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Obdachlose in Griechenland
Führung durch die Hinterhöfe Athens

Die Wirtschaftskrise hat die Griechen besonders hart getroffen - auf Arbeitslosigkeit folgte häufig ein Leben auf der Straße. Doch einige der Obdachlosen haben nun einen neuen Job: Sie organisieren Stadtführungen in die dunklen Ecken Athens.

Von Thomas Bormann | 22.10.2014
    Ein Obdachloser liegt auf seinem Schlafplatz auf dem Bürgersteig vor einer Filiale der Emporiki Bank in Athen
    Obdachloser in Athen (picture alliance / dpa / Michael Anhaeuser)
    Labros Moustakis zeigt den Teilnehmern seiner Stadtführung nicht die Akropolis oder das antike Olympia-Stadion, nein, er führt seine Gäste in die schäbigsten Winkel Athens: Leer stehende Ruinen, in denen Obdachlose nachts auf Pappkartons schlafen; Hinterhöfe von Kirchen, in denen Gemeindemitglieder jeden Mittag eine kostenlose Suppe an verarmte Rentner austeilen. Oder auch jene dunklen Ecken in Athen, an denen sich Labros Moustakis in seinen schlimmsten Zeiten mit Drogen versorgt hatte. Es ist wunderbar, jetzt als Fremdenführer wieder etwas zu tun zu haben, sagt der 52-Jährige:
    "Ich hatte ja erst Angst, ob ich wirklich hier vor allen Leuten sprechen kann. Aber vom ersten Moment an lief es. Als hätte mir jemand eine Tür geöffnet - eine neue Chance in meinem Leben."
    Labros Moustakis hatte früher einen guten Job in einem Hotel. Die Krise machte ihn arbeitslos; seine Ehe ging kaputt. Er landete auf der Straße.
    "Ich bin obdachlos und lebe derzeit in einer Notunterkunft. Diese Krise kam für mich wie ein Schlag ins Gesicht, aber ich hatte mir gesagt: Verdammt noch mal. Ich muss kämpfen - ich darf mich nicht unterkriegen lassen."
    Sein Freund Christos ist 50; er trägt lange Haare und einen Stoppelbart, er hat schon viele Jahre als Obdachloser auf dem Buckel - und zählt jetzt ebenfalls zu den obdachlosen Stadtführern:
    "Wenn meine Erfahrungen dazu beitragen, dass jemand den Obdachlosen hilft - also das wäre großartig. Wenn es die Herzen der Menschen berührt und sie dazu bringt, etwas zu geben - das würde mich glücklich machen."
    Bürger aus besseren Vierteln treffen auf Obdachlose
    Die meisten, die sich von Labros oder Christos durch die Hinterhöfe der griechischen Hauptstadt führen lassen, kommen selbst aus Athen. Bei dieser Führung aber fühlen sie sich wie in einer fremden Stadt. Vicky Pasomenou zum Beispiel wohnt in einem guten Viertel Athens mit schönen Villen und gepflegten Gärten. Sie ist tief beeindruckt von dieser Tour und vor allem von den Stadtführern:
    "Ich kann diese Führung nur empfehlen. Diese Menschen haben große Fähigkeiten. Sie können viel erreichen, wenn jemand sie unterstützt."
    Einmal die Woche bieten Labros, Christos und andere Athener Obdachlose eine Tour über die sogenannte "unsichtbare Route" an. So heißt diese völlig andere Art der Stadtführung. Hier treffen Touristen und Bürger aus den besseren Vierteln Athens auf Obdachlose; sie lernen sich kennen und schätzen.
    In Griechenland gibt es keine Sozialhilfe, Arbeitslosengeld wird höchstens zwei Jahre lang gezahlt. Wegen der Krise haben viele Griechen zuerst ihre Arbeit und dann ihre Wohnung verloren. Deshalb stieg die Zahl Obdachlosen in Griechenland in den letzten Jahren um etwa 30 Prozent an. Darauf will Christos Alefantis alle Griechen aufmerksam machen. Er ist der Chef der Athener Obdachlosenzeitung Shedia, er hatte die Idee zu diesen Stadtführungen. Und er findet sie besonders wichtig für die Obdachlosen selbst wichtig:
    "Alle werden Ihnen bestätigen, wie wichtig das Gefühl ist, dazu zu gehören, mit jemandem zu sprechen, Gedanken auszutauschen. Aber das ist nicht nur ein Schritt in Richtung Dazugehören zur Gesellschaft, sondern auch ein Schritt zu mehr Selbstachtung und Selbstbewusstsein."
    Und das ist wichtig für die Obdachlosen in Griechenland. Sie sehen sich als die größten Verlierer der Krise. Sie wollen endlich wieder zur Gesellschaft dazugehören.