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OSZE-Mission in Donezk
"Die Lage ist sehr instabil"

Seit vier Wochen ist eine OSZE-Beobachtermission in der Ukraine im Einsatz, seit zehn Tagen ist Klaus Zillikens, der Leiter der Mission, im Gebiet Donezk. Zwar sei es schwierig, Entwicklungen zu beschreiben, sagt er im Deutschlandfunk, "aber der Trend geht sicherlich nicht zu mehr Stabilität und Deeskalation".

Klaus Zillikens im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Zwei vermummte pro-russische Demonstranten warten vor einer Barrikade in der Nähe der besetzen Regionalverwaltung in der ost-ukrainischen Stadt Donezk.
    Pro-russische Demonstranten warten vor einer Barrikade in der Nähe der besetzen Regionalverwaltung in der ost-ukrainischen Stadt Donezk. (dpa picture alliance / Roman Pilipey)
    Zwar habe die Übergangsregierung weiterhin die Kontrolle über den Osten der Ukraine, an verschiedenen Orten allerdings hätten Aktivistengruppen Gebäude besetzt. In den meisten dieser Städte allerdings finde ein Dialog zwischen der Kiewer Regierung oder ihren lokalen Vertretern und den Separatisten statt, um die Verwaltungsarbeit aufrecht zu erhalten. Die Ausnahme sei die Stadt Slawjansk: "Dort ist die ganze Stadt von Aktivisten besetzt, das ist eine Sondersituation", so Zillikens.
    An den meisten anderen Orten gehe das öffentliche Leben weiter, aber "das Eis ist hier sehr dünn geworden, die Menschen sind angespannt". Die Frage, ob russisches Militär im Osten der Ukraine eingesetzt werde, wollte der OSZE-Beauftragte nicht beantworten, da es dafür keine hundertprozentigen Beweise gebe. Für die Bevölkerung der Ostukraine stehe aber im Vordergrund, dass sich das Leben normalisiere und eine wirtschaftliche Erholung stattfinde - und das in den bestehenden Staatsgrenzen: "Ich glaube", meint Zillikens, "die Mehrheit der Ostukrainer empfindet sich als Ukrainer."

    Christiane Kaess: Telefonisch bin ich jetzt verbunden im ostukrainischen Donezk mit Klaus Zillikens. Er ist Teamleiter der OSZE-Mission in Donezk und hat davor viele Jahre für das Auswärtige Amt in der Ukraine gearbeitet. Guten Morgen!
    Klaus Zillikens: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: Herr Zillikens, Sie beobachten für die OSZE die Situation in Donezk. Wie angespannt stellt sich für Sie im Moment die Lage dar?
    Zillikens: Also, wir sind ja als Mission hier vier Wochen lang schon, ich bin persönlich zehn Tage hier. Die Lage ist sehr instabil. Es ist schwierig, Trends zu beschreiben, aber wir sind sicherlich nicht in einem Trend, wo man sagen könnte, es gibt mehr Stabilität und es gibt eine Deeskalation.
    Kaess: Hat die Übergangsregierung in Kiew im Moment noch Kontrolle in Donezk?
    Zillikens: Ja, sie hat Kontrolle. Man muss sich das so vorstellen, dass an verschiedenen Rollen es ja Aktivistengruppen gibt, die zum Teil Verwaltungsgebäude besetzt haben. Mein Gefühl ist, es gibt an den meisten Orten eigentlich einen Dialog zwischen der Regierung in Kiew und ihren Vertretern hier – den legitimen Bürgermeistern und ihrem Apparat, zum Beispiel den Stadtverwaltungen – und den Aktivisten, um die Stadtverwaltungen – das ist ja sehr wichtig – auch lebensfähig zu halten. Aber es gibt eine Ausnahme, das ist die Stadt Slawiansk.
    Kaess: Sie haben gemeint, dass es auch einen Dialog zwischen den prorussischen Separatisten und den proukrainischen Stimmen, nenne ich sie jetzt mal, gibt?
    "Man spricht miteinander, das ist sehr positiv"
    Zillikens: Man spricht miteinander, das haben wir feststellen können, und das ist, glaube ich, auch sehr positiv. Man spricht miteinander, man arrangiert sich zum Teil sehr praktisch, was Polizeiarbeit angeht. Es gibt ja die große Frage, was ist hier eigentlich in dieser bevölkerungsreichen Region mit vielen großen Städten mit Recht und Ordnung? Was ist hier mit Leistungen, die eine Stadtverwaltung hier zu erbringen hat, Lehrergehälter, Krankenhäuser, Müllabfuhr, Pensionszahlungen? Wir haben das Gefühl, dass es insbesondere darüber einen zum Teil recht fruchtbaren Dialog gibt, das funktioniert allerdings nicht überall.
    Kaess: Aber das heißt im Großen und Ganzen, das öffentliche Leben geht seinen Gang, wenn man das so sagen kann?
    Zillikens: Ich glaube, man muss es folgendermaßen sehen: Das öffentliche Leben geht weiter, es gibt eine Normalität, ja, die funktioniert, die ist auch zu sehen. Aber die Decke, sage ich mal, die davor ist ... das Eis ist hier sehr dünn geworden und die Menschen sind extrem angespannt.
    Kaess: Herr Zillikens, konnten Sie irgendwo russisches Militär vor Ort feststellen?
    Zillikens: Das ist eine schwierige Frage für mich. Ich will es mal so beantworten: Wir als OSZE sind beauftragt, das zu berichten, was wir sehen, und das zu berichten, was wir nicht sehen. Wir sind dazu da, hier sozusagen die Faktenbasis zu verbreitern, auf der einmal natürlich die OSZE selber und dann alle ihre Mitgliedsstaaten auch ihre Positionen bestimmen und Verhandlungen führen können. Vor dem Hintergrund, dass wir Fakten sammeln und beschreiben, was wir sehen und nicht sehen, glaube ich, werden Sie verstehen, wenn ich Folgendes sage: Wenn wir 100-prozentige Beweise hätten, dann wüsste ich es.
    Kaess: Aber gehört zu diesen Fakten auch, dass Sie eventuell Zeichen für russischen Einfluss feststellen können beziehungsweise nicht?
    Zillikens: Jetzt sind wir auf der Ebene von Zeichen und natürlich nehmen wir alles auf, was wir wahrnehmen, wir nehmen Nachrichten auf, Gerüchte auf, wir gehen Informationen nach. Aber ich möchte mich jetzt auf solche Diskussion hier am Telefon nicht einlassen.
    Kaess: Auf der anderen Seite muss ich zumindest noch fragen: Konnten Sie den Einfluss von nationalistischen Kräften des rechten Sektors feststellen, die die prorussischen Kräfte behaupten? Sind Sie diesen Behauptungen auch nachgegangen?
    Sondersituation Slawiansk
    Zillikens: Ja, natürlich, wir nehmen alles auf, was wir wahrnehmen und aufnehmen an Informationen und vor allem natürlich wiederum Fakten in unserer Region Donbass. Ich möchte die Frage so beantworten: Es geht hier vor allem um zweierlei, es geht um Aktionen von Aktivisten in verschiedenen Städten, die sehr offen Gebäude in Besitz genommen haben, und das nimmt unterschiedliche Formen an, zum Teil militante, zum Teil weniger militante. Das sind mal Stadtverwaltungen, Polizeigebäude, in der Richtung. Dann gibt es in Slawiansk eine Sondersituation, dort ist die gesamte Stadt besetzt. Das ist eine Stadt, die nicht klein ist, von fast 300.000 Einwohnern. Das ist eine Sondersituation. Wir haben eine ganze Stadt, die praktisch unter Kontrolle dieses selbst ernannten Bürgermeisters Ponomarew ist, das ist die Situation. Und wenn ich sage, das ist die Situation, dann sage ich zugleich, welche Faktoren hier weniger wichtig und bedeutend sind. Diese Situation prägt die Lage im Moment in der Ostukraine, speziell im Donezker Gebiet.
    Kaess: Wie offen sind die Menschen im Gespräch mit Ihnen?
    "Die Leute verstehen, dass wir hier keine Partei ergreifen"
    Zillikens: Wir, glaube ich, schaffen es mehr und mehr, Vertrauen zu schaffen, weil die Leute verstehen, dass wir hier keine Partei ergreifen, dass wir Fakten aufnehmen und dass wir immer in den Vordergrund stellen die Bedürfnisse der Menschen. Wir hören zu. Und ich darf sagen, es war für uns am Anfang der Mission – und man spürt es auch immer noch bisweilen – nicht ganz einfach, weil man uns zum Teil missverständlich hält für eine Organisation des Westens, man bringt uns mit der NATO durcheinander und so weiter. Und wir können mittlerweile feststellen, auch aufseiten der Aktivisten, dass wir Bereitschaft haben uns zuzuhören, mit uns zu sprechen. Wir fühlen uns relativ sicher, wenn wir hier – was wir ja täglich in vielen Feldmissionen machen – durch die Region fahren und mit Menschen sprechen. Also, insofern, die Arbeitsbedingungen für uns sind nicht ideal, aber sie werden besser. Und ich glaube, man fasst Vertrauen in uns.
    Kaess: Herr Zillikens, es ist ja auch hier von unserer Warte aus nicht einfach, sich ein Bild wirklich zu machen, wie die Situation vor Ort ist. Haben Sie den Eindruck, oder sind die zwei Seiten, die prorussischen Separatisten und die proukrainischen Stimmen tatsächlich so genau voneinander zu trennen, wie wir das oft denken, aus unserer Wahrnehmung heraus?
    Zillikens: Vollkommen richtig, Frau Kaess, was Sie sagen, es gibt viele Schattierungen. Es gibt viele Schattierungen bei den Aktivisten und ich würde mal sagen, je weiter wir, in Anführungsstrichen, an die Graswurzel gehen, an die Aktivisten, die in kleineren Städten beispielsweise Stadtverwaltungen besetzt haben, desto besser ist auch der Austausch mit den Bürgermeistern, mit der Polizei vor Ort. Ich sagte ja bereits, es gibt da Dialog. Aber es gibt auch sehr radikale Stimmen, Stichwort Slawiansk. Herr Ponomarew gehört sicherlich zu den Radikaleren. Und dazwischen gibt es in breites Spektrum, da ist das eine. Das andere ist, wie verhält sich die Bevölkerung. Ich glaube, auch da gibt es ein relativ breites Spektrum. Ich glaube, dass die meisten Ukrainer hier im Osten genau wie anderswo in der Ukraine dringend eine Normalisierung der Situation wünschen. Die wollen ihr Leben weiterführen, die wollen, dass die Wirtschaftskrise aufhört, dass sie wieder Perspektiven haben. Und das ist für die meisten das ganz Vordringliche.
    Kaess: Spielt das Genfer Abkommen überhaupt irgendeine Rolle?
    "Genfer Abkommen hat Eskalation am 17./18.April verhindern können"
    Zillikens: Ja, das Genfer Abkommen spielt eine Rolle. Zum einen glaube ich, dass das ganze Abkommen eine weitere Eskalation an dem schwierigen Punkt 17./18. April hat verhindern können, es hat uns Luft zum Atmen verschafft. "Uns" heißt der OSZE, der internationalen Gemeinschaft, aber auch hier in der Ukraine, denen, die verhandeln wollen. Diese Luft zum Atmen muss man jetzt nutzen, dieses Fenster, diese Chance muss man nutzen. Ich glaube, dabei braucht es eine gewisse Geduld und man muss auch zuhören jetzt, was die einzelnen Seiten formulieren an politischen Forderungen, die in die Umsetzung dieser Genfer Vereinbarung einfließen sollten, aus ihrer Sicht jeweils. Ich glaube, dass wir hier in einem Prozess denken müssen. Wichtig ist natürlich, dass wir bald echte konkrete Ergebnisse vorweisen können der Umsetzung, wir sind bereit, alles dafür zu tun als OSZE, aber es kommt natürlich vor allem auch auf die Unterzeichner des Abkommens an.
    Kaess: Herr Zillikens, mit der Bitte um eine kurze Antwort zum Schluss noch, denn wir laufen auf die Nachrichten zu: Haben Sie bei Ihren Gesprächen eine Präferenz heraushören können, ob die Mehrheit in der Ostukraine oder in dem Gebiet, wo Sie sind, Russland zuneigt oder eher dem Westen?
    Zillikens: Ich glaube, die Mehrheit der Ostukrainer empfindet sich als Ukrainer.
    Kaess: Mit aller Konsequenz?
    Zillikens: Mit aller Konsequenz.
    Kaess: Aber dennoch wünscht man sich eine Dezentralisierung?
    Zillikens: Na ja, Sie haben ja von mir eine kurze Antwort erwartet.
    Kaess: Ein bisschen Spielraum haben wir noch, ja.
    Zillikens: In Nuancen hinein, das Wort Dezentralisierung kann man sicherlich anführen. Ob dass das Wort ist, das hier die meisten Ostukrainer gebrauchen würden, weiß ich nicht. Ich belasse es mal bei meiner Antwort.
    Kaess: Danke schön an Klaus Zillikens, er ist Teamleiter der OSZE-Mission im ostukrainischen Donezk. Danke für das Interview heute Morgen!
    Zillikens: Vielen Dank, Frau Kaess!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.