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Pilotinnen-Club
Die Fliegerinnen von "Ninety-Nines"

Die "Ninety-Nines" sind heute eine Vereinigung von Pilotinnen aus aller Welt. Vor 90 Jahren wurde der Club in den USA gegründet. Die wenigen Fliegerinnen, die es damals gab, schlossen sich zusammen, um gemeinsam für ihre Forderungen zu kämpfen - die waren für die damalige Zeit radikal.

Von Ulrike Rückert | 02.11.2019
    Die von Amelia Earhart mit gegründete Vereinigung von Pilotinnen "Ninety-Nines" 1929 in Los Angeles.
    Frauen fürs Fliegen zu begeistern und sie zu ermutigen, es zum Beruf zu machen war ein Ziel des Clubs "Ninety-Nines" (imago / UIG)
    "Die Frauen vereinigen sich. Wir wissen nicht, wozu."
    So kommentierte ein Journalist die Gründung des Pilotinnenclubs "Ninety-Nines". 26 Frauen trafen sich dazu am 2. November 1929 im Hangar einer Flugschule auf Long Island. Nur aktive Pilotinnen mit Flugschein sollten Mitglied werden können. Davon gab es zu dieser Zeit in den gesamten Vereinigten Staaten 117. Sie alle wurden angeschrieben, und 99 wollten dabei sein. Das berühmteste Mitglied war Amelia Earhart, die im Jahr zuvor als erste Frau über den Atlantik geflogen war, wenn auch zunächst nur als Passagierin. Dem skeptischen Journalisten antwortete Mitgründerin Margery Brown in einer Fliegerzeitschrift:
    "Pilotinnen vereinigen sich, um das Geschlecht aus dem Himmel zu verbannen. Sie wollen Männern absolut gleichgestellt sein. Und sie gehen gemeinsam voran!"
    PR-Logik: Wenn eine Frau fliegen kann, kann es jeder
    Dabei ging es vor allem um den Arbeitsmarkt für Piloten und die großen Luftrennen, bei denen vor hunderttausenden Zuschauern Flugzeugbauer ihre neuesten Modelle und die besten Flieger ihre Künste vorführten. Von diesen Wettbewerben waren Frauen ausgeschlossen. Wenige Monate vor der Gründung der "Ninety-Nines" hatte es zum ersten Mal ein großes Wettfliegen quer über die USA für Frauen gegeben, eine separate Veranstaltung mit veränderten Regeln, die von der Presse als "Puderquasten-Derby" verniedlicht wurde. Chancen für Berufspilotinnen gab es durchaus – gerade weil Frauen als weniger leistungsfähig galten.
    "Wenn das weibliche Geschlecht als das schwächere betrachtet wird und dieses schwächere Geschlecht die Kunst des Fliegens meistert, ist dies der Beweis für die Einfachheit des Fliegens", erklärte der Manager des Frauen-Derbys. Das Flugzeug setzte sich erst allmählich als Verkehrsmittel durch. Die Luftfahrtindustrie träumte davon, dass jede Familie ihr eigenes Sportflugzeug haben würde, und Lufttaxis waren schon ein gutes Geschäft. Leider gab es auch viele Abstürze, weshalb man sich sehr bemühte, das Publikum von der Sicherheit und Einfachheit des Fliegens zu überzeugen. Wenn eine Frau es kann, kann es jeder – das war die PR-Logik. Außerdem zielte man auch auf Frauen als Käuferinnen.
    "Die Hand, die das Kind wiegte, fliegt heute das Familienflugzeug", warb ein Industrieverband. Deshalb stellten Flugzeugbauer durchaus gern Frauen zum Vorführen ihrer Modelle ein. Doch eine Stelle als Test- oder Verkehrspilotin zu bekommen, war unmöglich. Mediziner versicherten, die nervliche Instabilität von Frauen mache sie für den Beruf ungeeignet und die Menstruation sei eine typische Absturzursache. Amelia Earhart dagegen forderte:
    "Eine Chance, das Spiel zu spielen, wie Männer es spielen, nach Regeln, die für Teilnehmer als Flieger, nicht als Frauen, aufgestellt sind."
    Schrittweise die Gleichberechtigung erkämpft
    "Ninety-Nines" schrieben Artikel und sprachen im Radio, um ihren Anspruch auf Gleichbehandlung zu vertreten. Sie organisierten selbst Wettbewerbe für Frauen, aber der wichtigste Schauplatz waren die großen Rennen. Sie erreichten, dass Amelia Earhart ins Wettbewerbskomitee des maßgeblichen Luftfahrtclubs aufgenommen wurde. Schrittweise erkämpften sie sich die Zulassung zu allen Veranstaltungen. 1936 gewannen "Ninety-Nines" beim renommiertesten Wettkampf Amerikas den ersten und zweiten Preis. Wichtig war dem Club auch immer, andere Frauen fürs Fliegen zu begeistern und sie zu ermutigen, es auch zum Beruf zu machen.
    "Mehr werden Zutritt bekommen, wenn eine größere Zahl an die Tür klopft. Wenn du an die Tür klopfst, könnte es nützlich sein, eine Axt dabei zu haben. Du musst dir vielleicht den Weg hindurch freischlagen", sagte Amelia Earhart. Durch eine Tür konnten sich auch die "Ninety-Nines" lange nicht durchschlagen: Erst in den Siebzigerjahren gab es die ersten Pilotinnen bei Linienfluggesellschaften. Die "Ninety-Nines" gibt es immer noch. Heute gehören dem Club international über fünftausend Pilotinnen an, und auf der Mitgliederliste der vergangenen 90 Jahre finden sich viele herausragende Fliegerinnen.