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Petrozadovsk in Russland
Gegenwind für oppositionelle Bürgermeisterin

Die Opposition in Russland hat es schwer: Sie findet meist außerhalb der Parlamente statt, denn oft wird sie nicht einmal zu Wahlen zugelassen. Nicht so in der Stadt Petrozavodsk: Dort wurde eine Oppositionelle zur Bürgermeisterin gewählt - die nun gegen Widerstand von allen Seiten kämpfen muss.

Von Gesine Dornblüth | 03.08.2015
    Petrozavodsks Bürgermeisterin Galina Schirschina mit Bürgern. Die Oppositionspolitikerin kämpft gegen Widerstand von allen Seiten.
    Petrozavodsk ist die Hauptstadt der Republik Karelien. Sie hat rund 260.000 Einwohner und liegt am Onegasee nordöstlich von Sankt Petersburg. (Gesine Dornblüth)
    Galina Schirschina ist im Laufschritt unterwegs. Sie trägt ein Etuikleid, hohe Absätze. Ihr Händedruck ist kräftig. Eine morgendliche öffentliche Planungssitzung hat die Bürgermeisterin von Petrozavodsk bereits hinter sich. Jetzt ist sie auf dem Weg zu einem neuen Kindergarten. Ihr Fahrer biegt in einen Hof ein. Nagelneues Spielgerät.
    "Schauen Sie: Dieser Kindergarten wird nicht eröffnet. Es ist zum Heulen."
    Schuld sei die Regierung der Republik Karelien, sagt Schirschina. Die habe längst zugesicherte Gelder wieder abgezogen. Dabei fehlten in Petrozavodsk rund 8.000 Kindergartenplätze.
    "Seit ich im Amt bin, eröffnen wir praktisch alle halbe Jahr einen neuen Kindergarten. Und das reicht nicht. Wenn dann auch noch die Regierung der Republik gegen mich arbeitet, wird es noch schwieriger."
    Im Kindergarten wartet der Bauunternehmer. Er hat das Gebäude komplett renoviert, nur das Dach ist noch nicht ganz fertig. Geld hat er dafür nicht gesehen. Er habe gehört, sie sei auf seiner Seite, sagt der Mann. Bürgermeisterin Schirschina lächelt ihn an.
    "Ich bin nicht nur auf Ihrer Seite, ich möchte, dass solche Kindergärten aufmachen!"
    Sie werde schon irgendwie Geld beschaffen. Doch wie, das weiß sie noch nicht. Die Stadt ist auf die Zusammenarbeit mit der Regierung Kareliens angewiesen. Doch dort ist Schirschina nicht wirklich beliebt. Vor knapp zwei Jahren wurde sie zur Bürgermeisterin von Petrozavodsk gewählt, eher zufällig. Die Kandidatin der Oppositionspartei Jabloko war kurz vor der Wahl von der Teilnahme ausgeschlossen worden. Schirschina war die Reservekandidatin. Sie war 34 Jahre alt, eine Psychologin, ohne jede Verwaltungserfahrung. Trotzdem erhielt sie 40 Prozent der Stimmen. Der Kreml-Kandidat bekam nur die Hälfte. Seitdem wird die Bürgermeisterin überall behindert. Im Stadtrat sitzen vor allem ihre Gegner. Und der Gouverneur der Republik Karelien wurde von Präsident Putin direkt eingesetzt.
    Stadtrat hat ihr das Misstrauen ausgesprochen
    Schirschina fährt zurück ins Büro. Überall sprießt Unkraut. Kaputte Gehwegplatten. Blumenbeete und Rasenflächen sind sich selbst überlassen. Petrozavodsk ist seit Monaten nicht gereinigt worden. Die beauftragte Firma habe vor einem Jahr plötzlich aufgehört, zu arbeiten, sagt Schirschina.
    "Wir mussten den Vertrag auflösen. Jetzt sagt die Firma, sie sei bankrott, weil wir nicht gezahlt haben. Sie behauptet, sie habe alle Arbeiten zuverlässig erledigt. Unsere Kommission hat aber festgestellt, dass die Firma nur die Hälfte getan hat."
    Der Chef der Straßenreinigung sitzt im Stadtrat - ein Mitglied der Kreml-Partei Einiges Russland. Bürgermeisterin Schirschina hat den Auftrag für die Reinigung der Stadt neu ausgeschrieben. Die alte Firma hat dagegen geklagt. Möglicherweise deshalb hat sich keine einzige andere Firma um den Auftrag beworben. Petrozavodsk bleibt vorerst dreckig.
    Schirschina läuft zu Fuß in den fünften Stock. Der Fahrstuhl ist ihr zu langsam. Im Treppenhaus hängen Tierfotos. Eins zeigt ein Eichhörnchen im Flug. Ihr Lieblingsbild, sagt die Bürgermeisterin. Sie identifiziere sich damit.
    Einer ihrer Hauptgegner ist Gennadij Bodnartschuk, der Vorsitzende des Stadtrates. Sein Händedruck ist welk. Auch er ist Mitglied bei Einiges Russland. Er hält Schirschina für unfähig.
    "Das Experiment mit einer zufälligen Bürgermeisterin dauert schon zu lange. Ich bin mir nicht sicher, ob Petrozavodsk mit dieser Verwaltung den kommenden Winter überlebt."
    Im Juli hat der Stadtrat von Petrozavodsk Schirschina das Misstrauen ausgesprochen. Ihr bleiben drei Monate, um zu belegen, dass die Kritik der Abgeordneten unbegründet ist. Gelingt ihr das nicht, wird sie abgesetzt. Außerdem hat der Stadtrat auch noch beschlossen, die Bürgermeisterwahlen ganz abzuschaffen und das Amt künftig auszuschreiben.
    Protestbrief an den Stadtrat
    Doch viele Bürger stehen hinter Schirschina. Vjatscheslav Orfinskij hat einen langen weißen Bart. Er ist weit über 80, Architekt und Ehrenbürger der Stadt. Orfinskij legt Wert darauf, dass er Schirschina zwar nicht gewählt hat; ihre Arbeit habe ihn aber überzeugt.
    "Mir gefällt ihre Kämpfernatur. Mir gefällt, dass sie ehrlich ist. Sie will wirklich etwas verändern."
    Genauso überzeugt ist auch Vladimir Malegin, ein ehemaliger Boxer.
    "Schirschina hat sich in jedem Stadtbezirk mit den Bürgern getroffen. Die Leute haben endlich das Gefühl, dass ihnen jemand zuhört. Denn Schirschina ist offen, sie nimmt Ratschläge an, sie verschleiert nichts. Jetzt wird sie getadelt dafür, dass die Straßenreinigung schlecht arbeitet. Das ist ungerecht! Der Direktor der Straßenreinigung lacht sich derweil ins Fäustchen und stimmt im Stadtrat gegen sie."
    Der Architekt Orfinskij hat gemeinsam mit anderen Ehrenbürgern von Petrozavodsk einen Brief an den Stadtrat geschrieben. Darin protestieren sie gegen die Abschaffung der Bürgermeisterwahl. Die Antwort ist schon da: Es sei alles rechtens. Bürgermeisterin Schirschina aber will sich nicht geschlagen geben.
    "Ich will die fünf Jahre, die die Bürger mir gegeben haben, so abarbeiten, dass ich mich nicht schämen muss. Ich will den Menschen wenigstens ein bisschen geholfen haben. Das ist alles, ehrlich. Vielleicht glauben Sie mir das."