Mittwoch, 01. Mai 2024

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Nordkorea
"Es ist eine klassische Säuberung"

Die zahlreichen und schweren Vorwürfe gegen den hingerichteten nordkoreanischen Funktionär Jang Song Thaek deuten auf einen heftigen internen Machtkampf hin, erklärt Norbert Eschborn, Leiter des Auslandsbüros Korea der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul.

Norbert Eschborn im Gespräch mit Thielko Grieß | 13.12.2013
    Thielko Grieß: In Nordkorea gibt es ganz offenkundig einen Machtkampf an der Spitze der Führung, und den hat zumindest einer ganz offensichtlich verloren und bezahlt mit seinem Leben. Jang Song Thaek war einer der wichtigsten Berater des Staatschefs Kim Yong Un und seines Vaters. Er ist nun hingerichtet worden.
    Solche Meldungen aus Nordkorea, die sind oft kurz, oft widersprüchlich und verwickelt und deshalb nahezu eigentlich immer erklärungsbedürftig, und das wollen wir jetzt versuchen mit Norbert Eschborn, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Südkoreas Hauptstadt Seoul. - Herr Eschborn, guten Abend!
    Norbert Eschborn: Guten Abend!
    Grieß: Funktioniert Machtfestigung in Nordkorea nur, wenn man auch angeheiratete Mitglieder der Familie hinrichten lässt?
    Eschborn: Nein. Das war sicherlich ein außergewöhnlicher Schritt. Ich meine, er ist, wie Sie sagen, Jang Song Thaek ist nicht Blutsverwandtschaft gewesen, und auch die Ehe mit der Tante von Kim Yong Un hat ihn nicht schützen können, weil er sich von seiner Frau über viele Jahre bereits entfremdet hatte. Kim Yong Hi, diese Tante, ist ja alkoholkrank, sie hat hohe Funktionen in der Partei, aber tritt nicht mehr so in Erscheinung. Das war jetzt kein Hinderungsgrund mehr für diesen doch sehr drastischen Schritt. Von daher gehe ich davon aus, dass es wirklich einen ganz erheblichen Machtkampf im Hintergrund gibt, der auch noch nicht abgeschlossen ist. Ich gehe nicht davon aus, dass dies der letzte Schritt in diesem ganz bedeutenden Vorgang ist.
    Grieß: Bevor wir dazu kommen und darüber sprechen, was da noch kommen kann, lassen Sie uns zunächst mal auf die Vorwürfe schauen, die offiziell gemacht worden sind. Da geht es im Wesentlichen darum, dass der Hingerichtete ein leichtes Leben geführt habe, mit Anleihen aus der Playboy-Rubrik sozusagen. Schenken Sie dem Glauben?
    Nur noch der höchste Mann ist übrig
    Eschborn: Man kann für alles einen Vorwand finden, auch in einer stalinistischen Diktatur wie Nordkorea. Tatsache ist, dass dieser Mann praktisch uneingeschränkte Macht hatte und alles tun konnte, also auch sicherlich sich solche Vergnügungen leisten konnte. Ob das wirklich der Grund ist, da würde ich noch ein Fragezeichen dahinter machen. Wie gesagt, die Begründung ist ja sehr vielseitig. Das ganze Spektrum von Vorwürfen wird abgearbeitet. Daran kann man, glaube ich, ersehen, wie heftig die Auseinandersetzung im Hintergrund gewesen sein muss. Es hat nicht nur ein Grund gereicht, sondern man muss ihn jetzt mit vielen Vorwürfen aus dem Weg räumen.
    Grieß: Was denken Sie denn, was ist am triftigsten, am stichhaltigsten unter den Vorwürfen?
    Eschborn: Ich denke, dass es ein wirklicher Machtkampf war. Es geht nicht so sehr um den Generationenwechsel, sondern Kim Yong Un ist jetzt zwei Jahre in seiner Position. Er hat sicherlich schon jetzt Erfahrungen sammeln können. Er hat vielleicht auch jetzt eine Art Widerwillen entwickelt, ständig von Leuten umgeben zu sein, die bedeutend älter sind als er und die ihm vor zwei Jahren nach dem überraschenden Tod seines Vaters sozusagen als Regenten an die Seite gestellt worden sind. Man muss ja sehen: Von den acht Personen, die Kim Yong Ils Sarg vor zwei Jahren begleitet haben auf seinem letzten Weg, davon war einer Kim Yong Un und sieben hohe Vertreter aus Partei und Militär. Diese sieben sind jetzt alle weg. Es ist eine klassische Säuberung und nur noch der höchste Mann ist jetzt übrig. Es läuft darauf hinaus, dass Kim Yong Un hier eine ganz systematische Säuberung durchführt, bei der er am Ende als der unumstrittene Alleinherrscher dastehen wird.
    Grieß: Sie schließen sich den Beobachtern an, die die These vertreten, dass Kim Yong Un sich hier nun sozusagen brutal freischwimmt. Aber es gibt ja auch andere Beobachter, die meinen, nun habe Kim Yong Un möglicherweise einen Reformer verloren, einen Reformer, der dafür stand, sich das chinesische Wirtschaftsmodell zum Vorbild zu nehmen und Nordkorea vorsichtig zu öffnen.
    Südkorea befürchtet einen härteren Kurs des Nordens
    Eschborn: Das chinesische Modell sich zum Vorbild zu nehmen, heißt ja nicht, politische Reformen einzuleiten. Das chinesische Reformmodell besteht in der Einrichtung von Wirtschaftszonen und der Übernahme von marktwirtschaftlichen Elementen mit aller Zurückhaltung. Das heißt ja nicht politische Freiheiten oder Meinungsfreiheit oder Pressefreiheit. Ich halte diese Interpretation von Jangs möglichen Absichten für zu weitgehend. Jang wollte sicherlich ein Wirtschaftssystem mit chinesischer Prägung, das glaube ich schon. Aber ich bin nicht der Ansicht, dass man ihn deswegen als politischen Reformer oder Vertreter einer möglichen Öffnung charakterisieren kann.
    Grieß: Gibt es denn im Machtapparat Nordkoreas weitere Protagonisten einer möglichen Öffnung von Reformen?
    Eschborn: Ich würde jetzt sehr vorsichtig sein nach diesem Erlebnis, das Thema Öffnung zu vertiefen. Das haben alle sogenannten Nordkorea-Experten geglaubt, als Kim Yong Un vor zwei Jahren an die Macht kam - nur allein deshalb, weil er jung war, und man hat sehr stark auf seine angeblich westliche Ausbildung in der Schweiz gesetzt, ein Faktor, der sich ja mittlerweile als völlig bedeutungslos zu erweisen scheint. Ob es da noch Widersacher gibt oder Leute, die jetzt einen bestimmten expliziten Kurs in die eine oder andere Richtung verfolgen, lässt sich jetzt deshalb auch schwer sagen, weil nach meiner Kenntnis die Stimmung unter den Funktionären äußerst angespannt ist und wie bei jeder Säuberung man sich jetzt still verhält und wartet, wie die Dinge weitergehen, um sich nicht selbst zu gefährden.
    Grieß: Wir haben gerade in dem Beitrag unseres Korrespondenten gehört, dass Südkorea, das Land, in dem Sie leben, diese Entwicklung in Nordkorea mit Besorgnis verfolgt. Was bedeutet das?
    Eschborn: Auch in Südkorea ist man genauso wie im Rest der Welt teilweise ja nicht immer auf der Basis von Fakten an der Interpretation nordkoreanischer Vorgänge herangegangen, sondern man muss auch raten, man muss auch deuten, man muss die verschiedenen Erklärungsansätze gegeneinander abwägen. Jetzt befürchtet man allerdings, wenn man sich die Brutalität des Kim Yong Un vor Augen führt, dass Nordkorea auch gegenüber dem Süden wieder zu einer harten Linie zurückkehren könnte, militärisch, politisch, obwohl Kim Yong Un in seiner Neujahrsansprache 2013 ja eigentlich einen weicheren, konzilianteren Kurs der Verständigung oder der Annäherung an Südkorea angekündigt hat. Daran glaubt sicherlich hier im Moment niemand mehr.
    Grieß: Die gemeinsame Wirtschaftszone in Kaesong ist ja vorübergehend geschlossen worden, aber dann ja auch wieder geöffnet worden. Ist das ein Symbol, ein Zeichen für einen Zickzack-Kurs, oder kann man daraus irgendetwas ablesen?
    In Nordkorea gibt es immer mindestens zwei Erklärungsmöglichkeiten
    Eschborn: Ich glaube, Kaesong war in der nordkoreanischen Elite, speziell beim Militär nie völlig unumstritten. Es ist ja ein Angelpunkt, eine Schwelle zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Systemen und sicherlich von Seiten des Militärs hat es dagegen immer Vorbehalte gegeben. Kaesong war oder ist als Devisenbringer nach wie vor sehr wichtig, deshalb hat man es ja auch wieder aufgemacht. Es bringt etwas weniger als 100 Millionen US-Dollar für den Norden pro Jahr. Das sind unter den dortigen Verhältnissen schon wichtige Summen, man braucht das auch. Aber man darf nicht davon ausgehen, dass diese Einrichtungen der Sonderwirtschaftszonen in der Führung des Staates unumstritten sind. Jang Song Thaek wird eine Äußerung zugeschrieben, wonach er gesagt haben soll, in diesen Sonderwirtschaftszonen herrsche auch Korruption. Ich weiß nicht, ob man ihn deshalb auch unbedingt als Befürworter von Öffnung interpretieren kann.
    Grieß: Herr Eschborn, Nordkorea gilt als abgeschlossenes, als abgeschottetes Land. Wie verschaffen Sie sich eigentlich in Seoul ein Bild davon, was im Norden abläuft?
    Eschborn: Die, die sich mit Nordkorea beschäftigen, müssen sehr viele Daten sammeln, die auf der Welt in allen möglichen Ländern, vor allem auch in den USA reichlich vorhanden sind. Es gibt eine Menge Universitäten, die systematisch Informationen beschaffen.
    Grieß: Es gibt ja auch eine Menge Gerüchte, die im Raum sind, je nachdem welche Meldung kommt.
    Eschborn: Das Problem ist bloß, dass jetzt die Gerüchte alle wahr werden. Es gab das Gerücht vor 14 Tagen, dass Jang Song Thaek abgesetzt worden sei, das ist wahr geworden, und ich denke mal, das Gerücht ist immer die Vorstufe zu irgendetwas, was kommt.
    Man muss natürlich trotzdem vorsichtig sein. Es gibt für alle Vorgänge, die in Nordkorea passieren, mindestens zwei Erklärungsmöglichkeiten. Von daher ist eine vorsichtige Herangehensweise natürlich sehr wichtig.
    Grieß: Einblicke in den nordkoreanischen Machtkampf aus Südkorea mit Norbert Eschborn, dem Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. Herr Eschborn, danke für das Gespräch.
    Eschborn: Sehr gerne!
    Grieß: Und einen schönen Tag, bei Ihnen einen schönen Abend.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.