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Portugal und der Brexit
Von alten Verbündeten und neuen Herausforderungen

Am liebsten hätte die portugiesische Regierung den Brexit vermieden. Denn die Sozialisten regieren mit Hilfe kleinerer Linksparteien. Und deren Forderungen nach einem Ende des Sparkurses konnten sie nur gerecht werden, weil die Wirtschaft brummte. Der Brexit könnte die Karten neu mischen, auch im Douro-Tal im Norden Portugals.

Von Tilo Wagner | 27.11.2018
    Weinlese in einem Weinberg im Douro-Tal im Norden des Landes. Aus den Trauben wird u.a. auch Portwein hergestellt.
    Weinlese in einem Weinberg im Douro-Tal im Norden des Landes. Aus den Trauben wird u.a. auch Portwein hergestellt. (picture alliance / dpa / Schilling)
    Die Weinherstellung im Douro-Tal im Norden Portugals ist seit Jahrhunderten ein Beispiel für die engen Beziehungen zwischen Portugal und Großbritannien. Anfang des 18. Jahrhunderts unterzeichneten die beiden Länder ein Wirtschaftsabkommen: Britische Unternehmer ließen sich an der Douro-Mündung in Vila Nova de Gaia nieder und stellten mit den portugiesischen Trauben einen Süßwein her, der bald als "Port" sogar im britischen Königshaus auf den Tisch kam.
    Die Vorliebe der Briten für Portwein werde auch nach dem Brexit ungebrochen sein, glaubt António Saraiva, Präsident des Dachverbandes der portugiesischen Industrie CIP. Doch in anderen Sektoren müssten sich die Handelspartner auf spürbare Veränderungen gefasst machen. Das geht aus einer jüngst veröffentlichten Studie hervor, die der Industrieverband in Auftrag gegeben hat:
    "Wenn alles gut läuft mit dem Austritt aus der Europäischen Union, dann werden mittelfristig portugiesische Exporte auf die Insel um rund 15 Prozent einbrechen; wenn alles schlecht läuft, dann könnten es sogar 26 Prozent werden. Und das hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft, denn das Vereinigte Königreich ist für Portugal der viertgrößte Absatzmarkt für den Export von Gütern, und der größte Absatzmarkt für den Export von Dienstleistungen, insbesondere im Tourismusbereich."
    Großes Risiko für die portugiesische Wirtschaft
    Für die portugiesische Tabak-, Textil- und Automobilindustrie ist das Risiko also groß, britische Kunden zu verlieren, die ihre Produkte künftig aus der Türkei oder aus Südkorea beziehen könnten.
    António Saraiva weist noch auf einen anderen Punkt hin: Portugal sei so anfällig für die direkten und indirekten Auswirkungen des Brexit, weil die portugiesische Wirtschaft insgesamt sehr stark vom gesamteuropäischen Markt abhängig ist, der als Ganzes unter den Folgen des britischen EU-Austritts leiden werde:
    "Drei Viertel aller Exporte aus Portugal gehen nach Europa. Die möglichen Folgen des Brexit zeigen uns, dass wir diese Abhängigkeit vom europäischen Markt verringern müssen. Deshalb sind wir auf der Suche nach neuen Absatzmärkten, vor allem in Afrika und Lateinamerika."
    Das alles braucht jedoch Zeit. Die Studie des Industrieverbandes erklärt nicht, inwiefern der Brexit die kurzfristige Haushaltsplanung in Lissabon beeinträchtigen könnte.
    Seit drei Jahren versuchen die Sozialisten zwei Punkte einer Finanzpolitik miteinander zu vereinbaren, die sich zu Zeiten der Troika noch ausgeschlossen hatten: Ein Ende der Sparpolitik mit Einkommens- und Rentenerhöhungen, und gleichzeitig ein rigoroser Abbau des Haushaltsdefizits. Bisher hatte die Regierung dabei von einem Boom im Tourismus und anderen Sektoren profitiert und konnte so ein Wachstum vorweisen, das über den Wirtschaftsprognosen lag. Doch jetzt scheint sich das Blatt zu wenden.
    Haushaltslage in Italien Gefahr für Portugal
    Der Wirtschaftswissenschaftler Pedro Braz Teixeira hält den Sozialisten einen blinden Zweckoptimismus vor. Der Brexit, so Teixeira, könnte die Regierung jedoch nun dazu zwingen, realistischer auf die Wirtschaftsentwicklung der kommenden Monate zu blicken. Und das sei dringend notwendig, auch aus einem anderen Grund:
    "Für Portugal könnte sich die Lage zuspitzen, wenn es ein Problem in Südeuropa gibt. Zum Beispiel in Italien. Der Schuldenstand ist in beiden Länder fast gleich hoch. Portugal reagiert sehr anfällig auf die italienische Finanzlage, das sieht man an den Bewegungen auf den Kapital- und Anlagemärkten. Und das könnte wiederum weitreichende Konsequenzen für die Finanzpolitik in Portugal haben."
    Doch sollte die Regierung sich genötigt sehen, mögliche negative Auswirkungen des Brexit mit einem Sparkurs bei den öffentlichen Investitionen aufzufangen, droht Druck von Links. Im Oktober 2019 wählt Portugal ein neues Parlament. Und die Kommunisten und der Linksblock, die die sozialistische Minderheitsregierung stützen, haben gerade im Wahljahr großes Interesse daran, ihr eigenes Profil zu schärfen – und dazu gehört auch der Widerstand gegen einen erneuten Sparkurs.