Samstag, 27. April 2024

Archiv

Polnische Justizreform
"Ich denke, das sind Spätfolgen der sozialistischen Zeit"

Merkel und Macron gemeinsam für Rechtsstaatlichkeit in Polen - das fände Ruprecht Polenz von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde gut, sagte er im Dlf über das Land, das seine Justiz umbaut. Auch in einer auf Einstimmigkeit ausgerichteten EU könne man immer noch am Geldhahn drehen - und somit Druck aufbauen.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.07.2017
    Ruprecht Polenz, der offizielle Vertreter der Bundesregierung im Dialog mit Namibia über den Völkermord an den Herero und Nama.
    Sozialistische Strukturen (imago / Metodi Popow)
    Dirk-Oliver Heckmann: Ein demokratischer Rechtsstaat zeichnet sich bekanntlich durch Gewaltenteilung aus, also einem System, in dem Gesetzgebung, Regierungsgewalt und Rechtsprechung voneinander unabhängig sind und sich gegenseitig kontrollieren. In Polen ist die rechtskonservative PiS-Partei schon seit geraumer Zeit dabei, diese Gewaltenteilung zu unterhöhlen. So jedenfalls sehen es ihre Kritiker im In- und Ausland. Sie versucht, die umstrittene Justizreform jetzt mit allen Mitteln durchzupeitschen.
    Am Telefon ist Ruprecht Polenz, ehemaliger Außenpolitiker der CDU, jetzt Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Guten Tag, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Tag.
    Heckmann: Herr Polenz, mit Ungarn und mit Polen haben wir jetzt zwei Länder, die drohen, sich von Demokratie und Rechtsstaat zu verabschieden. Wie ist das aus Ihrer Sicht eigentlich zu erklären?
    Polenz: Ich denke, das sind alles Spätfolgen der sozialistischen Zeit, die ja für beide Länder erst 1989 geendet ist. Und das Aufarbeiten dieser jahrzehntelangen Ein-Parteien-Herrschaft kommt immer wieder hoch, wenn man so sagen will, weil solche Strukturen nicht einfach zur Seite gewischt werden können. Ich glaube, das ist die plausibelste Erklärung für das jetzt wieder stark re-nationalisierte Denken, sowohl in Ungarn wie in Polen.
    Heckmann: Aber die ganze Sache ist ja nun jetzt auch schon fast 30 Jahre her.
    Polenz: Trotzdem, man darf nicht unterschätzen, dass Demokratien auch wachsen und sich entwickeln müssen, und es fällt schon auf, dass es diese Erscheinungsform jetzt vor allem in einigen Staaten Mittel- und Osteuropas gibt. Es ist ja auch so, dass wir in Tschechien und in der Slowakei ähnliche Diskussionen haben, allerdings noch nicht mit den Auswirkungen auf den Staat.
    Das Nervensystem einer Demokratie stehe auf dem Spiel
    Heckmann: Jetzt gibt es ja auch in Polen täglich Demonstrationen. Allerdings kommen da eher Tausende zusammen und nicht Zehntausende oder Hunderttausende. Wie erklären Sie sich das?
    Polenz: Nun, ich finde es immer sehr beachtlich, wenn Menschen für die Demokratie auf die Straße gehen. Das sind in der Regel nicht welche, die sich in einer Organisation für die Demokratie befinden, die sie dann aufruft, auf die Straße zu gehen, sondern die aus Sorge um ihren Staat auf die Straße gehen, sicherlich von der einen oder anderen Organisation auch dazu aufgerufen werden. Was jetzt in Polen auf dem Spiel steht, ist im Grunde das Nervensystem einer Demokratie, so will ich mich mal ausdrücken, denn das Vertrauen in die Gerichte ist ganz entscheidend für die Stabilität eines Staates und das Vertrauen in die Gerichte wiederum hängt auch sehr stark davon ab, wer über die Ernennung von Richtern entscheidet, natürlich auch, wie sie qualifiziert sind.
    "Polen fällt durch diese Reform praktisch hinter 1791 zurück"
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, wenn diese Reform – von einer Reform ist ja die Rede, von einer Justizreform – so durchgeht, wie bisher geplant, dann ist es das gewesen mit dem Rechtsstaat in Polen?
    Polenz: Ich finde es vor allen Dingen erschütternd, dass Polen, was ja 1791 die erste demokratische Verfassung in Europa verabschiedet hat, wo man die Prinzipien der französischen Revolution und auch das Prinzip der Gewaltenteilung für die damalige Zeit sehr fortschrittlich umgesetzt hat, dass es jetzt durch diese Reform praktisch hinter 1791 zurückfällt, jedenfalls was die Unabhängigkeit der Justiz angeht. Natürlich kann man darüber sprechen, ob etwa Parlamente Richter wählen sollen, wie das beispielsweise auch in Deutschland der Fall ist. Aber worüber man nicht sprechen kann ist eigentlich, dass diese Richter dann in einem großen überparteilichen Konsens gewählt werden müssen. Das heißt, wir haben beispielsweise in Deutschland bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit jeweils im Bundestag und im Bundesrat für die Richter, die von den beiden Kammern gewählt werden.
    PiS-nahe Journalistin: Auch die Justiz gehöre kontrolliert
    Heckmann: Genau auf diesen Punkt hat auch Aleksandra Rybinska abgehoben. Sie ist Journalistin, die der PiS nahesteht. Sie hat heute früh uns im Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Und sie hat argumentiert, das alles ist eigentlich völlig normal, was da in Polen jetzt geplant ist, denn die Richter in Polen, die sollen sich auch endlich mal einer Kontrolle unterwerfen.
    O-Ton Aleksandra Rybinska: "Wir haben im Augenblick eine Gewaltenteilung, die so aussieht: Wir haben eine Legislative und eine Exekutive. Die kontrollieren sich gegenseitig. Und wir haben ein Justizwesen, was die beiden anderen Gewalten kontrolliert. Allerdings niemand kontrolliert das Justizwesen. Ich erinnere Sie daran: Sie wissen, wie in Deutschland Richter gewählt werden. Da haben die Landesjustizminister etwas zu sagen, da hat der Bundesrat, der Bundestag etwas zu sagen."
    Heckmann: Soweit die Argumentation der PiS-nahestehenden Journalistin Aleksandra Rybinska heute früh.
    Polenz: Ja.
    "Die Diskussion findet in einem stark polarisierten Polen statt"
    Heckmann: Messen wir also mit zweierlei Maß, vor allem, wenn man sich auch noch klar macht, dass zuletzt noch Veränderungen bei dieser Justizreform eingebaut wurden auf Betreiben des Präsidenten und wonach es jetzt so aussieht, dass eine Vier-Fünftel-Mehrheit benötigt wird, um diese Richter auszuwählen?
    Polenz: Das muss man sich im Ergebnis genau anschauen. Wenn es ganz breite Mehrheiten sind, die in Zukunft die Richter wählen, dann hätte ich persönlich erst mal keine Bedenken. Man muss sich natürlich das ganze System anschauen. Sehr fragwürdig bleibt natürlich die Ermächtigung des Justizministers zur sofortigen Entlassung aller Richter an einem Gericht, und da fragt man sich dann: Warum dieser Kahlschlag? Man muss auch sehen: Die ganze Diskussion findet in einem Polen statt, was unglaublich stark polarisiert ist, wo die PiS, seitdem sie die Macht übernommen hat, nach ihrem Wahlsieg, erst mal die Unabhängigkeit des staatlichen öffentlichen Rundfunks und Fernsehens zerstört hat beziehungsweise ihn zum Regierungsfunk weitgehend umfunktioniert hat. Vor dieser Polarisierung wäre es erst recht wichtig, dass alle Kräfte in Polen daran arbeiten, gemeinsam daran arbeiten, ein Justizsystem zu schaffen, was von allen getragen werden kann, denn die Justiz ist unabhängig. Der Satz 'Wer kontrolliert die Justiz?' ist insofern fehlgeleitet. Sie muss sich im Grunde selber regulieren und kontrollieren, und das erfolgt in der Regel durch den Instanzenzug, wo ein Urteil von einem höheren Gericht dann aufgehoben werden kann.
    Frankreich und Deutschland sollten gemeinsam auftreten
    Heckmann: Herr Polenz, die EU-Kommission, die hat ja schon vor einiger Zeit ein Verfahren eingeleitet gegen Polen, das feststellen soll, ob es Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip gibt – bisher aber ohne Konsequenz. Ist die Europäische Union in solchen Dingen zu zahm?
    Polenz: Das weiß ich nicht. Das Rechtsstaatsverfahren ist ja schon ein sehr nachdrückliches Verfahren der Diskussion über einzelne Gesetzesvorhaben in einem Mitgliedsstaat, wo die Kommission die begründete Sorge hat, es sei dann im Ergebnis mit den europäischen Verträgen, mit der Grundrechts-Charta nicht mehr vereinbar. Am Ende dieses Verfahrens kann sogar der Stimmrechtsentzug stehen. Also, das ist kein Pappenstiel, was die europäische Kommission da auffährt. Aber ich würde mir auch wünschen, dass die anderen EU-Mitgliedsländer jetzt nicht einfach zuschauen, was die Kommission macht, sondern ihren eigenen Einfluss nutzen, und da ist es natürlich für Deutschland etwas schwierig, weil immer wenn wir bilateral gegenüber Warschau uns kritisch äußern, kommt sehr schnell die Replik, die uns dann an die eigene deutsche Vergangenheit erinnert. Ich würde mir wünschen, dass zum Beispiel Frankreich und Deutschland gemeinsam hier die Kommission auch unterstützen mit einer gemeinsamen Initiative für Rechtsstaatlichkeit in Polen, Merkel und Macron gemeinsam gegenüber Kaczynski. Das fände ich eine gute Sache.
    "Die Konstruktion der EU ist sehr auf Konsens angelegt"
    Heckmann: Herr Polenz, am Ende eines solchen Rechtsstaatsverfahrens der EU kann ein Entzug der Stimmrechte stehen. Sie haben es gerade selber gesagt. Voraussetzung dafür ist aber Einstimmigkeit unter den Mitgliedsländern, und Ungarn hat schon gesagt, da machen wir auf gar keinen Fall mit. Ist das ein Konstruktionsfehler?
    Polenz: Das liegt in der Konstruktion der Europäischen Union, die sehr auf Konsens angelegt ist und im Grunde auch unterstellt, dass alle Staaten gemeinsam ein Interesse an den Prinzipien haben, denen sie in den europäischen Verträgen zugestimmt haben. Eine Situation wie die, dass dann ein weiterer Staat, jetzt Ungarn sagt, uns interessiert das jetzt auch nicht weiter, Polen soll machen was es will, eine solche Situation war offensichtlich in den Verträgen nicht vorgesehen. Aber was man natürlich auch noch überlegen kann ist – und der Gedanke liegt ja nahe: Wir zahlen in die Haushalte der Europäischen Union ein, in der Erwartung, dass Demokratien sich weiterentwickeln, ökonomisch, politisch und so weiter. Und wenn sich jetzt ein Staat wie Polen von diesem Weg entfernt, dann muss man natürlich auch die Frage stellen, inwieweit dieser Staat dann noch im gleichen Umfang Empfänger europäischer Zahlungen sein kann.
    Heckmann: Ruprecht Polenz war das, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Herr Polenz, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Polenz: Bitte schön! Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.