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Positionen der CDU

Liminski: Die Zeit der Wahlkämpfe ist vorerst vorbei. Bis zum nächsten größeren Urnengang in Schleswig-Holstein bleiben den Parteien vier Monate; Zeit genug, um sich programmatisch zu sortieren, zumal dazwischen auch die Parteitage liegen. Die CDU hat bislang von dem schlechten Image der Regierung profitiert. Aber falls es der Regierung gelingen sollte – so schreibt der Mainzer Publizistikprofessor Kepplinger –, sich zu konsolidieren Reformen durchzubringen, laufe die Union Gefahr, durch Immobilismus von einer konservativen zu einer reaktionären Partei zu werden, die sich links von der SPD wiederfindet und so auch publizistisch in die Isolation geraten könnte. Es besteht also auch reform- oder programmatischer Bewegungsbedarf für die Union. Am Telefon begrüße ich nun den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU und Landeschef der Partei in Niedersachsen, Christian Wulff. Guten Morgen Herr Wulff.

    Wulff: Guten Morgen Herr Liminski.

    Liminski: Herr Wulff, zunächst eine Frage, über die sich die Politik derzeit erregt, nämlich die mögliche Lieferung von tausend Leo-II-Panzern an die Türkei. Die Grünen wollen dazu eine Unterschriftenaktion starten; das kommt irgendwie bekannt vor. Und das können CDU-Politiker doch eigentlich nur mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. In der Sache selbst: Sind Sie für die Lieferung?

    Wulff: Ich trage die Entscheidung des Sicherheitsrates mit, dass man zunächst einen Panzer zur Verfügung stellt – wenn man sich damit die Wahlfreiheit offen hält, ob es später zur Lieferung kommen kann oder nicht. Ich denke, dass das an sehr strenge Kriterien angeknüpft werden muss, die vor allem die Demokratie und die Menschenrechtslage in der Türkei einbezieht. Es muss aber jetzt auch eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der Türkei erfolgen, denn dort müssen natürlich demokratische Zustände und die Wahrung der Menschenwürde gefördert werden, indem man die Türkei auch ein Stück weit an den Westen, an Europa heran führt und bindet. Ich glaube, das liegt im langfristigen Interesse der gesamten Region Europas wie auch Vorderasiens. Die andere Frage der Unterschriften sehen wir natürlich mit sehr gemischten Gefühlen. Uns ist vorgeworfen worden, wir würden als Parlamentsfraktion Unterschriften sammeln, obwohl dies eigentlich ein außerparlamentarisches Instrument sei. Ich habe von Anfang an die Meinung vertreten, Parteien können selbstverständlich Unterschriften für ihre Ziele und gegen etwas, wogegen sie sind, sammeln. Das ist ein völlig normaler Vorgang. Skurril wird es aber dann, wenn eine Regierungsfraktion gegen die eigene Regierung Unterschriften sammelt. Dann entsteht noch größerer Vertrauensverlust in Politik, dann entsteht der Eindruck von Zerrissenheit und Handlungsunfähigkeit, und das Bild der Regierung wird mit Sicherheit noch diffuser. Das können wir als Opposition natürlich einerseits begrüßen. Andererseits ist es für das Vertrauen in Politik und Parlamentarismus sicher nicht förderlich.

    Liminski: Zu den Reformen, Herr Wulff. Sie sehen sicher auch den Bedarf, die Notwendigkeit einer programmatischen Erneuerung auch Ihrer Partei. Wo ist Ihrer Meinung nach die Not am größten?

    Wulff: Wir müssen die Zeit nutzen zur inhaltlichen Erneuerung. Wir dürfen nicht das gleiche wie die SPD erleben, dass man nach Jahren der Opposition sich gar nicht auf die Regierung vorbereitet hat. Insofern glaube ich, dass wir mit der Familienpolitik, mit der Sozialpolitik, mit der Verschlankung des Staates – also der Deregulierung – schon wichtige Themen herausgegriffen haben. Es muss das ganze Verhältnis von Staat zu seinen Bürgern neu überprüft werden, dass wieder Freiräume geschaffen werden, damit Abgaben gesenkt werden können, dass die Verrechtlichung unseres Staates auf allen Ebenen zurückgeführt werden. Und wir brauchen Impulse, beispielsweise der Hochschulpolitik, wo es wieder zu größerer Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hochschulen im internationalen Vergleich kommen muss. Hier gibt es Überlegungen der CDU mit dem Bundesausschuss im Dezember, mit dem Bundesparteitag im April nächsten Jahres, die sehr zukunftsweisend sind und die uns dann auch einen Stempel geben: Die Regierung Rot-Grün kann es nicht und die CDU kann es besser. Denn im Moment ist ja klar, dass die Regierung es nicht schafft. Aber wir haben noch nicht ausreichend klargestellt, dass wir es besser machen – und das muss in den nächsten Monaten geschaffen werden.

    Liminski: Ich greife mal zwei Stichworte heraus: Die Rentenpolitik und die Familienpolitik. Hier hat die CDU sich zu einem Kurswechsel entschlossen. Warum war das unter Kohl nicht möglich?

    Wulff: Ein wenig haben wir auch im Grundsatzprogramm der CDU ja seit 94 deutlich gemacht, dass wir unterschiedliche Formen des Zusammenlebens tolerieren. Aber es mag auch eine generative Frage sein, einfach auch eine Altersfrage. Frau Merkel gehört einer anderen Generation an und kann über bestimmte Dinge – so empfinde ich es als außerordentlich angenehm – auch ein Stück weit unbefangener sprechen. Auch wir, die um 40-jährigen, haben andere Erfahrungen gemacht mit zum Beispiel nicht ehelichen Lebensgemeinschaften, vorehelichen Lebensgemeinschaften. Wir sehen die Dinge tatsächlich unverkrampfter. Das drückt sich jetzt in der Formulierung des Leitantrages aus und findet einhellige Zustimmung überall.

    Liminski: Nun ist vorehelich oder nichtehelich eigentlich nicht die wichtige Frage. In der FAZ hat der bekannte Rentenexperte und Sozialrechtler Jürgen Borchert neulich vorgerechnet, wie die Familien in den letzten Jahrzehnten ärmer geworden sind. Dennoch redet die Parteispitze vom finanziellen Vorbehalt bei den zu ergreifenden Maßnahmen. Eigentlich kann man da jungen Leuten nur noch unter finanziellem Vorbehalt empfehlen, Familie zu gründen. Ist der Kurswechsel nicht doch zu gering ausgefallen, nicht radikal genug?

    Wulff: Man darf Familie und Kinder nicht in erster Linie unter materiellen Gesichtspunkten sehen. Aber die sind wichtig. Es kann nicht sein, dass der, der keine Kinder hat, am Ende des Berufslebens ein Haus und zwei Autos hat, und derjenige, der mit seinem Partner zusammen zwei oder drei Kinder hat, weder Haus noch Auto hat, weil er die Kinder großgezogen hat. Das heißt, wir müssen die materielle Situation der Familie besser stellen. Wir hatten ja das Kindergeld von 70 auf 220 Mark erhöht, den Kinderfreibetrag erhöht, Erziehungsgeld eingeführt, Anrechnungszeiten im Rentenrecht durchgesetzt. Und diese Politik muss und soll fortgeführt werden. Aber natürlich wissen wir heute, dass es keine zusätzlichen Verteilungsspielräume gibt, sondern das, was man hier mehr gibt, an anderer Stelle eingespart werden muss. Und hier wollen wir halt glaubwürdig bleiben und nichts versprechen, was wir nicht halten können, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie Herr Schröder, der das Blaue vom Himmel versprochen hat, ohne es halten zu können. Also, hier ist einfach die Seriosität bei uns möglicherweise ausgeprägter als bei der amtierenden Regierung. Das ist der Grund. Aber wir wissen: Es muss mehr passieren für Kinder, und wir müssen das Bewusstsein schärfen, dass Kinder letztlich die entscheidende Zukunft unserer Gesellschaft sind. Wenn wir auf 40 Millionen Einwohner zurückfallen, weil sich kaum noch jemand zu Kindern bekennt, dann werden wir keine gute Zukunft haben.

    Liminski: Zweites Stichwort ‚Rente‘. Bei der Rente hat die Bundesregierung den Weg der Vorgängerin eigentlich nur forciert, und wenn man sich die Abstriche in absoluten Zahlen anschaut, ist das Ergebnis für den Einzelnen eher bescheiden, also verkraftbar. Sehen Sie Möglichkeiten für einen parteiübergreifenden Konsens?

    Wulff: Kürzung der Renten sind für die Betroffenen jetzt gewaltig, denn es wären wegen der Lohnabstützung erhebliche Rentensteigerungen jetzt eingetreten, die von der Regierung gekappt werden – und das wider eigener gemachter Erwartungen vor der Bundestagswahl. Ich glaube aber, dass es - unabhängig davon - alle Parteien angehen muss, dass man zum Konsens in der Rentenpolitik zurückkehren sollte. Man muss einfach die dramatische Verunsicherung der älteren Menschen auch sehen, man muss den Vertrauensverlust in das gesetzliche Rentenversicherungs-System, in das Umlageverfahren sehen. Und das muss bekämpft werden, sonst werden wir alle Schaden erleiden. Deswegen fordere ich ebenfalls den Bundeskanzler und Herrn Riester auf, endlich den unberechenbaren ‚Eiertanz‘ in der Rentenpolitik aufzugeben und mit der Opposition ein Gespräch aufzunehmen, um darüber zu reden, ob es nicht doch eine langfristige Sicherung des Rentensystems geben kann. Wo die erste Säule des Umlageverfahrens ist – lohn- und beitragsbezogen –, wo dazu eine zweite Säule privater Kapitalbildung – verzinslich, rentierlich – tritt und man darüber hinaus betriebliche Altersvorsorge stärkt – darüber müssten die Parteien sprechen. Und dann muss es eine verlässliche Rentenformel geben, mit Einbeziehung des demografischen Faktors bezüglich der Änderung des Altersaufbaus unserer Bevölkerung. Darüber sind wir jederzeit gesprächsbereit. Es würde dem Land einen großen Dienst erweisen, es würde Schaden vom Land abwenden, wenn wir dazu kämen, hier den Konsens wieder zu finden und zum Gedanken der sozialen Sicherheit zurückzukehren. Das täte allen Parteien gut.

    Liminski: Ja, wenn die Regierung aber bei ihrer jetzigen Formel bleibt, dann werden Sie keine Gespräche führen?

    Wulff: Wenn die Regierung bei ihrer jetzigen Aussetzung der Rentenanpassung bleibt, reinen Inflationsausgleich zahlen will, dann wird die Regierung das ganz alleine machen müssen – und ja auch alleine machen können. Wir können es ja im Bundesrat nicht verhindern, weil der Gesetzentwurf gar nicht zustimmungspflichtig ist. Das wird dann unseren erbitterten Widerstand finden, und wir sehen dann Schaden auf das System zukommen, auf die Verlässlichkeit, auf das Vertrauen ins System. Und man muss sich dann nicht wundern, wenn die Menschen flüchten oder zu flüchten versuchen aus dem Rentenversicherungssystem.

    Liminski: Ein anderes großes Reformthema ist die Gesundheit. Gesundheit kostet Geld, überall wird gespart. An der Gesundheit kann man aber nur wenig sparen. Wo soll das Geld herkommen?

    Wulff: Für uns ist die Gesundheitspolitik das große Thema der Auseinandersetzung in den nächsten Wochen. Denn eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens, eine Reglementierung, Rationierung von Leistungen ist inhuman, ist unmenschlich. Wenn die Menschen zum Arzt gehen, zum Krankenhaus gehen und auf Wartelisten gesetzt werden, wenn sie nicht behandelt werden, weil die Krankenhäuser Angst um ihr Budget haben, dann ist das wirklich unsoziale Politik, die die Bundesregierung dort plant. Stattdessen muss mehr Geld ins System, und das geht nur über Zuzahlungen, über Eigenverantwortung, über die Förderung der Bereitschaft, sich Gesundheit im Falle der Krankheit auch etwas kosten zu lassen – wobei es ja Härteklauseln gibt, wobei sozial Schwache freigestellt werden. Aber die Menschen müssen ermutigt werden, sich selbst Gesundheit etwas mehr kosten zu lassen, um auch Arbeitsplätze im Gesundheitswesen zu sichern und zu schaffen. Das ist ein Feld, wo wir sehr viel zusätzliche Möglichkeiten für Beschäftigung sehen. Es ist geradezu grotesk, dass die Bundesregierung jetzt die Entlassung von Mitarbeitern in Arztpraxen, in Krankenhäusern billigend in Kauf nimmt, obwohl wir eine hohe Arbeitslosigkeit haben. Also ich glaube, die Gesundheitspolitik ist ein großes Megathema der Zukunft, und die Opposition CDU/CSU wird dies Thema in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellen.

    Liminski: Herr Wulff, kurze Frage: Wie halten Sie es mit der PDS?

    Wulff: Die PDS ist nicht klüger geworden, sie bekennt sich zur Nachfolge der SED und betreibt Stimmung, die der deutschen Einheit und dem Zusammenwachsen Deutschlands nicht dienlich sind. Ich bin für eine knallharte Abgrenzung zur PDS. Wir haben uns immer nach rechts abgegrenzt zu den Republikanern. Wir sollten uns aber auch klar nach links abgrenzen. Das bedeutet keinerlei Verteufelung der Wähler der PDS, aber irgendwelche Art von gesteigerter Auseinandersetzung mit der PDS in inhaltlichen programmatischen Fragen halte ich persönlich – nach dem, was wir von der PDS an Tarnung und Verschleierung erleben der eigentlichen Ziele – für wenig zielführend. Ich bin für eine klare Abgrenzung zur PDS. Wir würden unser Verhältnis zu den Republikanern auch nicht ändern, wenn die Republikaner irgendwo in einem Bundesland auf 20 Prozent kämen. Hier geht es darum, dass es sich um radikale Parteien handelt.

    Liminski: Das war der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Landeschef der Partei in Niedersachsen, Christian Wulff. Besten Dank für das Gespräch.

    Wulff: Vielen Dank.