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Projekt "Happy Locals"
Mediator für mehr Jugendkultur in der Provinz

Dimitri Hegemann, Begründer des legendären Technoclubs Tresor, stellt fest, dass viele Jugendliche nach Berlin gegangen sind, weil sie zuhause in der Provinz keine Angebote und kein Verständnis für ihre Ideen fanden. Das will er mit der Initiative "Happy Locals" nun verändern - und stößt dabei gleich auf Widerstände.

Dimitri Hegemann im Gespräch mit Thekla Jahn | 18.08.2014
    Der "Tresor"-Gründer Dimitri Hegemann
    Tresor-Gründer Dimitri Hegemann im Corso-Gespräch (Marie Staggat)
    Thekla Jahn: "Happy", das ist übrigens auch ein Wort, das Dimitri Hegemann gerne mag, und deshalb hat der Kulturmanager – Gründer des legendären Clubs "Tresor", aber auch so manch anderer Initiativen in Berlin, wie vorhin schon erwähnt – eine Beratungsagentur für Jugendliche auf dem Land gegründet, denen er zu mehr Kulturangebot vor Ort verhelfen will, und hat sie "Happy Locals" genannt.
    - Dimitri Hegemann, uns jetzt per Telefon aus der Provinz, namentlich der Uckermark, wo Sie wohnen, zugeschaltet. Schönen guten Tag!
    Dimitri Hegemann: Schönen guten Tag!
    Jahn: "Happy" der Begriff allein – schreckt das nicht Jugendliche ab, oder löst es bei ihnen Visionen aus?
    Hegemann: Ja, also die "Happy Locals" heute, die Kids verstehen, was wir damit meinen und haben da gar keine Probleme mit.
    Jahn: Sie selbst sind jetzt 60 Jahre alt, haben in Berlin so einiges auf die Beine gestellt, leben jetzt aber nicht mehr am Ort der kulturell fast unbeschränkten Möglichkeiten, sondern auf dem Land, in der Provinz. Wieso? Braucht man das im Alter dann nicht mehr, die Kultur?
    Hegemann: Beides im Grunde. Ich lebe noch in Berlin, also es ist nicht ganz richtig. Ich forsche hier in der Provinz. Und deshalb wurde ich auch im Grunde dazu angeregt, diese Initiative zu gründen, "Happy Locals", weil ich hier so viel, na ja, so viel kulturelles Vakuum erlebe und gerade die Jugendlichen beobachten kann oder mit denen ich sprach und die um Hilfe mich baten.
    Jahn: Kann man diesen Abwanderungstrend junger Menschen in große Städte wirklich stoppen? Also haben Sie da ein Rezept?
    Hegemann: Ja, ich glaube schon. Also ich wäre zum Beispiel gerne geblieben, und darum geht es heute auch bei dem Problem der Abwanderung, dass die junge Intelligenz, nenne ich sie mal, die jungen Macher bleiben sollten. Und ich bin auch überzeugt, dass es in jeder Kleinstadt – wir reden über Städte von 20.000 bis 40.000 Menschen – diese jungen, kreativen Köpfe gibt. Nicht so viele, aber einige, und die würden auch gerne bleiben, sie kennen jede Ecke, wenn man vonseiten der Verwaltung Ja zu ihnen sagen würde und sagen würde, mit euch zusammen gestalten wir die Zukunft.
    Jahn: Woran mangelt es denn heutzutage oder möglicherweise genauso wie früher? Woran mangelt es?
    Hegemann: Einerseits so eine Realitätsferne von Entscheidungsträgern, die trauen den jungen Leuten nichts zu, obwohl sie 18 sind oder 19 oder 20. Sie trauen ihnen nicht zu, eine, sage ich mal, Ruine – ich bin ein Freund, ein Raumforscher und ein Ruinenfreund – selber zu gestalten, ihre eigene Welt zu inszenieren. Das ist der erste Schritt. Sie brauchen einen Raum, in dem sie ihre Welt dann umsetzen können, ihre Visionen. Und dann strukturieren sie sich. Und in diesem Prozess kommen dann die "Happy Locals", das sind also eine Gruppe Berliner Unternehmen, die alle ihre Erfahrungen gemacht haben und auch maßgeblich so an diesem jungen Image des neuen Berlins beteiligt waren oder sind auch noch, und die kommen mit ihren Erfahrungen und sagen, ... coachen vielleicht Leute, Macher, die dann die Möglichkeit haben, auf dem Land so einen Prozess durchzuziehen.
    Jahn: Was wäre das zum Beispiel, dass man sich das mal vorstellen kann – weil jede Situation vermutlich anders aussieht, also in der Stadt Werl anders aussieht als irgendwo in der Uckermark, in Bayern, in Schleswig-Holstein?
    Hegemann: Ja, das Problem meistens ist so, dass der Bürgermeister Angst hat, wenn Jugendliche 18 werden, 17, 19, 20 und etwas anderes planen, was nicht so vorgesehen ist. Oder wenn der feststellt, dass das teuer sanierte Jugendzentrum nicht funktioniert, wie er es will, sondern dass da ein bisschen Unruhe es gibt. Und der Prozess ginge so. Und ich gehe da auch ganz pragmatisch vor: Ich gehe in eine Stadt, in eine Stadt, die meistens das Problem hat, dass sie langweilig ist und dass keine Angebote dort sind, was die Ursache häufig ist. Und suche diese Jugendlichen, diese potenziellen Macher. Macher meine ich, das sind junge Leute auch, die irgendwie kleine Pläne geschmiedet haben, die Stadt mal so ein bisschen bunter zu gestalten, sei es durch Konzerte, durch Musik, sei es durch Filmkonzepte oder sei es durch Street Art oder moderne Themen wie Urban Farming. Aber sie suchen ein Zuhause und sie meiden mehr das städtische Jugendzentrum. Und sie lieben eigentlich die Ruine. Und bei diesem Prozess, dass sie diesen Raum bekommen und dass sie auch das Ja hören von der Verwaltung, geschieht Folgendes, dass das nicht klappt. Die "Happy Locals" würden moderieren zwischen den Bürgermeistern und sagen, lieber Bürgermeister, schau, also gemeinsam geht es zusammen, also gib ihnen einfach ein Go! Und dann sagen sie häufig verängstigt: Wieso diesen Leuten, diesen Querdenkern?
    Jahn: Das heißt, Sie sind im Prinzip so eine Art Mediator, Sie versuchen, die Gefühlslage der Bürgermeister und Politiker auf der einen Seite und der Jugendlichen auf der anderen Seite zusammenzubringen. Kann man denn aber die Erfahrungen, die Sie gemacht haben, also Sie, die Sie helfen wollen in der Provinz, aus Berlin übertragen eins zu eins?
    Hegemann: Ja, das kann man, also weil die meisten Leute, die ich kennengelernt habe so in meiner Schaffensphase in Berlin sind viele Menschen aus der Provinz, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich, die auch irgendwie weggeschoben worden sind, die alle nicht gehen wollten, aber die dann nicht diese Räume und diese Möglichkeiten fanden und sind dann nach Berlin gekommen. Und ich glaube auch, dass diese gewachsene Subkultur Westberlins eigentlich den richtigen Humus gebildet hat für das, was wir in Berlin jetzt erleben. Aus all diesen kleinen Zellen ist in dem Moment, wo diese Initiativen ihren Raum und ihre Experimentierflächen bekamen, also nach Mauerfall, ein völlig neues Berlin entstanden.
    Jahn: Wie ist denn die Resonanz bislang auf die Beratungsagentur? Also gibt es da Erfolge bereits zu vermelden, dass man sagen kann, ja, schon einige Landstriche in Deutschland zeigen schon Entwicklungen, die in die Richtung gehen, dass Jugendliche möglicherweise in den Provinzen bleiben und sagen, hier gibt es demnächst auch genug Angebote?
    Hegemann: Wir sind in der Vorforschung, das heißt, wir haben in dieser Stadt Schwedt ein Projekt angefangen und es ist genau das eingetreten, was ich erwartet habe, befürchtet habe: Alles klappte, der Dialog kam zustande, die Jugendlichen waren da, dann gab es auch das Gespräch mit dem Bürgermeister. Und dann gab es irgendwie ein Gap, ein Loch oder die Zusagen waren nicht mehr da eigentlich im Grunde. Was der Bürgermeister versprach, den Raum zu liefern, das wurde dann so ein bisschen vertuddelt und funktionierte nicht mehr. Trotzdem geht es dort weiter im zweiten Anlauf. Immerhin wurde jetzt ein Festival inszeniert dort. Und das ist ja eine Sache. Es ist ein Prozess. Das dauert etwas länger. Aber wir von den "Happy Locals" haben jetzt vor, großflächig anzugreifen. Und zwar, den Deutschen Städtetag – das ist eine Versammlung aller Bürgermeister – zu informieren, was möglich ist. Und wir werden uns mit Sicherheit einige Orte in der Nähe von Berlin mal vorknöpfen und dann mit den Entscheidungsträgern, vor allen Dingen mit den Jugendlichen reden und dann auch Fakten schaffen.
    Jahn: Vielleicht lässt sich da einiges in Deutschland erreichen. Sie sind aber auch nach Amerika gereist. Und zwar nach Detroit, und wollten dort beratend eingreifen. Wie haben die Menschen in Detroit reagiert, dass da Berliner kommen und, ja, meinen, sie wissen, wie es geht?
    Hegemann: Das war vorbereitet auch. Ich bin ja sehr oft in Detroit, ich habe mich so ein bisschen in die Stadt verliebt. Also dort gibt es viel Raum, viele Ruinen. Und Detroit ist eigentlich eine Stadt heute, die sehr viele Projekte, die in Berlin funktionieren, übernehmen könnte eins zu eins. Nehmen wir mal zum Beispiel das Projekt des "Music Ball". Das "Music Ball" zum Beispiel ist eine Einrichtung, wo der Senat in eine Institution 1,4 Millionen Euro oder so investiert pro Jahr für Musikprojekte, Jazz und Rock und Pop, elektronische Musik, es dient mehr so zur Finanzierung, zur Durchführung dieser Veranstaltung, womit am Ende des Tages, des Jahres dann 60, 70 Veranstaltungen stattfinden können. Am Ende des Tages jedenfalls ist es ein Ergebnis, das die Stadt sehr bunt macht und sehr attraktiv auch wieder. Und aus einem Euro werden plötzlich zwei Euro. Detroit hat einfach das Problem, dass sie eine tolle Infrastruktur haben eigentlich schon, das heißt also, sie haben Raum, bezahlbaren Raum, sehr viel grün dort wie in Berlin, sie haben einen internationalen Flughafen, tolle Universitäten, die Schulen sind schwierg, aber alles ist dort möglich. Also ich sage immer, ein David Bowie würde heute nicht nach Westberlin ziehen, sondern eher nach Detroit.
    Jahn: Wie schaffen Sie es oder wie versuchen Sie es zumindest, nicht als arrogant zu wirken? Denn wenn es heißt, dass ein Experte aus Berlin kommt und berät, ja, da hat man möglicherweise in der Provinz aber auch möglicherweise in Detroit schon das Gefühl: Die glauben, die wissen wie es geht.
    Hegemann: Nein, wir sind sehr respektvoll, wir hören zu. Ich bin auch jemand, der nach Detroit gefahren ist und ich wollte eine alte Schuld auch bezahlen, weil Detroit hat uns damals die Musik gegeben, die nach der Wende Techno und die Technobewegung ausgerufen hat. Und es war eine Musik aus diesem einsamen Michigan, die nachher die größte Jugendbewegung des letzten Jahrhunderts inszenierte. Und hat Berlin wirklich über die Grenzen hinaus international populär gemacht. Und die Detroiter haben mit uns gemeinsam also darüber philosophiert und diskutiert und waren dankbar. Und diese kleinen Startup-Projekte sind letztendlich die Keimzellen, die Impulse, die eine Stadt verändern und die auch die Stadt wieder sehr attraktiv machen und nicht langweilig erscheinen lassen.
    Jahn: Etwas zurückgeben, sei es den Detroitern oder den Menschen in der Provinz – vielen Dank, Dimitri Hegemann! Der Kulturmanager aus Berlin lebt mittlerweile in der Uckermark und will mit seiner Beratungsagentur "Happy Locals" Jugendlichen auch auf dem Land Perspektiven bieten, zumindest was das kulturelle Leben angeht. Danke Ihnen für das "Corsa"-Gespräch!
    Hegemann: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.