung ist. Auf der anderen Seite bleiben die USA ein funktionierendes politisches System. Das was Döpfner für Trump geschrieben hat, ist nicht die USA. Und wie sich das entwickelt, da gibt es auch positive Zeichen. Aber was man sagen muss: Es gibt immer noch keine US-amerikanische Außenpolitik. Das ist natürlich schon ein Faktor, der beunruhigend für sich genommen ist.
    Büüsker: Und wenn wir auf das State Departement gucken, da sind nach wie vor viele Schlüsselpositionen überhaupt nicht besetzt. Es fehlt an konkreten Ansprechpartnern. Wie reagieren Sie da als Politiker in Deutschland, wenn Sie mit den Außenpolitikern in den USA überhaupt in Kontakt treten wollen?
    Röttgen: Das tun wir ja. Sie haben recht. Die Regierung füllt sich. Es dauert immer eine gewisse Zeit, das muss man auch fairerweise sagen. Es sind 4.000 Jobs neu in der Regierung zu besetzen. Ungefähr tausend müssen durch den Senat. Das dauert immer lange. Aber es ist hier natürlich extrem verzögert, weil Trump und das Team nicht vorbereitet war auf diese Regierungsübernahme. Und jetzt wird es auch immer schwieriger, bei dem Zustand im Weißen Haus natürlich Leute zu finden. Trotzdem reisen wir. Ich reise selber so viel, wie ich noch nie gereist bin, jetzt in den letzten Monaten, auch in den kommenden Monaten. Wir treffen insofern natürlich dann auch immer noch Leute aus dem Alten. Die sind dann "acting" Beamte, führende Beamte im Ministerium, die noch aus der alten Zeit kommen. Auch im Kongress führen wir viele Gespräche. Das ist im Grunde alles noch der gute alte Geist, der doch da ist, auch im Kongress. Das spricht einerseits dafür, das System funktioniert. Aber neuere Ansprechpartner kommen langsam jetzt auch in die Gespräche rein. Gerade in dieser Woche war Dan Coats, der frühere Botschafter in Deutschland, der neue Koordinator der Geheimdienste da, den ich auch vorher in Washington gesprochen habe. Auch der neue CIA-Direktor war gemeinsam auf einer Konferenz. So langsam kommen die Kontakte. Aber auch die, die in den Ämtern sind, sind natürlich völlig verunsichert, was ist eigentlich unsere Politik.
    "Abwärtsspirale mit der Russland-Affäre"
    Büüsker: Sind die USA unter diesen Voraussetzungen dann für uns gerade ein verlässlicher Partner?
    Röttgen: Die USA, wie gesagt, haben unter Präsident Trump die Politik, die sie verfolgen wollen, noch nicht bestimmt. Es gibt noch keine amerikanische Außenpolitik. Es gibt noch keine Handelspolitik. Es gibt viel ideologische Rhetorik, noch kein Personal, das hinreichend aktionsfähig ist, und es gibt jetzt die Selbstbeschädigung und vielleicht eine Abwärtsspirale mit der Russland-Affäre, und das sind alles enorme Belastungen.
    Büüsker: Wenn ich kurz noch mal zusammenfassen darf: Wenn ich die Frage stelle, sind die USA im Moment ein zuverlässiger Partner, dann ist Ihre Antwort, noch nicht?
    Röttgen: Noch nicht – genau. Eine gute Antwort.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.