
In Portugal sind in den vergangenen Jahren Dutzende solcher Zentren entstanden, wo telefoniert und programmiert wird. Google baut einen Standort mit über 500 Mitarbeitern im Großraum Lissabon auf. Mercedes-Benz hat im vergangenen Jahr in der portugiesischen Hauptstadt seinen weltweit ersten Digital Delivery Hub eröffnet, um Softwarelösungen für autonomes Fahren und E-Mobilität zu entwerfen. Und Siemens und Bosch haben ihre Zentren in Portugal kontinuierlich ausgebaut.
Der portugiesische Wirtschaftsminister Manuel Caldeira Cabral weiß, warum die multinationalen Konzerne ausgerechnet im ehemaligen Krisenland Portugal investieren:
Doch es sind nicht die Dienstleistungs-Zentren der Großunternehmen, die Portugal den Wirtschaftsaufschwung beschert haben, sondern vor allem der Tourismus. Das Hotelgewerbe zählte im vergangenen Jahr erstmals über 20 Millionen Gäste - ein Zuwachs von fast neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Großstädte Lissabon und Porto gelten mit ihrer Mischung aus Sonne, Strand und lebhafter Kultur als ideale Orte für Städtekurzreisen. Portugal profitiert davon, dass es kein Ziel des internationalen Terrorismus ist.
In der Wahrnehmung vieler Portugiesen wurde ihr Land zuletzt vielfach aufgewertet. Bei der Fußballeuropameisterschaft im Sommer 2016 gewann die portugiesische Nationalmannschaft ihren ersten großen internationalen Titel. Und im vergangenen Jahr ging der Eurovision Songcontest zum ersten Mal an einen portugiesischen Musiker.
"Für die Probleme in den südeuropäischen Ländern hat es seit 2011 nur einen Lösungsansatz gegeben: Eine Zwangs-Spar-Politik, die gleichzeitig als Bestrafung wahrgenommen wurde. Die Sparmaßnahmen haben in Portugal - wie auch in Griechenland und anderen Staaten - die ärmste Bevölkerungsschicht hart getroffen und gebrandmarkt. Mit schweren Konsequenzen: Vor allem die ewige Rede von der Sparpolitik - erniedrigte die ganze Wirtschaft, ließ den Konsum einbrechen und machte die Völker depressiv. Und ein depressives Volk ist weder produktiv noch wettbewerbsfähig."
Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 stützten die Sozialisten, die damalige größte Oppositionspartei, ihren Wahlkampf deshalb auf ein ganz simples Motto: Das Ende der Sparpolitik. Dennoch fehlten der konservativen Regierung nur wenige Prozentpunkte zur Wiederwahl, weil die ersten Anzeichen des Wirtschaftsaufschwungs bereits zu spüren waren. Sozialistenchef António Costa griff tief in die Trickkiste der Demokratie, um schließlich doch Premierminister zu werden: Er formte eine Minderheitsregierung, gestützt auf drei kleinere, komplett regierungs-unerfahrene Linksparteien, die gegen den EU-Stabilitätspakt waren.
"Wenn António Costa nicht an die Macht gekommen wäre, hätte das das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Deshalb war das Linksbündnis der einzige Ausweg für Costa, um politisch zu überleben. Aus dieser Notwendigkeit hat er dann eine Tugend gemacht und mit großem Geschick die Regierung und das Linksbündnis geführt."

"Der Sparkurs ist in Portugal nicht wirklich beendet worden. Die Mehrkosten im Lohn- und Gehaltsbereich hat die Regierung an anderer Stelle aufgefangen, zum Beispiel durch Budgetkürzungen im Gesundheitswesen. Normalerweise hätte das zu einem offenen Bruch mit den radikaleren Linksparteien führen müssen. Die Linkskräfte haben das zwar offen kritisiert, aber dann doch den Kurs der sozialistischen Regierung unterstützt."
Dabei hielten die Sozialisten sogar an Eckpfeilern der Wirtschaftspolitik der konservativen Regierung fest. Das sagt Wirtschaftsprofessor Daniel Traça, Direktor der Nova School of Business and Economics in Lissabon.
"Zum einen muss Portugal im Exportbereich viel stärker wachsen und sich den globalen Märkten zuwenden. Zum anderen soll dieses Wachstum von einem ausgeglichenen Haushalt und kontrollierten Staatsausgaben begleitet werden. Diese beiden Ideen, die vor der Krise nicht salonfähig waren, gehören heute zum politischen Konsens. Sie gab es bereits vor der sozialistischen Regierung, und sie sind auch in dieser Legislaturperiode ausschlaggebend."

"Die Betriebe müssen unbedingt investieren, um den Maschinenpark zu erneuern, Innovationen zu stimulieren und die Mitarbeiter weiter auszubilden. Doch die Unternehmen und Geldgeber werden nur investieren, wenn sich die allgemeinen Rahmenbedingungen verbessern: Mit niedrigeren Unternehmenssteuern, mit dem Abbau bürokratischer Hindernisse und mit einem Justizsystem, das funktioniert. Zum anderen müssen wir weiter auf den Export setzen und neue Absatzmärkte hinzugewinnen. Doch dafür brauchen wir Kapital, und in Portugal herrschen immer noch große Finanzierungsschwierigkeiten."
Das liegt vor allem am Bankensystem, das die Finanzkrise immer noch in den Knochen spürt. Die Regierung hat zwar eine Reihe von schwerwiegenden Problemen bereits gelöst, zum Beispiel den Verkauf der zwangsverstaatlichten ehemaligen Privatbank "Banco Espírito Santo". Doch viele Geldhäuser drückt in ihren Bilanzen ein hoher Anteil fauler Kredite. Der notorische Geldmangel in der portugiesischen Wirtschaft droht sich weiter zu verschärfen. Zurzeit stammen 85 Prozent der öffentlichen Investitionen in Portugal aus europäischen Fördergeldern. Doch mit der Neuverteilung der EU-Gelder durch den Brexit könnte Portugal im nächsten EU-Haushalt rund vier Milliarden Euro weniger erhalten.
"Die großen Reformen in Portugal haben die Sozialisten und die Konservativen immer gemeinsam umgesetzt. In den vergangenen Jahren haben innere und äußere Faktoren jedoch dazu geführt, dass die beiden Volksparteien auseinandergedriftet sind: Die Sozialisten sind nach links gerückt, die Sozialdemokraten nach rechts. Gemeinsame Abkommen waren nicht mehr möglich, und es hat im Parlament scharfe Anfeindungen zwischen den beiden Parteiführern gegeben, wie wir sie vorher noch nie erlebt hatten. Eigentlich bräuchten wir einen neuen sozialen Vertrag mit der ganzen Gesellschaft, um zum Beispiel unser Gesundheitssystem zu erneuern, das zwar eigentlich eine kostenfreie Versorgung garantieren sollte, aber gerade die Ärmsten und Schwächsten häufig nicht ausreichend versorgen kann. Ein großer Pakt zwischen den Volksparteien wäre notwendig, aber das scheint zurzeit nicht möglich."
Stattdessen treten die Interessen einzelner Berufsgruppen in den Vordergrund: Ob Lehrer, Gefängniswärter, Krankenschwestern oder Eisenbahner - die Streiks im öffentlichen Dienst haben in Portugal spürbar zugenommen. In den Krisenjahren sind die Laufbahnen der öffentlichen Angestellten eingefroren worden, seit zehn Jahren hat es keine Gehaltserhöhung gegeben. Jetzt fordern die Gewerkschaften ihren Tribut.
"Zu Beginn der Legislaturperiode hat die Regierung die Gehaltskürzungen zurückgenommen und Anreize für Unternehmen geschaffen. Das hat die interne Nachfrage deutlich steigern lassen. Wenn die Gehälter im öffentlichen Dienst nicht erhöht und die Laufbahnen nicht aktualisiert werden, dann wird der private Konsum wieder einbrechen und das Wirtschaftswachstum deutlich geringer ausfallen."

Gegen weitere Forderungen der Gewerkschaft wehrt sich die Regierung deshalb. Bis zum Jahr 2020 will sie einen ausgeglichen Haushalt vorweisen. Vom Erfolg ihrer Finanzpolitik, so der Politologe Carlos Jalali, hänge auch das Schicksal der Sozialistischen Partei ab:
"Vor sieben Jahren war es eine sozialistische Regierung, die den Antrag auf Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm stellen musste. António Costa ist sich jetzt bewusst, dass das die Achillesferse seiner Regierungszeit sein wird. Gegenüber den Wählern und den europäischen Partner muss er in den Haushaltsfragen große Durchsetzungskraft zeigen. Mit Mário Centeno hat er den richtigen Finanzminister gefunden, und das reflektiert sich auch in der Wahl Centenos zum Eurogruppenchef. Wenn die Person Centeno in Brüssel glaubwürdig ist, dann ist auch die Haushaltspolitik der Regierung glaubwürdig."
"Er zeigt ein sehr großes politisches Geschick beim Umgang mit den kleineren Linksparteien. Er schafft es, radikalere Linkskräfte einzubinden, ohne den Eindruck zu erwecken, er würde sich die Unterstützung mit politischen Geschenken erkaufen. Für die Sozialisten zahlt sich das aus, seine Partei liegt in den Umfragen weit vorne. Das ist in einem Europa, in dem die gemäßigten Linksparteien eine tiefe Krise durchlaufen, ein ganz außerordentliches Verdienst."
Dagegen konnten die kleineren Linksparteien bisher noch kein Kapital aus dem erfolgreichen politischen Projekt ziehen. Die Kommunistische Partei hat zuletzt bei den Kommunalwahlen mehrere Hochburgen verloren. Carlos Jalali erwartet deshalb, dass die Konflikte innerhalb des Linksbündnisses in den eineinhalb Jahren bis zu den Parlamentswahlen zunehmen werden.
"Es wird sehr schwierig sein, diese Klapperkiste, dieses außergewöhnliche politische Konstrukt noch einmal auf die Beine zu stellen. Es fehlen der Druck und die Notwendigkeit, eine politische Alternative schaffen zu müssen. Mit Blick auf das Bündnis können die kleineren Linksparteien ihren Wählern zwar zum ersten Mal zeigen, dass ihre Stimme wirklich zählt und konkrete Folgen in der Politik hat. Doch gleichzeitig ist das Risiko für Kommunisten und Linksblock sehr groß, dass die Sozialistische Partei ihnen viele Wählerstimmen abgräbt."
Für Premierminister António Costa könnten sich mittelfristig auch die politischen Optionen erweitern. Der ehemalige konservative Regierungschef Pedro Passos Coelho, mit dem sich Costa erbitterte Duelle geliefert hatte, hat zu Beginn des Jahres den Parteivorsitz abgegeben. Es wird erwartet, dass sein Nachfolger Rui Rio die PSD wieder ins Zentrum des portugiesischen Spektrums zurückführen werde. Rio war Bürgermeister von Porto, als António Costa im Lissabonner Rathaus regierte, die beiden sind befreundet. Nicht auszuschließen, dass es so gelingt, das kleine Land im Südwesten Europas für die kommenden Jahrzehnte fit zu machen