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NSA-Spionagelisten
Kurt Graulich ermittelt

Der ehemalige Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich hat einen Job, der absolute Verschwiegenheit voraussetzt. Der Sonderermittler der Bundesregierung zur Überprüfung der Liste mit NSA-Spionagezielen hat in dieser Woche seine Arbeit aufgenommen. Keine leichte Kost.

Von Michael Götschenberg | 22.07.2015
    Kurt Graulich sitzt in roter Robe hinter der Richterbank in einem Gerichtssaal.
    Kurt Graulich im Jahr 2013, als er noch Richter am Bundesverwaltungsgericht war. (dpa / Jan Woitas)
    Keine Interviews mehr, bis der Bericht fertig ist. Kurt Graulich ist für niemanden mehr zu sprechen "Verschwiegenheit ist die Grundvoraussetzung, um eine solche Aufgabe zu übernehmen", sagte Graulich vor drei Wochen in einem Interview mit der ARD.
    Diese Woche hat er angefangen. Graulich sitzt im neuen BND-Komplex in der Berliner Chausseestraße. In dem Gebäude also, das zuletzt von sich Reden machte, weil es unter Wasser stand, nachdem die Wasserhähne gestohlen worden waren. Einen Teil des Areals hat der BND bereits in Benutzung, hier hat der Sonderermittler einige Büros bezogen. Unterstützt wird er von einigen Mitarbeitern, die der BND ihm zur Verfügung gestellt hat. Es sind vor allem technische Experten, die Graulich das System der NSA-Selektoren erklären sollen. Keine leichte Kost. Ohne technischen Sachverstand an seiner Seite hätte Graulich wohl keine Chance.
    Tausende NSA-Spionageziele werden beäugt
    Wochen lang wird sich der Sonderermittler nun über Listen mit Tausenden NSA-Spionagezielen, sogenannte Selektoren beugen, Telefonnummern, E-Mail und IP-Adressen, Suchbegriffe – wie viele es sind, ist nicht sicher. Graulich ist der Einzige außerhalb von BND und Kanzleramt, der Einblick in diese List erhält, anstelle der Mitglieder des Bundestagsuntersuchungsausschusses. Die Befürchtung, die von der US-Regierung als streng geheim eingestuften Spionageziele könnten öffentlich werden, das will das Kanzleramt in jeden Fall verhindern.
    Für jedermann auf WikiLeaks einsehbar
    Dabei wird seit Wochen längst öffentlich, was Sonderermittler Graulich weiterhin geheim halten soll. Auf WikiLeaks sind Spionageziele der NSA in Deutschland und Frankreich für jedermann einsehbar. Darunter zahlreiche Telefonnummern im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt, im Wirtschafts-, Finanz- und Landwirtschaftsministerium, aber auch in der französischen Regierung bis in zu den Mobiltelefonen von Präsidenten, Ministern und Regierungschefs.
    So komfortabel wird Kurt Graulich es wohl nicht haben. Er wird viel mehr vor dem Problem stehen, das Material überhaupt zu durchdringen. Vor allem bei zahlreichen Telefonnummern wird nicht klar sein, wer sich überhaupt dahinter verbirgt. Graulich muss sich dabei nicht nur auf den technischen Sachverstand von BND-Mitarbeitern verlassen, sondern auch darauf, dass der BND ihm das ganze Material zur Verfügung gestellt hat. "Ich werde das analysieren, was man mir vorlegt. Ob es darüber hinaus eventuell noch Dinge von Interesse gibt, müssen andere klären. Das ist nicht meine Aufgabe", sagte Graulich vor drei Wochen. Als Detektiv sei er nicht beauftragt.
    Eingesetzt von der Bundesregierung
    Ende der parlamentarischen Sommerpause, also im September, soll er seinen Bericht vorlegen, ob er bis dahin fertig ist, ist allerdings offen. Das Problem dabei: Während jedermann bei WikiLeaks nachsehen kann, wen die NSA ausspähen wollte, wird Graulich in seinem Bericht für den NSA-Untersuchungsausschuss nicht Ross und Reiter nennen können, sondern lediglich eine Bewertung abgeben können. Denn: Graulich ist zur Geheimhaltung verpflichtet. Nicht der Bundestag, sondern die Bundesregierung hat ihn eingesetzt. Er wird auch nicht, wie zwischenzeitlich gemutmaßt wurde, vom Bundestag bezahlt, sondern von der Regierung.
    Grüne und Linke wollen vor Bundesverfassungsgericht klagen
    "Ich glaube auch, dass es weniger interessant ist, was dort möglicherweise an Details herauskommt, aber die politische Interpretation wird wichtig sein", meinte Graulich vor drei Wochen. Doch da dürfte er sich täuschen. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses werden das wohl anders sehen. Der Konflikt ist absehbar. Grüne und Linke haben deshalb schon angekündigt, dass sie beim Bundesverfassungsgericht auf Herausgabe der NSA-Spionageziele klagen wollen.