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Opel
"Wenn es illegale Abschalteinrichtungen gibt, ist das der gleiche Fall wie VW"

Sollte sich die Abgasmanipulation bei Opel bestätigen, wäre das der richtige Moment für die Automobilbranche, ihren Widerstand gegen effiziente Prüfungen aufzugeben, sagte Kirsten Lühmann im Deutschlandfunk. Die verkehrspolitische Obfrau der SPD forderte die Unternehmen auf, auch die Software offenzulegen.

Kirsten Lühmann im Gespräch Christine Heuer | 13.05.2016
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann.
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann fordert effiziente Prüfungen in der Autobranche (imago/Gerhard Leber)
    Christine Heuer: Ist VW gar kein Einzelfall? Nutzen auch andere deutsche Automobilhersteller nicht nur das sogenannte Thermofenster bei der Abgasreinigung, sondern bauen ihre Autos ganz gezielt so, dass sie in der Regel viel mehr Schadstoffe ausstoßen, als behauptet wird? Wird also nicht nur eine Gesetzeslücke ausgenutzt, sondern gezielt betrogen? Diese Fragen stellen sich viele, seit der VW-Abgasskandal öffentlich wurde. Nun ist Opel ins Visier geraten. Ein Recherche-Team behauptet, dass auch Opel unbekannte Abschalteinrichtungen verbaut und so die Abgaswerte einiger Modelle manipuliert hat.
    Am Telefon in Berlin begrüße ich Kirsten Lühmann. Sie ist die SPD-Obfrau im Bundestagsverkehrsausschuss. Guten Tag.
    Kirsten Lühmann: Hallo, Frau Heuer.
    Heuer: Frau Lühmann, ich oute mich jetzt mal. Ich habe gerade einen Opel gekauft. Habe ich da einen schweren Fehler gemacht?
    Lühmann: Ich denke, nicht. Wenn Sie die Untersuchungen, die das Verkehrsministerium gemacht hat, sich anschauen, werden Sie sehen, dass die meisten Fahrzeuge in Deutschland mit diesen sogenannten Thermofenstern arbeiten und dass wir aber auch im Moment dabei sind, a) zu klären, was ist legal und was ist illegal, aber b) dafür zu sorgen, dass wir diese Regelungslücken, von denen eben im Beitrag gesprochen wurde, möglichst schnell schließen.
    Lühmann: Zugang zu Quellcodes muss gegeben sein
    Heuer: Aber nun sagt das Recherche-Team und sagt die Deutsche Umwelthilfe ja eindeutig, es geht nicht nur um diese Thermofenster-Ausnutzung, sondern zwei Modelle zumindest von Opel, nämlich der Zafira und der Astra, die führen in einem nicht legalen Modus. Das sind klare Vorwürfe. Glauben Sie die nicht?
    Lühmann: Ich finde es richtig, dass das Kraftfahrtbundesamt das jetzt überprüft, und da haben wir eine Schwierigkeit, die ich schon im September im Deutschen Bundestag angesprochen habe. Augenscheinlich hat die Umwelthilfe die Software gehackt, weil freiwillig kommt niemand da dran. Aber selbst das Kraftfahrtbundesamt, also die Behörde, die das überprüfen muss, kommt nicht an die Quellcodes heran, weil die Hersteller sich weigern, diese an die Prüforganisation herauszugeben. Das, finde ich, ist ein unhaltbarer Zustand. Wenn das Kraftfahrtbundesamt jetzt überprüfen soll und muss, ob der Zafira und übrigens auch andere Fahrzeuge eine Regelungslücke mit einem Thermofenster ausnutzen, oder ob sie illegale Abschalteinrichtungen verwenden, dann müssen sie Zugang zu diesen Quellcodes haben. Anders geht das gar nicht.
    Heuer: Das ist jetzt eine Forderung an Opel, oder an denjenigen, der es rausgefunden hat, nämlich die Deutsche Umwelthilfe?
    Lühmann: Nein. Das ist eine Forderung an die Automobilherstellenden insgesamt. Wir haben ein System, dass wir bei der Typprüfung Gutachten uns einholen von den Autoherstellenden, die darlegen, dass das Auto den Normen entspricht. Aber es muss möglich sein und die EU-Richtlinie gibt uns auch die Kompetenz dazu, Nachuntersuchungen durchführen zu können. Aber die Nachuntersuchungen allein auf dem Rollenprüfstand und auch mit den neuen Real Driving Emission Tests reichen für solche Sachen aus meiner Sicht nicht aus, und dann müssen wir Zugang haben zu der Software.
    Heuer: Aber ich verstehe Sie richtig, Frau Lühmann, solange das Kraftfahrtbundesamt nicht sagt, ja stimmt, die Deutsche Umwelthilfe hat recht, Opel hat illegale Abschaltvorrichtungen benutzt, glauben Sie das noch nicht so sicher?
    Lühmann: Es geht nicht um das, was ich glaube oder was ich nicht glaube, sondern was die rechtlichen Folgen sind. Wir wissen ja, dass der Zafira schon in den Tests vom Bundesverkehrsministerium in die Kategorie II eingestuft wurde, also die Kategorie, die Auffälligkeiten aufweist, und Opel hat sich ja schon bereit erklärt, die freiwillig zurückzurufen. Für mich stellt sich nämlich jetzt auch die Frage bei Opel und den anderen freiwilligen zurückrufenden Firmen: Was wollen die eigentlich bei dem Rückruf machen und was für Kriterien werden die Autos nach dem Rückruf erfüllen. Ich glaube, da müssen wir auch vonseiten des Kraftfahrtbundesamtes klare Vorgaben machen, und die können wir nur machen, wenn wir Beweise haben. Und ich bin sicher, dass das Kraftfahrtbundesamt, sollten die Vorwürfe der Umwelthilfe stimmen - und die haben ja wohl mit Fachleuten da nachgeprüft -, dann auch klare Vorgaben für Opel werden machen können.
    Lühmann: Widerstand gegen effiziente Prüfung aufgeben
    Heuer: Wenn herauskäme, es hat tatsächlich illegale Abschalteinrichtungen gegeben, dann halten wir mal fest: Opel ist genauso schlimm wie VW und für die ganze Branche auch in Deutschland ist noch Schlimmes zu befürchten?
    Lühmann: Wenn es illegale Abschalteinrichtungen gibt, ist das der gleiche Fall wie VW, und ich finde, für die gesamte Automobilbranche nicht nur in Deutschland wäre das jetzt der richtige Moment, diesen Widerstand aufzugeben gegen eine effiziente Prüfung. Denn das Vertrauen in die Automobilbranche kann jetzt nur dadurch wieder hergestellt werden, dass sie schonungslos alles offenlegen, und dazu gehört die Software.
    Heuer: Dazu gehört aber auch, dass man das nicht nur fordert, sondern vielleicht auch ein bisschen Druck aufbaut. Es ist die Frage unter anderem nach dem deutschen Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Frau Lühmann, wie, finden Sie, macht der seinen Job in dieser Situation?
    Lühmann: Dass er sofort nach Bekanntgabe der Vorwürfe diese Untersuchungskommission eingesetzt hat, die sich eben nicht nur auf VW beschränkt hat, sondern ganz, ganz viele Fahrzeuge unter die Lupe genommen hat, bei denen ja die Geschichte mit den Thermofenstern herausgefunden wurde, finde ich sehr gut. Jetzt müssen wir das Ergebnis dieser Tests auswerten und uns angucken, was wir an den Gesetzen verändern müssen, damit eine vernünftige Prüfung zukünftig möglich wird, dass wir also nicht erst wieder auf einen Skandal warten müssen, bevor wir so was feststellen können.
    "Wir brauchen jetzt Gesetze"
    Heuer: Aber es wird bei der Prüfung sehr viel Zeit ins Land gehen. Greenpeace zum Beispiel fordert heute den Rücktritt von Alexander Dobrindt, weil Greenpeace sagt, na ja, da wird auf Zeit gespielt und die Aufklärung wird auch so ein bisschen verschleppt beziehungsweise man lässt der Automobilbranche sehr lange Zeit.
    Lühmann: Nein. Wenn der Minister im Herbst letzten Jahres eine Untersuchungskommission gemacht hat, die untersuchen und auswerten musste und jetzt nach fünf Monaten ein Ergebnis vorlegt, finde ich, ist das ein angemessener Zeitraum. Die Vorwürfe sind erheblich und dann muss auch die Kontrolle dieser Vorwürfe und der Nachweis vernünftig und ernsthaft geführt werden. Das haben wir jetzt gemacht und jetzt sind wir angehalten, die entsprechenden Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen, und ich finde es wenig hilfreich, wenn wir morgen einen Untersuchungsausschuss beschließen zu der Abgasaffäre, bei der Fragen geklärt werden sollen, die dann noch bis weit ins nächste Jahr hineinreichen, und dann werden wir nämlich keine Zeit mehr haben, um die Ergebnisse dieses Untersuchungsausschusses noch in Gesetze umzusetzen. Ich möchte das schneller haben. Wir müssen jetzt auswerten, wir brauchen jetzt Gesetze.
    Heuer: Aber was spricht denn dagegen, wenn Sie schon den Untersuchungsausschuss ansprechen - das hätte ich gleich auch noch von mir aus getan, Frau Lühmann -, auch an dieser Stelle nachzuforschen?
    Lühmann: Da spricht nichts dagegen. Es gibt durchaus Dinge, die die Opposition wissen möchte, über die man reden kann. Aber sie haben als Opposition auch Fragen zu den Dingen, die wir hier gerade angesprochen haben: Zu der Frage, was ist mit den Thermofenstern, was ist mit den Abschalteinrichtungen, was ist mit dem Zugang zu den Quellcodes. Und da möchte ich bitte nicht bis zum Sommer nächsten Jahres warten, bis ich da konkrete Antworten habe, die ich gegebenenfalls in Gesetze umsetzen kann, sondern das wollen wir jetzt machen.
    Heuer: Kann aber doch sein, Frau Lühmann, dass Sie im Zuge der Befragungen in einem Untersuchungsausschuss auch schon neue Erkenntnisse dazugewinnen. Das wäre doch eine Win-Win-Situation.
    Lühmann: Das ist richtig. Wir werden den Untersuchungsausschuss auch machen. Wir werden die entsprechenden Experten hören. Aber ich möchte parallel zu diesem Untersuchungsausschuss aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung des Verkehrsministeriums mir das schon angucken und möglichst zeitnah Gesetzesänderungen hinkriegen, die eine effektive Kontrolle durch das Kraftfahrtbundesamt jetzt ermöglichen und nicht in der nächsten Legislatur.
    "Regelungslücke wurde ausgenutzt"
    Heuer: Nun ist ja, was Alexander Dobrindt so als Untersuchungsergebnis vorgelegt hat, vielleicht ein bisschen grob, aber unterm Strich so zu beschreiben: Bis auf VW haben die anderen Autohersteller zwar auch irgendwie so ein bisschen geschummelt, aber es war nicht illegal, die haben Gesetzeslücken, über die Sie ja auch schon gesprochen haben, Frau Lühmann, ausgenutzt.
    Das ist ja für die Verbraucher überhaupt nicht zufriedenstellend. Wenn ich jetzt höre, mein Opel, der ist halbwegs sauber, solange ich nicht über 145 Stundenkilometer fahre, nicht zu hohe Drehzahlen habe, vielleicht nicht in die Alpen fahre, weil in den Höhenlagen schaltet er sich auch ab, und nur im Sommer funktioniert die Abgasreinigung eigentlich, dann habe ich den Eindruck, dahinter steckt schon eine Betrugsabsicht.
    Lühmann: Von Betrug könnten Sie reden, wenn eine Software gemacht würde, die den Gesetzen nicht entspricht. Hier ist es wirklich so, dass eine Regelungslücke ausgenutzt wurde, aber das ist auch nicht neu. Wenn Sie sich die Berichte der Deutschen Umwelthilfe, aber auch des ADAC angucken aus den Jahren 2003, 2007, 2009, wird genau das immer wieder beschrieben.
    Heuer: Warum hat denn die Politik noch nichts daran geändert?
    Lühmann: Das sind Dinge, die wir nicht national ändern können, sondern diese Dinge müssen wir europäisch ändern. Und ich bin sicher, dass Alexander Dobrindt jetzt auch sofort in Brüssel das in die Wege leiten wird, zumal ja auch die Kommission im Hinblick auf diese Abgasaffäre sich schon bereit erklärt hat, wesentlich schneller diese Real Driving Emission Tests einzuführen. Aber das reicht nicht aus. Wir müssen diese Lücke mit den Thermofenstern schließen und dass es diese Lücke gab, war vor den Untersuchungen des Ministers so noch nicht bekannt. Wir wussten zwar, dass getrickst wird, aber wir wussten nicht genau, wie getrickst wird.
    Heuer: Aber es bedurfte des Skandales bei VW und möglicherweise jetzt eines neuen Skandals bei Opel, damit die deutsche Bundesregierung, damit der deutsche Verkehrsminister in die Puschen kommt? Ich sage es mal so.
    Lühmann: Wenn wir vorher davon keine Kenntnis hatten, konnten wir vorher nicht agieren. Aber ich finde es sehr schön, dass dieser Skandal uns doch auch international die Möglichkeit gibt, Dinge etwas schneller zu regeln, als sie üblicherweise auf europäischer Ebene zu regeln gewesen wären.
    Heuer: Die deutsche Bundesregierung hat bislang nichts falsch gemacht?
    Lühmann: Bislang nicht.
    Heuer: Das war Kirsten Lühmann. Sie ist die verkehrspolitische Obfrau der SPD im Verkehrsausschuss des Bundestages. Frau Lühmann, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Lühmann: Herzlichen Dank, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.