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Prostitutionsgesetz
"Deutschland ist ein Paradies für Freier geworden"

Das deutsche Prostitutionsgesetz muss dringend reformiert werden, sagt Annette Widmann-Mauz (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Sie fordert eine Erlaubnispflicht für Bordelle und schließt auch Strafen für Freier nicht aus.

Annette Widmann-Mauz im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Gut gemeint war nach Ansicht der Kritikerinnen gerade in diesem Fall das Gegenteil von gut. 2002 trat das Prostitutionsgesetz der damaligen rot-grünen Bundesregierung in Kraft. Hauptziel war, die rechtliche und soziale Lage von Prostituierten zu verbessern. Vor Einführung dieses Gesetzes galt Prostitution als sittenwidrig. Prostituierte können seit der Gesetzeseinführung ihren Lohn gerichtlich einklagen und ihr Zugang zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung wurde erleichtert. Kritiker bemängeln, dass das Gesetz die Zwangsprostitution fördere, zudem habe sich dadurch nur für einen sehr kleinen Teil der Prostituierten die soziale Lage verbessert. Die werdende Große Koalition plant nun, dieses Gesetz zu reformieren.
    Am Telefon ist Annette Widmann-Mauz (CDU), sie ist geschäftsführende Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium und sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Frauenunion. Guten Tag.
    Annette Widmann-Mauz: Guten Tag, Herr Heinemann. Ich grüße Sie.
    Heinemann: Frau Widmann-Mauz, Alice Schwarzer bleibt dabei: Prostitution ist und bleibt sittenwidrig und sie verstößt gegen die Menschenwürde. Teilen Sie diese Meinung?
    Widmann-Mauz: Ich glaube auf jeden Fall, dass es keine selbstbestimmte Tätigkeit ist, wie viele uns in den vergangenen Jahren immer wieder versucht haben, weiszumachen. In den häufigsten Fällen handelt es sich um eine Tätigkeit, die aus Abhängigkeit oder aus einer Situation der Ohnmacht heraus ausgeführt wird, und wir müssen den Frauen helfen, die nicht freiwillig und nicht selbstbestimmt in diesem Bereich tätig sind, und deshalb ist es notwendig, dass wir die Konsequenzen aus dem verfehlten Prostitutionsgesetz von Rot-Grün ziehen.
    Heinemann: Die Schweden haben eine Entscheidung getroffen: Dort werden Freier bestraft.
    Widmann-Mauz: Ja. Auch wir wollen Freier dann bestrafen, wenn sie Frauen ausnutzen, wenn sie sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen von Frauen, die der Zwangsprostitution nachgehen, wenn es Frauen sind, die durch Menschenhandel unter falschen Vorspiegelungen in unser Land gelockt wurden. Diese Täter wollen auch wir bestrafen, weil Zwangsprostitution hat nur dann einen goldenen Boden, wenn es eine entsprechende Nachfrage gibt.
    Heinemann: Sollen Prostituierte jetzt jedem Freier eine eidesstattliche Erklärung abgeben?
    Widmann-Mauz: Nein. Ich glaube, so weit muss es nicht gehen. Aber die Umstände, unter denen die Prostitution stattfindet, lassen in vielen Bereichen durchaus erkennen, um was für eine Art von Tätigkeit es sich handelt. Und da wir eine Erlaubnispflicht einführen wollen für Bordellbetriebe, ist auch damit natürlich eine Möglichkeit verbunden, Kriterien an den Betrieb eines Bordells anzulegen, die dann, wenn sie offensichtlich nicht eingehalten werden - denken wir an hygienische Standards, denken wir an entsprechende Untersuchungen, medizinische Untersuchungen von Prostituierten -, auch dazu führen, dass der Freier durchaus erkennen kann, dass er sich hier eine Dienstleistung erkauft, die mit Zwang und mit Gewalt überhaupt erst möglich wird.
    Heinemann: Ist das nicht reichlich blauäugig? Glauben Sie in der Tat, dass die Prostituierte einem Kunden sagen wird, Du, lass die Finger von mir, ich bin Zwangsprostituierte?
    Widmann-Mauz: Zunächst einmal ist wichtig, dass diese Prostituierten die Chance haben, aus den Fängen ihrer Zuhälter und aus den Fängen des Bordells herauszukommen, und deshalb sind entsprechende Auflagen ganz, ganz wichtig, denn nur dann hat die Frau ja auch die Chance, sich Dritten anzuvertrauen, über ihre Zwangssituation zu berichten und dann auch auf entsprechende Hilfsangebote aufmerksam zu werden.
    Heinemann: Und wenn die Zwangsprostituierte der Polizei etwa aus Angst vor Prügel oder Repressalien erzählt, sie sei freiwillig tätig, sie sei eine selbstbestimmte Prostituierte, dann ist der Freier aus dem Schneider?
    Widmann-Mauz: Ja. Aber dann gibt es auch weitere Zeugen, denn häufig kriegen auch andere Prostituierte entsprechende Bedingungen und Verhältnisse mit. Und im Übrigen ist es auch wichtig für einen Freier, durchaus, wenn er das Gefühl hat, hier stimmt etwas nicht, sich den Ordnungsbehörden zu offenbaren, denn auch damit hilft er, entsprechende Straftatbestände dann aufzuklären.
    Heinemann: Gibt es diesen Freier?
    Widmann-Mauz: Ich bin der festen Überzeugung, dass sich viele Männer mehr Gedanken darüber machen, welche Dienstleistungen - auch unter welchen Bedingungen sie erbracht werden - sich anzuschauen und Gedanken zu machen, wenn er weiß, dass er auch dafür belangt werden kann, wenn er sich entsprechenden Diensten bedient.
    Heinemann: Frau Widmann-Mauz, was erlaubt ist, ist gesellschaftlich geduldet, also auch nicht schlimm. Fördert man dadurch für Jugendliche und für junge Männer nicht vollkommen falsche Wertvorstellungen?
    Widmann-Mauz: Diese falschen Wertvorstellungen haben aus meiner Sicht in den letzten Jahren Einzug gehalten. Deutschland ist ja insbesondere auch in Europa zu einem Paradies für Freier geworden. Das stellen wir insbesondere in den Grenzregionen fest, wenn wir uns auch anschauen, welche Berichte aus der Polizeistatistik wir haben. Deshalb ist es wichtig und richtig, gerade auch ein Signal an die jungen Menschen zu senden, aber auch insgesamt in die Gesellschaft hinein klar zu machen, dass alles, was nicht selbstbestimmt ist an Dienstleistung im Sexgeschäft, von uns auch nicht akzeptiert wird, weder von den Tätern, weder von den Menschenhändlern und den Bordellbetreibern, aber auch nicht von denjenigen, die diese Dienstleistungen nachfragen, also den Freiern.
    Heinemann: Lässt das Bild vom Beruf Prostituierte nicht Hemmschwellen sinken?
    Widmann-Mauz: Es ist aus meiner Sicht kein Beruf wie jeder andere. Es soll aber die selbstbestimmte Prostituierte geben. Es sind sicher deutlich weniger als angenommen.
    Heinemann: Sie wissen, es gibt Schätzungen, die besagen, dass ungefähr 80 Prozent der Prostituierten aus dem Ausland kommen.
    Widmann-Mauz: Ja. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir genau diese nicht selbstbestimmten, diese unter Zwang und Androhung in unser Land gebrachten Prostituierten schützen, besser schützen. Aber dazu müssen wir zunächst einmal die Zugangswege öffnen. Deshalb müssen wir zunächst einmal kontrollieren dürfen und nicht davon ausgehen, dass jedes Bordell, das in Deutschland steht, eines ist, in dem die Menschenrechte gewahrt sind. Das Gegenteil ist meist richtig und deshalb brauchen wir Zugang zu diesen Stätten.
    Heinemann: Und noch mal: Wieso deshalb dann nicht das schwedische Modell, das heißt Freier bestrafen?
    Widmann-Mauz: Ich glaube, dass das ein erster wichtiger Schritt ist in diese Richtung, und wenn wir Erfahrungen damit sammeln, werden wir dann auch aus dieser Erfahrung klären können, ob weitere notwendig sind. Aber allein schon dieser erste Schritt ist ein ganz, ganz wichtiges Signal, dass für uns Menschenrechte auch für Prostituierte gelten.
    Heinemann: Das heißt, Sie streben dieses schwedische Modell langfristig an?
    Widmann-Mauz: Nein. Wir streben jetzt an, die Zwangsprostitution und den Menschenhandel aktiv zu bekämpfen, die freie Prostitution für diesen Bereich einzuführen, genauso wie wir die Erlaubnispflicht für alle Bordelle und damit für alle Prostitutionsstätten ausdehnen wollen, damit mehr Schutz, und damit ist es ein erster wichtiger Schritt. Ob weitere folgen werden, das wird in der Zukunft zu entscheiden sein, aber jetzt müssen wir erst den ersten Schritt tun, und den halte ich für längst überfällig.
    Heinemann: Fachleute sagen, wo Prostitution legal ist, gibt es mehr Menschenhandel. Wieso fördern Sie, sicherlich unbeabsichtigt, aber dann doch immerhin, den Menschenhandel?
    Widmann-Mauz: Prostitution ist zunächst etwas, was es in diesem Land und in unserer Gesellschaft, in unserem Kulturkreis immer gegeben hat. Aber wir dürfen ihr nicht noch weiter Vorschub leisten, dass durch die Art nämlich des Wegsehens, oder auch einer Idealisierung dieses Gewerbes wir am Ende Menschenhandel Vorschub leisten. Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt Zwangsprostitution und Menschenhandel bekämpfen und auch die Voraussetzungen behördlich dafür schaffen.
    Heinemann: Annette Widmann-Mauz (CDU), geschäftsführende Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, und sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Frauenunion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Widmann-Mauz: Bitte schön! Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.