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Perspektiven junger Akademiker
"Wir sehen eine sehr große Unsicherheit"

Junge Akademiker müssen auf dem Weg zur Professur große Unsicherheit aushalten – mehr als nötig wäre, wenn sie durch sogenannte Tenure-Track-Verfahren mehr Planungssicherheit hätten, sagten Sara Hofmann und Jule Specht, zwei Vertreterinnen des akademischen Nachwuchses, im Dlf.

Sara Hofmann und Jule Specht im Gespräch mit Bernhard Kempen |
    Studenten der Wirtschaftswissenschaften sitzen im Großen Hörsaal vom Auditorium maximum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in Halle (Sachsen-Anhalt) bei einer Vorlesung
    Viele Juniorprofessoren können noch so gut lehren und forschen – und leben ohne Tenure-Track-Verfahren doch in Unsicherheit, ob das je in eine Professur münden wird (picture alliance / Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/ZB)
    Bernhard Kempen: Eine wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland einzuschlagen – nicht so sehr ein Traum, sondern eher ein Alptraum, könnte man nach dem Stimmungsbild vom Campus der Universität Frankfurt sagen:
    Umfrage zu wissenschaftlicher Laufbahn unter jungen Akademikern
    Wie können wir das ändern und zu verlässlicheren Perspektiven für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen? Darüber rede ich jetzt mit Sara Hofmann, Juniorprofessorin für digitale Medien im öffentlichen Sektor an der Universität Bremen und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur, sowie mit Jule Specht, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt-Universität Berlin und Sprecherin der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Beide sind mir aus Bremen beziehungsweise Berlin zugeschaltet, hallo, Frau Hofmann, hallo, Frau Specht!
    Jule Specht: Hallo!
    Sara Hofmann: Hallo, Herr Kempen!
    Kempen: Frau Hofmann, haben Sie sich in der Reportage wiederentdeckt?
    Hofmann: Zum Teil tatsächlich ja. Wir als DGJ, als Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur, vertreten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion, das heißt Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren, Nachwuchsgruppenleiter, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter. Und man kann sagen, dass bei vielen dieser Beschäftigten ein recht ähnliches Bild gezeichnet wird. Auch dort sehen wir häufig befristete Arbeitsverhältnisse, unsichere Aussichten über die Zukunft. Von daher: ein ganz klares Ja!
    "Wir sehen eine sehr große Unsicherheit"
    Kempen: Ist das Problem, Frau Hofmann, dass zu wenig bezahlt wird, oder ist das Problem, dass die Verträge zu kurz und zu wenig verlässlich sind?
    Hofmann: Vor allem Letzteres, würde ich sagen. Wir sehen eine sehr große Unsicherheit. Typischerweise, wenn Sie beispielsweise Juniorprofessor sind ohne Tenure Track, das bedeutet ohne eine Perspektive, nach sechs Jahren an der Universität bleiben zu können, ist das eine sehr große Unsicherheit. Sie wissen nicht, was mit Ihnen nach sechs Jahren passiert, Sie wissen vielleicht auch nicht, ob Sie durch die Zwischenevaluation nach drei Jahren kommen. Das alles sorgt für große Unsicherheiten und für unplanbare Zukunftsaussichten.
    Kempen: Frau Specht, nun ist es ja so, die Juniorprofessur ist ein Qualifikationsweg. Und wenn jeder schon den Garantiefahrschein auf die Professur vom ersten Tag an im Tornister hat, wäre das ja vielleicht auch nicht richtig. Ein bisschen Auslese muss wohl sein, oder?
    Specht: Ich stimme Ihnen schon zu, dass Auslese sein muss. Die Frage ist, wann ist der richtige Zeitpunkt, um auszulesen? Ich kann mich persönlich gut damit abfinden, dass man eine Juniorprofessur vergibt und eine konkrete Perspektive vorschlägt, wie diese Person, wenn sie denn gute Leistung in Forschung und Lehre zeigt, langfristig an der Uni bleiben kann. Ich denke, das ist ein guter Kompromiss. Aber wir dürfen auch nicht aus dem Auge verlieren, dass das Personen sind, die sich ja schon während ihrer Promotionszeit gezeigt haben, wie gut sie forschen können, dass sie Lehrveranstaltungen leiten können.
    Also ich glaube, wir sollten im Blick haben, wenn wir Juniorprofessuren besetzen, dass wir uns die besten Personen dafür herauspicken und dass wir dann auch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit diese Person langfristig in der Wissenschaft behalten wollen, weil wir ja schon wissen, dass sie ziemlich viele gute Sachen gemacht hat, sonst hätte sie die Juniorprofessur nicht bekommen.
    Nur 13 Prozent im Verfahren zur Festanstellung
    Kempen: So ist wohl auch zu erklären, dass 98 Prozent aller Kandidatinnen und Kandidaten bei der Zwischenevaluation erfolgreich sind, nach drei Jahren?
    Specht: Nun, ich glaube, das Problem daran ist, dass nur, glaube ich, ungefähr 13 Prozent oder ein Bruchteil der derzeitigen Juniorprofessoren überhaupt einen Tenure Track haben. Das heißt, die Zwischenevaluation, die wir typischerweise nach drei Jahren Juniorprofessur haben, ist mehr so eine Pseudoevaluation, weil für die Universitäten nicht viel daran hängt, ob sie nun positiv oder negativ entscheiden. Wenn sie negativ entscheiden, würde die Juniorprofessur noch ein Jahr laufen, wenn man positiv entscheidet, läuft sie typischerweise noch drei Jahre.
    Das heißt, der Druck, eine echte Entscheidung zu treffen, ist da relativ gering. Das wäre anders, wenn wir überall Tenure-Track-Professuren hätten, und ich hoffe, da kommen wir irgendwann hin, dass jede Juniorprofessur mit einem Tenure Track ausgestattet ist. Und ich bezweifle, dass dann die Quote auch bei 98 Prozent liegt.
    Kempen: Bei Tenure werden wir ja besser. Frau Wanka hat ja günstigerweise ein großes Programm aufgelegt, in dem 1.000 Tenure-Track-Professuren vom Bund mitfinanziert werden. Wie sehen Sie das? Ist das ein Schritt in die richtige Richtung? Ist es viel zu wenig? Müsste das viel mehr sein? Wie würden Sie das beurteilen, Frau Hofmann?
    Hofmann: Wir von der DGJ begrüßen das auf jeden Fall, dass ist ein guter Start. Das sind ja, wie Sie sagten, 1.000 Tenure-Track-Juniorprofessuren, das heißt, da ist nicht nach sechs Jahren Schluss. Aber unserer Meinung nach kann das nur der Start sein, wir brauchen eigentlich viel, viel mehr von diesen Tenure-Track-Professuren.
    "Wir brauchen auf jeden Fall eine Aufstockung"
    Kempen: Da wiederholt sich möglicherweise aber das, was wir auch schon beim BAföG erlebt haben, nämlich dass die Länder ihren Teil nicht leisten. Das heißt, der Bund zahlt sechs Jahre lang, wenn es aber dann darum geht, die Tenure-Track-Professur zu verstetigen, schlagen sich die Länder in die Büsche und sagen, nö, das sollen die Unis mal selber machen, das sollen die sich sozusagen aus den Rippen schneiden – und dann wird es nichts. Das würde bedeuten, dass es gar nicht 1.000 Professuren zusätzlich gibt, sondern dass die 1.000 eigentlich nur aus der Substanz rausgenommen werden und vom Bund eine Zeit lang mitfinanziert werden.
    Hofmann: Absolut, und das darf nicht sein. Wir sehen ja auch, dass wir in Deutschland kein besonders gutes Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Professorinnen und Professoren haben, von daher, dort brauchen wir auf jeden Fall eine Aufstockung.
    Kempen: Das meine ich auch. Frau Specht, wie sehen Sie das denn? Sind Sie da unterwegs und machen der Politik Druck, dass es wirklich 1.000 zusätzliche Stellen werden?
    Specht: Ja, genau. Zusammen mit der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur sind wir ja dabei, genau da ein Auge drauf zu haben, inwiefern der Nachwuchspakt so umgesetzt wird, wie er gedacht wird. Denn ich verstehe Ihre Kritik und ich höre das jetzt auch von immer mehr Berichten von unterschiedlichen Universitäten, dass tatsächlich der Fall eintritt, dass die Tenure-Track-Professuren zwar eingerichtet werden, dass die langfristige Finanzierung aber noch relativ im Dunkeln bleibt. Und ich glaube, da ist es gerade unsere Aufgabe, als kritische Öffentlichkeit laut zu werden und diesen Prozess kritisch zu begleiten und Krawall zu schlagen, bevor 2032 dann die abschließende Evaluation des Nachwuchspaktes stattfindet.
    Denn ich stimme da der Frau Hofmann auf jeden Fall vollständig zu, das ist ein toller Pakt, das ist eine Riesenchance, glaube ich, für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Der ist viel zu klein, das ist natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein, aber die Verwaltungsvereinbarung, die dahintersteht, ist eigentlich so gestrickt, dass weder die Länder noch die Universitäten sich da so richtig herausschummeln können. Das heißt, wir müssen jetzt darauf Acht geben, dass die Länder und die Universitäten ihren Versprechen nachkommen und tatsächlich zusätzliche Professuren einrichten, damit die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs tatsächlich besser sind und sich eben auch die Strukturen an den Universitäten ändern.
    Es braucht ein anderes Professoren-Rollenbild
    Kempen: Frau Specht, wir haben ja auch noch das Problem, dass wir viel zu wenige Frauen in der Wissenschaft haben. Wir haben Fächer, in denen zwar 50 Prozent der Doktoranden weiblich sind, aber dann bei der Habilitation oder bei der Juniorprofessur es gewaltig einbricht, dann haben wir noch nicht mal 20 Prozent. Wie können wir denn da besser werden?
    Specht: Ich glaube, das ist eine komplexe Frage, bei der wir vielfältige Antworten geben müssen. Und eine der Antworten ist, dass wir, glaube ich, noch besser darin werden müssen, ein Bild eines Professors, einer Professorin zu haben, die vielfältiger ist, als es zurzeit der Fall ist. Wenn wir heute an Professorinnen und Professoren denken, haben viele Personen noch ein Bild vor sich eines älteren Mannes, der irgendwie eine große Schar an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut und sehr viel mit Managementtätigkeiten zu tun hat.
    Und wir schließen mit diesem eingeschränkten Rollenbild eines Professors Personen aus, die diese Rolle – und das können Männer genauso wie Frauen sein – vielfältiger gestalten wollen, die also zum Beispiel selbst noch in der Forschung aktiv sein wollen, die sich in der Lehre engagieren wollen, die eben nicht diesem älteren Bild des Professors entsprechen. Und das schaffen wir am besten, indem wir Rollenvorbilder schaffen, indem wir zeigen: Professorin zu sein, heißt eben alles Mögliche. Und da sehe ich zum Beispiel das Professorinnenprogramm als einen ganz wichtigen Impuls, um die Berufung von Frauen auf Professuren zu stärken, um den jüngeren Wissenschaftlerinnen ein Vorbild zu geben, wie es eben auch sein kann, Professorin zu sein.
    Aber das ist natürlich nur eine Antwort, es gibt noch viele andere Aspekte, in denen wir in der Wissenschaft besser werden müssen. Das betrifft zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das ist nicht nur ein Frauenthema, sondern es gibt genauso Männer, die die Wissenschaft verlassen, weil sie der Meinung sind, dass sie damit die Familie nicht unter einen Hut bekommen. Das sind alles Dinge, bei denen ich glaube, dass wir noch eine sehr eingeschränkte Gruppe an Personen haben, die eine Professur anstreben, einfach weil es die Begleitumstände doch sehr einschränken.
    Mehr Tenure Tracks könnten den Frauenanteil erhöhen
    Kempen: Nun lassen sich Rollenbilder so leicht nicht ändern und wir reden über Gleichberechtigung und Frauenförderung nun schon seit Jahren und Jahrzehnten, und trotzdem ist die Bewegung, die zwar da ist, viel zu langsam. Wir kriegen zwar mehr Frauen in die Wissenschaft, aber längst nicht in dem Ausmaß, in dem wir uns das vorgestellt haben. Frau Hofmann, was wären denn Ihre Vorschläge, was können wir tun, um hier besser zu werden?
    Hofmann: Ich glaube, wenn man sich die Zahlen anguckt: Ungefähr ein Drittel der Juniorprofessuren sind von Frauen besetzt. Und um das zu steigern, würden wir von der DGJ sagen, dass dieses Tenure-Track-Modell, also die Perspektive auf eine langfristige Professur, dort ein wichtiger Schritt ist neben den Rollenbildern, die Frau Specht angesprochen hat. Dadurch, dass wir mehr Sicherheit schaffen – wo kann ich vielleicht meine Familie aufziehen, wo werde ich in zehn Jahren vielleicht sein, schaffen wir einfach viel mehr Anreize für Frauen, aber natürlich auch für Männer, die eine Familie planen, sich für eine wissenschaftliche Karriere zu entscheiden.
    Ansonsten haben wir ja das Problem, nach einer Habilitation oder auch nach einer Juniorprofessur ohne Tenure Track wissen wir, wir müssen die Universität vermutlich verlassen, wir können uns keinen Lebensmittelpunkt aufbauen. Und das macht das Ganze natürlich noch schwieriger.
    Kempen: Ja, das leuchtet mir ein. Frau Hofmann, Frau Specht, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch! Wir arbeiten gemeinsam weiter an diesem großen und, wie ich meine, außerordentlich wichtigen Thema. Vielen Dank nochmals!
    Hofmann: Sehr gerne!
    Specht: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.