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Pegida
"Die Ausländer haben Angst"

Der Migrationsforscher Werner Schiffauer sieht in der für Mittwochabend geplanten Pegida-Demonstration in Leipzig eine Steigerung. Im Deutschlandfunk wies er darauf hin, dass sich das Phänomen damit von Dresden löse und an anderen Orten populär werde. Ausländer fänden das beunruhigend.

Werner Schiffauer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.01.2015
    Werner Schiffauer, Vorsitzender des Rats für Migration, äußert sich am 05.01.2015 bei einer Pressekonferenz in Berlin
    Werner Schiffauer, Vorsitzender des Rats für Migration (picture-alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Sie haben Angst", sagte Schiffauer. Der Migrationsforscher an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurter/Oder sprach im Deutschlandfunk von zwei Ebenen: Zum einen befürchteten viele Ausländer, dass Pegida die Normalitätsstandards in Deutschland verschiebe und irgendwann Parteien auf einen antiislamischen Kurs aufspringen könnten. Zum anderen hätten Ausländer konkrete Angst um Leib und Leben. Der Mord an einem Mann aus Eritrea, der in der vorigen Woche erstochen vor einem Flüchtlingsheim aufgefunden worden war, werde als Vorzeichen dafür gesehen.
    Schiffauer sagte, die Angst vor einer angeblichen Islamisierung Europas scheine ein Phantom zu sein: "Man müsste mal die Anhänger von Pegida dazu bringen, tatsächlich die Probleme auf den Tisch zu legen, um die es ihnen eigentlich geht." Die Gruppe werfe Massenmedien, Wirtschaft und Politik vor, aus Gründen der politischen Korrektheit die Gefahr der Einwanderung zu verschleiern. Die Evidenz dafür sei aber "äußerst dünn".
    Schiffauer sieht die Ursachen des Unbehagens in einem Grundgefühl, nicht mehr vertreten zu sein von der Politik und nicht mehr von ihr gehört zu werden. Die Entfremdung vom politischen Prozess bahne sich schon länger an, erkennbar etwa an einer Wahlmüdigkeit.

    Das vollständige Interview:
    Tobias Armbrüster: Mit bis zu 100.000 Menschen rechnet die Polizei heute Abend auf den Straßen von Leipzig. Grund ist die Demonstration des örtlichen Pegida-Ablegers, und weil der Pegida-Marsch am Montag in Dresden wegen einer Terrorwarnung verboten wurde. Deshalb könnte der Zulauf in Leipzig heute noch einmal deutlich größer werden. Wir haben es gehört: Die Pegida-Gründer könnten heute Abend noch mal einen neuen Teilnehmerrekord melden. Ich habe darüber heute Vormittag vor der Sendung mit Werner Schiffauer gesprochen. Er ist Migrationsforscher an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Schönen guten Tag, Herr Schiffauer.
    Werner Schiffauer: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Schiffauer, Zehntausende von Pegida-Anhängern werden da heute in Leipzig erwartet. Tritt diese Bewegung damit in eine neue Phase?
    Schiffauer: Das ist schwer zu sagen. Es gibt ja ein Auf und Ab bei Pegida. Es gab eine leichte Delle, als es sich auf Dresden konzentrierte. Mit den Demonstrationen in Leipzig ist tatsächlich ein neues Ausmaß erreicht, insofern sich das von Dresden löst und an einem anderen Ort populär wird.
    Armbrüster: Wie nehmen denn die Ausländer in Deutschland oder Ausländer in der Region auch diese Bewegung wahr?
    "Sie haben Angst"
    Schiffauer: Sie haben Angst. Das eine ist, dass natürlich befürchtet wird, dass Pegida die Normalitätsstandards in der Bundesrepublik verschiebt, dass irgendwann mal die Parteien auf diesen anti-islamischen Kurs aufspringen. Das zweite ist eine ganz konkrete Sorge und Angst um Leib und Leben. Hier ist eine Bewegung, die jemandem signalisiert, den Einwanderern signalisiert, ihr seid nicht erwünscht, und die Gefahr, die natürlich gesehen wird, ist, dass sich Einzelne dann dadurch ermutigt fühlen, gewaltsam vorzugehen.
    Armbrüster: Das heißt, haben Ausländer diese Angst zurecht?
    Schiffauer: Ja. Der Mord in Dresden an dem jungen Eritreer wird als ein Zeichen gesehen, dass das kommen kann. Die Anschläge auf die Asylbewerberheime ebenfalls.
    Armbrüster: Wie kann man denn eigentlich bei so einer durchaus diffusen Bewegung wie Pegida genau trennen zwischen Rassisten und Bürgern auf der anderen Seite, die einfach nur irgendwie ihren Unmut über die da oben, über die Politiker kundtun wollen?
    Schiffauer: Man müsste mal die Anhänger von Pegida dazu bringen, tatsächlich die Probleme auf den Tisch zu legen, um die es ihnen eigentlich geht. Der Islam scheint ja ein Phantom zu sein, um den es geht. Wir haben hier eine Bewegung, die den Massenmedien, der Wirtschaft und so weiter, der Politik vorwirft, aus Gründen der politischen Correctness die eigentliche Gefahr der Einwanderung zu verschleiern. Aber die Evidenz, auf die sie sich beziehen können, um das zu belegen, ist ja äußerst dünn, insofern es dort keine Muslime gibt. Die Ursachen des Unbehagens müssen also woanders sein. Ich sehe die Ursachen tatsächlich in einem Grundgefühl, nicht mehr vertreten zu sein von der Politik, nicht mehr gehört zu sein, und eine Entfremdung von dem politischen Prozess, das heißt etwas, was sich schon länger anbahnt, etwa in Wahlmüdigkeit und in einem generellen Unbehagen.
    Armbrüster: Und das heißt, es ist durchaus richtig, wenn Politiker gerade aus dem Unions-Lager jetzt sagen, wir müssen mit diesen Leuten reden, wir müssen mit denen in einen Dialog treten?
    Hier wird ein Feindbild konstruiert
    Schiffauer: Na ja, es kommt darauf an. Wenn man sagt, ja, wir müssen über das Unbehagen am Islam reden, dann tappt man in die Falle, die Pegida gestellt hat. Man muss sich deutlich machen, dass das Unbehagen an dem Islam ein... - Hier wird ein Feindbild konstruiert, wo ein allgemeines Unbehagen an einer religiösen Minderheit festgemacht wird. Das ist durchaus vergleichbar mit den frühen 30er-Jahren, als die Juden für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich gemacht wurden. Hier gibt es kein Verständnis. Hier muss eine klare Linie der Politik sein. Was man aber nachdenken muss ist, was hinter der Sehnsucht nach einem homogenen Nationalstaat steht, und hier hat die Politik tatsächlich Handlungsbedarf. Sie muss überlegen, welche Formen des Politischen in der gegenwärtigen Situation, in der der Nationalstaat zurücktritt, adäquat sind, und da gibt es noch keine Antworten.
    Armbrüster: Welche Antwort würden Sie denn geben?
    Schiffauer: Es ist eine Suchbewegung. Sehen Sie, wenn Sie die Grenzen der Bundesrepublik betrachten: 1970 umschlossen sie einen Währungsraum, einen Sicherheitsraum, einen Medienraum, einen Wirtschaftsraum, einen Bildungsraum. Heute sind all diese Grenzen durchbrochen und aufgeweicht durch Schengen, Euro-Zone, EU-Politik, Europäisches Verfassungsgericht. Das heißt, wir haben eine Ordnung, in der der Nationalstaat Wesentliches an Souveränitätsrechten eingebüßt hat und die Bürger, das klassische Wahlvolk deswegen schwächer dasteht, nicht mehr Herr im eigenen Haus ist. Das ist eine historische Tatsache. Dem müssen wir grundsätzlich begegnen und darauf Antworten finden. Es gibt eine Krise der demokratischen Repräsentation.
    Armbrüster: Und ist es vielleicht ein Fehler der Politiker gewesen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, dass sie diese historischen Tatsachen nicht genügend vermittelt haben?
    "Neue Leitbilder für diese Gesellschaft entwickeln"
    Schiffauer: Das würde ich so sehen. Es ist auch schwierig, Antworten zu denken. Wir denken immer noch in den Kategorien des Nationalstaats. Manchmal kommt da ein sentimentales Thema dazu, nämlich ein Rücktrauern an eine vermeintlich sichere Ordnung, in der eine klare Orientierung da war, in der man tatsächlich die Fiktion - und es war eine Fiktion, dass das Volk der Souverän ist - aufrecht erhalten konnte. Diese Sehnsucht macht es schwierig, Antworten zu finden. Wir müssen uns nach völlig neuen Formen des Denkens umschauen, neue Leitbilder für diese Gesellschaft entwickeln, und auch den demokratischen Prozess neu denken.
    Armbrüster: Wenn wir dann noch mal auf Pegida und diese Massendemonstrationen zurückkommen - ich glaube, man kann da von Massendemonstrationen durchaus sprechen, wenn man Zehntausende Menschen auf die Straße bringt. Wie kommt so was eigentlich im Ausland an? Ist so was schädlich auch für den Wirtschaftsstandort Sachsen oder den Standort Deutschland?
    Schiffauer: Für den Wirtschaftsstandort Sachsen auf jeden Fall. Ich glaube, im Ausland wird auch sehr wohl registriert, dass es eine große Koalition sozusagen gegen Pegida gibt. Das ist auch ermutigend und eine der starken Aspekte der Bewegung. Das ist eine Sache, auf die wir auch stolz sein können in Deutschland und an der wir festhalten müssen, und hier schaut tatsächlich, glaube ich, das Ausland eher darauf, denn rechtspopulistische Bewegungen a la Pegida gibt es ja in ganz Europa.
    Armbrüster: In Berlin wird jetzt heute der Migrationsbericht der Bundesregierung vorgestellt. Aus dem geht hervor, dass die Zahl der Einwanderer nach Deutschland tatsächlich deutlich angestiegen ist. Im Jahr 2013 - das war das letzte Jahr, für das genaue Zahlen vorliegen - waren es mehr als 1,2 Millionen Menschen, mehr als 1,2 Millionen Zuwanderer. Das waren so viele wie zuletzt vor 20 Jahren. Ist so ein Anstieg der Zuwanderung, ist das Wasser auf die Mühlen von Pegida?
    Schiffauer: Es kann durchaus Wasser auf die Mühlen von Pegida sein. Ich würde darin einen Ausdruck auch einer Tatsache sein, auf die wir stolz sein können. Die Einwanderung erfolgt nun hauptsächlich aus den europäischen Ländern. Es sind Leute, die hier Arbeit suchen, die qualifiziert sind. Wir brauchen diese Arbeit und es ist eigentlich eine Bestätigung Deutschlands und auch der Weltoffenheit, die trotz und gegen Pegida aufrecht erhalten wird, dass die Leute zu uns kommen.
    Armbrüster: Aber bei den Pegida-Demonstranten heute Abend wird man das wahrscheinlich anders sehen?
    Schiffauer: Davon gehe ich aus. Ich nehme an, dass das Phänomen Pegida, dass man sozusagen nicht mehr Deutscher unter Deutschen ist, dass das eher bestätigt wird.
    Armbrüster: Werner Schiffauer war das, Migrationsforscher an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Vielen Dank, Herr Professor Schiffauer, für das Gespräch heute Mittag.
    Schiffauer: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.