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Radiolexikon Gesundheit
Hörgeräte

Ein schlechtes Gehör kann im Alltags- und Berufsleben stark einschränken. Hörgeräte können dem Abhilfe schaffen. Doch viele Menschen scheuen den Gang zum Akustiker, aus Angst vor Stigmatisierung. Dabei bietet die neueste Technologie viele, auch unauffällige Methoden für besseres Hören.

Von Mirko Smiljanic | 22.04.2014
    Ein Ohr mit einem Ohrring, in das ein Hörgerät eingesetzt wird.
    Einsetzung eines sogenannten HDOs, ein Hinter-dem-Ohr-Gerät. (dpa/picture alliance/Fredrik Von Erichsen)
    Brühl bei Köln im winzigen Audiostudio des Hörgeräteakustikers Thomas Kutsch: Ein Tisch mit einem Monitor, an den Wänden rechts und links Lautsprecher, in der Mitte ein Stuhl, auf dem es sich Theo Mahlberg bequem gemacht hat:
    "Also, ich trage jetzt im achten, neunten Jahr ein Hörgerät,"
    ...erzählt er und zeigt auf seine Ohren, an denen nichts Auffälliges zu sehen ist: Seine Hörhilfen sind klein und kaum sichtbar. Er hat sich mit ihnen arrangiert, so wie er sich mit seiner Schwerhörigkeit arrangiert hat, die langsam aber unaufhaltsam von seinem Leben Besitz ergriffen hat:
    "Ich erinnere mich da an einen ganz bestimmten Fall. Und zwar habe ich einen Sicherheitskurs beim ADAC mitgemacht und Sie sitzen da in einer Runde mit zwölf Leuten an einem Tisch. Und ausgerechnet sitzen Sie da, wo Sie am weitesten vom Sprecher entfernt sind und bekommen dann nichts mit, Sie scheuen die Fragen permanent, 'Was haben Sie gesagt?', "'Ich habe es nicht richtig verstanden!'"
    Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt
    Was in der Freizeit kein großes Problem war, im Beruf des Verwaltungsangestellten aber schon. Also suchte Mahlberg professionelle Hilfe:
    "Ich bin dann mal zum Hörgeräteakustiker gegangen und habe mich untersuchen lassen,"
    ...was bei ihm einiges Staunen ausgelöst hat. Theo Mahlberg leidet an einer mittelgradigen Altersschwerhörigkeit. Wie die sich nach und nach auf sein Hören ausgewirkt hat, muss man sich so vorstellen,...
    "Kerstin kauft zwölf alte Blumen." (normal)
    So hört ein Mensch mit gesunden Ohren diesen Satz aus einer Simulation für Schwerhörigkeit. Und so klingt er bei einer mittleren Schwerhörigkeit:
    "Kerstin kauft zwölf alte Blumen." (verrauscht)
    Und so bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit:
    "Kerstin kauft zwölf alte Blumen." (stark verrauscht)
    Sie werden genauso viel verstanden haben, wie ein Schwerhöriger - nämlich fast nichts. Unterhaltungen mit Menschen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind kaum noch möglich. Ein Hörgerät musste her! Erste Hörhilfen gab es übrigens schon im 17. Jahrhundert, wuchtige Rohre mit einem Trichter auf der einen Seite. Sie funktionieren nach dem Prinzip,...
    "...wenn Sie wo genauer hinhören möchten, dass Sie die Hand ums Ohr formen, um so viele Schallwellen wie möglich aufzunehmen, nichts anderes haben damals die Trichter gemacht. Die gab es in schönen und hochwertigen Materialien und haben hier schon den Adeligen geholfen, besser zu verstehen."
    Revolution ab Mitte des letzten Jahrhunderts
    Marco Faltus, Hörgeräteakustiker-Meister und Chefaudiologe bei der Phonak GmbH Deutschland. Einen ersten Durchbruch in der Entwicklung von Hörgeräten gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Werner von Siemens brachte 1878 einen Telefonhörer für Schwerhörige auf den Markt, dessen Betrieb aber monströs große Batterien erforderte.
    "Da ging es eher darum, in irgendeiner Art eine Hörbarkeit herzustellen, von Algorithmen, die wir heute haben, Störlärmbefreiungssystem oder Richtmikrofone. Das war damals Zukunftsmusik, und ich denke, damals hätte sich ein Entwickler auch nicht denken können, dass wir mit Hörgeräten heute solche Leistungen vollbringen können."
    Seit etwa Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich dann auf dem Gebiet der Hörhilfen eine Revolution nach der anderen vollzogen.
    "Damals, das waren einkanalige Verstärker, die im Prinzip nur linear verstärkt haben, das heißt, man konnte im Prinzip den Frequenzgang vorgeben oder ausgleichen, der verstärkt werden sollte, aber an Automatismen gab es da gar nichts."
    Thomas Kutsch, Hörgeräteakustiker-Meister in Brühl bei Köln.
    "Heute ist es so, dass wir mehrkanalige Verstärker haben, wo wir gezielt den Frequenzverlauf beeinflussen können. Die Geräte haben eine Geräuscherkennung, die haben zum Teil eine Spracherkennung, haben Richtmikrofontechnologien, also Systeme, mit denen man versucht, auch in schwierigen Hörsituationen dem Kunden ein besseres Hören zu ermöglichen."
    So breit das Angebot an Hörgeräten auch sein mag, letztlich lassen sie sich auf einige wenige Grundprinzipien reduzieren. Zunächst einmal gibt es zwei unterschiedliche Bauformen, erklärt Marco Faltus.
    "Es gibt Geräte, die komplett im Ohr verschwinden, die sogenannten IDO, also Im-Ohr-Geräte, und Geräte, die hinter dem Ohr getragen werden und mit einer kleinen Leitung den Schall in den Gehörgang reinbekommen, die sogenannten HDO, also Hinter-dem-Ohr-Gerät. Technisch gesehen besteht grundlegend so ein Hörgerät immer aus drei Bauteilen, die müssen immer da sein: Das wäre ein Mikrofon, das in irgend einer Art den Schall aufnehmen kann, dann ein Prozessor, ein Verstärker, der diesen Schall bearbeitet kann, und am Ende natürlich ein Lautsprecher, wir Akustiker nennen das auch gerne Hörer, der den Schall dann in den Gehörgang abgeben kann."
    Störschall wird herausgefiltert
    Moderne Hörgeräte bringen aber den Schall nicht nur verstärkt ans Trommelfell. Zu den besonders segensreichen Entwicklungen zählt die Unterdrückung von Störgeräuschen - eine Aufgabe, die normalerweise das Gehirn übernimmt: Junge Menschen können sich inmitten einer Party auf einzelne Gesprächspartner konzentrieren. Mit dem Alter lässt diese Fähigkeit nach, und bei Hörgeräten wäre es fatal, würde jedes Nebengeräusch mit verstärkt.
    "Denken Sie beispielsweise daran, wenn Sie staubsaugen würden und der Staubsauger sollte nicht so stark übertragen werden, dann wird er einfach reduziert an der Stelle,..."
    ...indem eine Software den Störschall herausfiltert und indem winzige Richtmikrofone direkt auf die Quelle des "Nutz"-Schalls - den Gesprächspartner etwa - ausgerichtet werden. Klingt gut, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Der Minicomputer im oder hinterm Ohr muss ja wissen, was Störschall überhaupt ist. Dafür verfügen Hörgeräte über mehrere Programme: eines für die Wohnung, eines für Straßen, eines fürs Konzert und so weiter. Das funktioniert recht gut, aber noch nicht perfekt. Das große Ziel aller Audiologen sind selbstlernende Geräte.
    "Also, dieses Selbstlernen haben wir leider noch nicht. Es ist zwar mittlerweile so, dass die Geräte einen Datenspeicher haben, also, wir können mittlerweile aus dem Hörgerät Daten ziehen, wo wir sehen, wo hält der Kunde sich auf, ist es eher eine geräuschvollere Umgebung, sind es eher mehr Sprecher oder ist da Musik oder sind es normale Nebengeräusche. Also, wir kriegen schon mehr Daten, um zu sehen, wie wir die Einstellung verbessern können, aber so richtige selbstlernende Geräte gibt es leider noch nicht."
    Das Ende der technischen Entwicklung noch nicht erreicht
    Dafür ist aber die Vernetzung ein starker Trend: Schwerhörige Kinder tragen Geräte, die unmittelbar mit dem Mikrofon der Lehrerin verbunden sind; Telefone, Fernsehgeräte und so weiter lassen sich ebenfalls ins Hörgerät koppeln; wer nur auf einem Ohr schlecht hört, kann über ein binaurales Hörsystem wieder stereofon, also räumlich hören; die Hörsignale werden über eine Funkstrecke vom rechten auf das linke Ohr übertragen und umgekehrt. Kurz: Das Ende der technischen Entwicklung ist noch lange nicht erreicht.
    "Also, ich will es mal so sagen: Mit Hörgerät haben Sie eine ganz andere Hörqualität bekommen gegenüber früher, das zugegeben. Aber selbst ein technisch sehr hoch eingestelltes Gerät kann das normale Hören nicht wiedergeben. Das ist eine Hilfe, eine sehr gute Hilfe und dank der heutigen Technik ist das ein wahnsinniger Fortschritt."
    Wobei die Auswahl des Hörgerätes vergleichsweise einfach ist, meint Theo Mahlberg, weit schwieriger ist der erste Kontakt mit dem Hörgeräteakustiker. Viele scheuen ihn,...
    "...weil sie sagen, ja, da will ich nicht so ein Ding hinterm Ohr haben, das sieht dann jeder, dass ich schlecht höre, aber da sollte man sich von frei machen, die Qualität zu hören, ist schon ein sehr großes Plus, was es heute gibt."