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Pöttering fordert Ende der Gewalt in Tibet

Der Präsident des Europa-Parlaments, der deutsche Christdemokrat Hans-Gert Pöttering, hat das Vorgehen Chinas in Tibet verurteilt. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Repressionen müssten ein Ende haben, sagte Pöttering. Die Regierung in Peking solle dem tibetischen Volk dessen eigene Religion und Kultur zugestehen. Zur Diskussion über einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele in Peking meinte Pöttering, man müsse sich alle Optionen offenhalten.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Vor 50 Jahren, am 19. März 1958, trat die Versammlung der Europäischen Gemeinschaft - also Montanunion, gemeinsamer Markt, Euratom damals - zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Es war die Geburtsstunde des Europaparlaments. Ist die Demokratie seither stärker geworden in Europa, oder werden die Bürger mit Richtlinien abgespeist? Was bewirkt Europa außenpolitisch, zum Beispiel in Tibet? Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich den Präsidenten des Europaparlaments Hans-Gert Pöttering. Guten Morgen Herr Pöttering.

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen Herr Liminski.

    Liminski: Herr Pöttering, zunächst auch an Sie die Frage des Tages. Sind Sie für oder gegen einen Boykott der Olympischen Spiele wegen der Gewalt in Tibet?

    Pöttering: Ich glaube wir müssen der chinesischen Führung jetzt sagen, dass sie alles tun soll, dass es in Tibet zur Versöhnung kommt, dass die Gewalt eingestellt wird und dass wir damit auch den Olympischen Spielen eine Chance geben. Aber jetzt zu sagen, wie es endgültig weitergeht, ist zu früh. Das bedeutet natürlich auch, dass Repression und Einschränkung von Meinungsfreiheit, Einschränkung von Berichterstattung ein Ende haben muss, und hier hat die chinesische Führung jetzt die Chance, ein Signal zu setzen.

    Liminski: Kann denn internationaler Druck nützlich sein, oder zwingt das nur zur Solidarität unter Diktatoren?

    Pöttering: Ich denke, dass die Chinesen - das ist die Erfahrung in den letzten Wochen und Monaten - ja den engen Kontakt, den Dialog mit den Akteuren in der Welt wollen, auch insbesondere mit der Europäischen Union und zu meiner großen Freude auch mit dem Europäischen Parlament. Deswegen haben wir ja auch die Pflicht jetzt, unseren chinesischen Partnern zu sagen, das was ihr in Tibet macht - der Dalai Lama nennt es ja einen kulturellen Genozid, also die Beseitigung der Kultur der Tibetaner - muss ein Ende haben. Und wir müssen China auffordern, im Rahmen des chinesischen Staatsgebietes den Tibetanern ihre Möglichkeit zu lassen, ihre Kultur, ihre Religion zu leben. Das ist unsere Forderung an China.

    Liminski: Sie sprechen konkret auch von den Beziehungen zwischen dem Europaparlament und Peking. Was kann denn Europa, was kann konkret das Parlament in Peking bewirken? Eben haben wir von Otto Graf Lambsdorff gehört, dass man die Unterdrückung in Tibet auf allen internationalen Bühnen zur Sprache bringen sollte - insbesondere natürlich im Sicherheitsrat. Wie wichtig ist denn die Bühne in Straßburg für solche internationalen Ereignisse?

    Pöttering: Ich stimme Otto Graf Lambsdorff ausdrücklich zu, wenn er dieses fordert, und das Europäische Parlament tut dieses ja. Wir haben ja vielfältige Kontakte mit China. Ich habe erst vor wenigen Wochen zum Abschied aus Brüssel den chinesischen Botschafter gesehen und dabei ging es natürlich auch um Menschenrechte, aber wir haben natürlich noch gar nicht absehen können, was jetzt in Tibet geschieht. Wir müssen unseren chinesischen Partnern in Peking, der Regierung der kommunistischen Partei - es handelt sich ja nicht um eine westliche Ordnung - die Wahrheit sagen und man kommt nur durch Wahrheit am Ende auch zu Ergebnissen. Das was gegenwärtig in Tibet geschieht, kann niemals unsere Zustimmung finden und das müssen die Chinesen erkennen. Wenn die Olympischen Spiele ein Erfolg werden sollen - und wir wollen, dass sie ein Erfolg werden -, dann müssen Repression und Einschränkung der Meinungsfreiheit, Einschränkung der freien Berichterstattung aufhören. Dieses Signal müssen wir jetzt an Peking geben.

    Liminski: "Wer redet schießt nicht" heißt ein Satz aus dem imaginären Lehrbuch der Demokratie und des Parlamentarismus. In Tibet wird geschossen. Reicht da das reden?

    Pöttering: Wir müssen natürlich unsere Meinung sagen in der Welt und was können wir anderes tun, als durch gute Argumente, durch die Verteidigung der Menschenrechte unsere Stimme zu erheben. Wir wollen ja nicht schießen. Das würde ja nicht zu einem Ergebnis führen. Aber wir müssen den Chinesen sagen: Wenn diese Repression so weitergeht, dann wird es auch weitere Überlegungen mit sich bringen. Es sollten sich auch die Politikerinnen und Politiker, die zur Eröffnung der Olympischen Spiele nach China reisen wollen - und ich habe das eigentlich vor -, überlegen, wenn das so weitergeht, ob man eine solche Reise dann noch verantworten kann.

    Liminski: Das heißt kein Boykott, aber doch den Auftakt zu boykottieren?

    Pöttering: Ich will mich jetzt auf endgültige Schritte nicht festlegen, aber man muss alle Optionen offen halten. Wir sollten vor allen Dingen jetzt der chinesischen Führung sagen, ihr habt die Chance, Signale zu setzen. Ein solches Signal ist zum Beispiel, dass man nicht den Bürgerrechtler und denjenigen, der als Persönlichkeit, als Symbolfigur für die Demokratie in China gilt, nämlich den Bürgerrechtler Hu Jia, nach Abschluss des Volkskongresses wie es heißt nicht nur anklagen, sondern verurteilen wird wegen Subversion. Dieses wäre von uns nicht hinnehmbar und wir erwarten von der chinesischen Führung ein Signal, dass man die Menschenrechte, die Demokratie, die Bürgerrechtler wie Hu Jia ernster nimmt und dass man sie nicht verfolgt.

    Liminski: Also die Kraft der Argumente sprechen lassen und Perspektiven von Sanktionen auch aufzeigen. - Herr Pöttering, Sie sind Präsident des Parlaments und ein Parlamentarier der ersten Stunde. Was hat sich denn in den letzten Jahrzehnten im und mit dem Europaparlament getan? Hat die Demokratie Fortschritte gemacht?

    Pöttering: Ja, die Demokratie hat Fortschritte gemacht. Es war für mich die wunderbarste Erfahrung, dass die Menschen in der Mitte und zum Teil im Osten Europas die Freiheit bekommen haben, dass Gesamtdeutschland am 3. Oktober 1990 wiedervereinigt ist, dass am 1. Mai 2004 drei Nationen, die von der Sowjetunion okkupiert waren, wie Estland, Lettland und Litauen, dann schließlich die Warschauer-Pakt-Staaten Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und jetzt auch Slowenien, was sogar die Präsidentschaft in diesem Halbjahr hat, und dann am 1. Januar 2007 Bulgarien, Rumänien der Europäischen Union beigetreten sind. Das ist eine wunderbare Entwicklung, weil diese Menschen in diesen Ländern unserer Wertegemeinschaft der Europäischen Union beigetreten sind. Das Parlament als solches hat sich grandios entwickelt von einem Parlament, das 1979 null Gesetzgebungsbefugnisse hatte, zu einem Parlament, das jetzt, wenn der Reformvertrag von Lissabon in Kraft tritt, nahezu ein zu 100 Prozent gleichberechtigtes Organ ist in der Gesetzgebung mit dem Ministerrat. Das ist eine sehr demokratische parlamentarische Entwicklung, auf die wir als Europäer sehr stolz sein können.

    Liminski: Im ersten Parlament gab es 142 Abgeordnete. Jetzt sind es fünfmal so viele: knapp 800. Halten Sie denn eine weitere Erweiterung der EU noch für sinnvoll, oder sollte nicht doch erst einmal eine Vertiefung der europäischen Institutionen erfolgen?

    Pöttering: Ja. Das ist genau das, was wir jetzt in den nächsten Monaten und Jahren brauchen. Zunächst einmal muss jetzt der Reformvertrag ratifiziert werden. Wir streben an, dass er in Kraft tritt zum 1. Januar 2009. Wir müssen dann die Erfahrungen sammeln mit dem neuen Vertrag, der der Europäischen Union mehr Demokratie, mehr Parlamentarismus, mehr Handlungsfähigkeit ermöglicht. Und dann muss man darüber nachdenken, wie wir in behutsamer Weise die Europäische Union erweitern können - insbesondere auch um Kroatien, um die Balkan-Staaten, um einige andere Länder. Aber das braucht Zeit. Wir dürfen vor allen Dingen niemals den zweiten Schritt vor dem ersten tun.

    Liminski: Damit sind wir bei der Mittelmeerunion. Das ist ja sozusagen ein Auffangbecken für privilegierte Partnerschaften. Spielt das Parlament bei dieser Frage überhaupt eine Rolle? Gerade bei diesen Ländern könnte zumindest das Beispiel des Parlamentarismus in der Demokratie ja manche Kriegsgefahr bannen.

    Pöttering: Ich habe bei dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Länder der Europäischen Union am vergangenen Donnerstag ausdrücklich gefordert, dass das Europäische Parlament eingebunden wird in die Definition dieser Mittelmeerunion. Es ist ja auch unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken, dass ursprüngliche Überlegungen, dass nur die südlichen Länder der Europäischen Union dieser Mittelmeerunion angehören sollen, vom Tisch sind, sondern die Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens wollen ja eine Partnerschaft mit der gesamten Europäischen Union und das wollen wir auch im Europäischen Parlament. Hier muss das Europäische Parlament voll einbezogen werden und ich habe auch die Erwartung, dass dieses geschieht. Im Übrigen möchte ich sagen, dass der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy die richtigen Fragen stellt, indem er nämlich sagt, wie können wir unsere Kooperation verbessern mit den Mittelmeerländern, die nicht der Europäischen Union angehören. Dies ist eine richtig gestellte Frage und wir müssen jetzt sehen, dass wir darauf die richtigen Antworten geben. Dabei muss natürlich das Europäische Parlament eine wichtige Rolle spielen.

    Liminski: Noch ein Wort zu den Erfahrungen des Alltags im Parlament. Von dem Geschichtsschreiber Tacitus haben wir gelernt, ein Gesetz muss kurz sein, damit es von Unkundigen desto leichter behalten werde. Beherzigt Ihr Parlament diese alte Regel, oder stolpert es wie so viele Parlamente in die Falle der Redundanz?

    Pöttering: Tacitus war ein kluger Historiker, aber das was er vor 2000 Jahren gesagt hat kann natürlich nicht immer Maßstab sein für die heutige Europäische Union. In der Zeit von Tacitus hatten wir ein römisches Imperium, ein römisches Reich. Rom hat regiert, Rom hat bestimmt und da reichten wenige Worte. Heute sind wir eine Europäische Union mit 27 Ländern, nahezu 500 Millionen Menschen und alle Länder haben unterschiedliche Kulturen. Da ist es eben nicht so leicht, durch wenige Worte ein Gesetz zu verfassen. Deswegen brauchen wir ein bisschen Geduld. Aber ich bin schon der Meinung, wir sollten es so einfach wie möglich machen. Leider geht es aber nicht immer so einfach, wie wir es haben möchten.

    Liminski: Ist denn die Konkurrenz zum Ministerrat und zur Kommission schärfer geworden?

    Pöttering: Das Europäische Parlament ist heute ein wichtiger Machtfaktor, zusammen mit der Kommission, mit dem Ministerrat. Weder die Kommission, noch der Ministerrat können das Parlament ignorieren. Wir sind heute in einem wirklichen gleichberechtigten Handeln, in einer gleichberechtigten Partnerschaft. Wenn diese Gleichberechtigung gegenüber dem Europäischen Parlament gelegentlich nicht geachtet wird, dann ist es die Aufgabe auch des Präsidenten, für dieses Gleichgewicht zu sorgen. Meine Erfahrung ist, wenn wir unsere Positionen vertreten, gute Argumente haben, dass wir uns gut behaupten können gegenüber Ministerrat und Kommission. Insofern sind wir glaube ich als Europäisches Parlament auf einem guten verantwortungsvollen Wege.

    Liminski: Die Demokratie, das Parlament und der Frieden in Europa. Das war der Präsident des Europaparlaments Hans-Gert Pöttering. Besten Dank für das Gespräch, Herr Pöttering.