Dr. Can Ansay ist kein Mediziner, sondern Jurist. Mit einem neuen Geschäftsmodell will er mit Krankschreibungen Geld verdienen. Can Ansay hält sein Smartphone in der Hand, ruft die Internetseite seines Start-up-Unternehmens auf: "AU-Schein.de".
"'AU-Schein.de' funktioniert so, dass der User auf der ersten Seite erstmal seine Erkältungssymptome angibt und einige Fragen beantwortet. Dann, auf der nächsten Seite muss er bestätigen, dass er zu keiner Risikogruppe gehört. Dann gibt er noch seine persönlichen Daten ein, bezahlt das Ganze per 'Paypal' und sendet dann seine Information per 'WhatsApp' an den Arzt. Der Arzt diagnostiziert dann in der Regel eine Erkältung, stellt die Krankschreibung aus und sendet sie ihm dann per 'Whatsapp' und dann noch im Original per Post."
App-Nutzung nicht bei schweren Erkrankungen möglich
Neun Euro kostet der Service, den seit dem Start vor zwei Wochen schon etwa 2.000 Menschen genutzt haben, erzählt Can Ansay. Nutzen kann ihn aber nur, wer nicht Symptome per Mausklick angibt, die zum Beispiel auf einen Herzinfarkt oder andere schwere Erkrankungen hindeuten. Gleich mehrere Probleme würden durch "AU-Schein.de" gelöst.
"Wir wollen wirklich nur Patienten mit einer einfachen Erkältung, die selber schon wissen, was sie haben, aber hier durch unser System genötigt werden, dann trotzdem nochmal stundenlang zum Arzt zu gehen, im Wartezimmer zu warten, obwohl sie in der Zeit viel besser regenerieren könnten. Und der Arzt hat durch unseren Service auch den Vorteil, dass er sich um die Patienten kümmern kann, die wirklich ernste Erkrankungen haben."
Natürlich könne der Service auch von Arbeitnehmern zum Blaumachen genutzt werden, räumt Ansay ein. Allerdings sei es aber auch möglich, einem Arzt gegenüber Symptome zu schildern, die der Mediziner nur schwer überprüfen kann. Außerdem darf die WhatsApp-Krankschreibung nur zwei Mal pro Jahr genutzt werden. Maximal drei Tage werden Ansays Kunden auf diese Weise krankgeschrieben. Und jeder Fall werde von "AU-Schein.de" durch einen ausgebildeten Arzt überprüft.
"Ich würde sagen, in jedem 20. Fall ruft mal ein Arzt den Patienten an, um dann eben Komplikationen auszuschließen oder einfach nochmal Gewissheit zu haben, dass da nichts Schlimmes vorliegt. Zum Beispiel, wenn der Patient sehr viele Symptome angeklickt hat."
Hamburger Ärztekammer hegt Zweifel am Angebot
Rechtlich möglich mache den Service eine Änderung der so genannten "Musterberufsordnung für Ärzte", erklärt Can Ansay. Vor allem in Schleswig-Holstein wurden mittlerweile die Einschränkungen beim Erstellen von Ferndiagnosen gelockert. Die von "AU-Schein.de" eingesetzten Ärzte würden deshalb von Schleswig-Holstein aus alle Bestellungen überprüfen. Nicht einmal eine Zulassung sei nötig. Kritisch beurteilt der Chef der Hamburger Ärztekammer das Angebot. Pedram Emami erklärte gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk:
"Wie er zu seiner Einschätzung kommt, das kann ich nicht beurteilen, das will ich auch nicht kommentieren. Ich kann nur sagen, wie wir damit umgehen. Und sicherlich ist es so, dass wir auch entsprechend juristisch überprüfen, wie wir gegen dieses Geschäftsmodell innerhalb von Hamburg vorgehen können und vorgehen werden."
Auch der Zusammenschluss der Krankenversicherungen, der GKV Spitzenverband, ist skeptisch, ob Ansays Geschäftsmodell zulässig ist. Unter anderem wegen möglicherweise unangemessener Vergütungen für die beteiligten Ärzte. Vor allem aber, weil es keinen direkten Kontakt zwischen Arzt und Patient gebe. Genau das hält auch der Kölner Fachanwalt für IT- und Internetrecht Christian Solmecke für bedenklich am neuen Krankschreibungsservice. Trotz der Lockerung der Vorschriften in puncto Ferndiagnosen.
"Hier ist fraglich, ob überhaupt eine Diagnose durch einen Arzt durchgeführt wird. Vielmehr sagt der Patient ja selbst, dass er Husten oder Schnupfen hat. Er selbst führt, jedenfalls in meinen Augen, die Diagnose durch. So dass man hier gar nicht von einer Diagnose sprechen kann. Die allerdings notwendig wäre, wenn ein Arzt eine korrekte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen möchte."
Ein Arbeitgeber wäre allerdings nicht dazu verpflichtet, die "AU-Bescheinigung" zu akzeptieren, erklärt Rechtsanwalt Solmecke. Wenn es denn so genannte "begründete Zweifel" am rechtmäßigen Zustandekommen der Bescheinigung gebe. Dann wären wiederum die Arbeitnehmer in der Pflicht. Dann könnte zum Beispiel der Ehemann als Zeuge eine Erklärung zur Erkältung abgeben.