Archiv

Physik
Atomspringbrunnen als Schwerkraftmesser

Die Schwerkraft ist eine uns vertraute Naturkraft, schließlich ist sie allgegenwärtig. Allerdings ist die Gravitation einigermaßen schwierig zu messen: Um feinste Schwankungen im Schwerefeld der Erde zu messen, brauchen die Experten hochsensible Spezialsensoren.

Von Frank Grotelüschen |
    Es ist eines der Arbeitspferde der Messtechnik - das Interferometer. Das Prinzip: Laserstrahlen werden so überlagert, dass ein Hell-Dunkel-Muster entsteht. Aus diesem lassen sich dann physikalische Größen genauestens ablesen, zum Beispiel Abstände, Verformungen und auch Vibrationen. Seit einiger Zeit funktioniert das Konzept nicht nur mit Laserlicht, sondern auch mit Atomen, also winzigen Materieteilchen, sagt Christian Freier, Physiker an der Humboldt-Universität Berlin:
    "Das kann man sich tatsächlich so vorstellen, dass bei uns statt einer Lichtwelle die Materiewelle eines Atoms aufgespalten und wieder zusammengeführt wird."
    Was eine direkte Folge der Quantenphysik ist. Ihr zufolge können sich Atome nicht nur wie winzige Billardkugeln verhalten, sondern auch wie Lichtwellen. Für die Messtechnik eröffnet das ganz neue Perspektiven.
    "Dadurch, dass die Atome als massebehaftete Teilchen auf verschiedene Einflüsse reagieren, unter anderem die Gravitation, kann man Sensoren verschiedener Art bauen", so Freier.
    Er und seine Kollegen haben mithilfe des Atominterferometers ein Gravimeter konstruiert, einen Schwerefeld-Sensor. Herzstück ist ein Lasersystem, das eine Wolke aus Abermillionen von Rubidiumatomen einfangen und gezielt in Bewegung versetzen kann.
    Atome stürzen im freien Fall nach unten
    "Weil wir die Erdbeschleunigung messen wollen, das heißt eine nach unten gerichtete Kraft, die Gravitation, müssen wir die Atome nach oben werfen, damit sie möglichst lange im freien Fall sind. Je länger wir die Atome im freien Fall beobachten können, desto sensitiver wird unsere Messung."
    Die Laser schießen die Atomwolke also nach oben, und zwar in einer meterhohen, luftleer gepumpten Röhre. Oben angekommen stürzen die Atome im freien Fall nach unten. Dabei kommt es zu speziellen Quanten-Interferenzen, und die lassen sich präzise messen. Anderthalb Sekunden später wiederholt sich das Spiel, und je öfter die Physiker es treiben, umso genauer können sie das Schwerefeld messen. Bis vor kurzem gab es solche Atomspringbrunnen nur fest installiert im Labor. Christian Freier und seine Leute haben nun eine transportable Variante entwickelt.
    "Dort haben wir relativ viel Aufwand betrieben, um diese Lasersysteme kleiner zu machen, robuster zu machen, unempfindlich gegenüber Störungen."
    Das Resultat: drei mannshohe Schränke, die in einen Kleinlaster passen. Getestet haben sie die Forscher bislang in Bayern und in Schweden.
    "Wir haben nachgewiesen, dass unsere Messgenauigkeit so hoch ist, wie wir das gerne möchten. Dass diese so gut ist beziehungsweise besser wie ähnliche Experimente, die man schon kaufen kann."
    So würde die neue Methode hochgenaue Langzeitmessungen ermöglichen - eine Kombination, die bisherige portable Messgeräte so nicht bieten. Interessant scheint das Atomgravimeter vor allem für Geowissenschaftler. Unter anderem können sie damit messen, wie die Gezeiten die Erdbeschleunigung um den Hauch eines Zehnmillionstels verändern. Und sogar der Einfluss des Wetters auf des Schwerefeld ist messbar.
    "Wenn man sich in einem Hochdruckgebiet befindet, ist die Masse der Luft über einem größer als wenn man ein Niedrigdruckgebiet hat. Und dadurch nimmt die Schwerkraft entsprechend ab, weil mehr Masse von oben zieht."
    Drei-Schrank-Apparatur nur Zwischenschritt
    Wenn man so will, wiegt man bei schönem Wetter ein kleines bisschen weniger als bei schlechtem. Doch auch für praxisnahe Anwendungen soll der Atomspringbrunnen taugen, etwa zur Erdölsuche oder um Schwankungen im Grundwasserspiegel zu erfassen. Zwar vermessen mittlerweile auch Satelliten das Schwerefeld der Erde. Doch während sie eher einen globalen Überblick bieten, kann ein portables Gravimeter die Verhältnisse an bestimmten, ausgewählten Orten deutlich genauer ermitteln. Die Berliner Physiker jedenfalls sind noch nicht an ihrem Ziel. Für sie markiert die Drei-Schrank-Apparatur nur einen Zwischenschritt.
    "Momentan braucht man zwei ausgebildete Physiker, um damit eine Messung zu machen. Das Ziel wäre natürlich, dass man auch als Nichtspezialist, zum Beispiel als Geophysiker, dieses Gerät benutzen kann. Und dafür müssen technologisch noch Schritte unternommen werden, um das System zu vereinfachen."
    Die Idee: Ein leicht zu bedienender Sensor, der in einen Pkw passt, eines Tages vielleicht sogar in einen Rucksack. Eine Vision, an der mittlerweile sogar schon die ersten Firmen tüfteln.