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Syrien-Gipfel in Ankara
"Frieden ist weit entfernt, die Positionen weit auseinander"

Die Türkei, Russland und der Iran demonstrieren beim Syrien-Gipfel in Ankara trotz unterschiedlicher Interessen Solidarität. Das sei "Show" und bringe den Frieden nicht näher, sagte der Islamwissenschaftler Udo Steinbach im Dlf. Die drei Staatschefs stünden unter Druck, insbesondere durch den Westen.

Udo Steinbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin schütteln sich die Hände bei der Auftaktzeremonie für den Bau des ersten Atomkraftwerks auf türkischem Boden, das mit Moskaus Hilfe entsteht
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin sprachen schon am Dienstag, heute kommt Irans Präsident Hassan Rohani zusammen (AFP/ Adem Altan)
    Dirk-Oliver Heckmann: Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin und Hassan Rohani, die drei Präsidenten von Russland, der Türkei und des Iran, sie treffen nicht zum ersten Mal aufeinander, um über die Situation in Syrien zu beraten. Während Russland und der Iran Syriens Präsidenten Assad unterstützen, verfolgt die Türkei ganz andere Interessen. Was sie aber verbindet: die Hoffnung darauf, die Bedingungen für ein Nachkriegs-Syrien wesentlich bestimmen zu können. Und die Wahrscheinlichkeit dafür ist gar nicht gering. Am Telefon ist jetzt Professor Udo Steinbach, Islamwissenschaftler. Schönen guten Tag, Herr Steinbach!
    Udo Steinbach: Schönen guten Tag!
    Heckmann: Das Treffen in Ankara findet unter dem Label des Friedens statt, hat die Kollegin gerade gesagt. Sitzen da also drei Friedensfreunde in Ankara zusammen?
    Steinbach: Nein, das nicht. Ich glaube, es geht ihnen wirklich im Augenblick nicht so sehr um Damaskus und um die Zukunft des Regimes. Alle drei stehen unter Druck. Sie haben jeweils ganz unterschiedliche Interessen, Putin, Erdogan und der iranische Präsident. Sie stehen unter Druck insbesondere vonseiten des Westens, und das bringt sie zunächst einmal nahe, und so demonstrieren sie Solidarität. Aber noch einmal, der Frieden ist weit entfernt, die Positionen sind weit auseinander. Nicht einmal die Waffenruhe wird lange halten. Wenn man bedenkt, dass der türkische Staatspräsident schon angekündigt hat, seinen Feldzug gegen die Kurden weiter fortzusetzen. Also, das Ganze ist eine Show und wird den Frieden in Syrien nicht näherbringen.
    "Da geht es am Geringsten um die Zukunft in Damaskus"
    Heckmann: Aber es soll ja unter anderem um eine Verfassung für ein Nachkriegs-Syrien gehen. Es geht auch um die Ausweitung der sogenannten Deeskalationszonen. Muss man nicht konzedieren, ohne Iran, Russland und die Türkei wäre die Lage noch viel schlimmer?
    Steinbach: Nun, sie ist schlimm genug. Wenn Sie nach Ost-Ghuta schauen, schlimmer kann es doch eigentlich gar nicht sein. Und wenn wir den türkischen Feldzug in Afrin gesehen haben, wenn wir die Perspektive ins Auge fassen, dass die Türkei weitermacht, dann kann man doch wirklich nicht von einer guten Perspektive sprechen, dann kann man nicht von einer Perspektive auf Frieden sprechen.
    Herr Putin hat seine Interessen in der Region, die beziehen sich auch gar nicht mal unbedingt auf Damaskus, die beziehen sich auf die Situation im Norden Syriens. Da nämlich fordert die Türkei die NATO heraus, und das fördert er in einer gewissen Weise. Die Iraner sind gar nicht unbedingt daran interessiert in der Situation, wie sie jetzt ist, einen Frieden zu machen. Sie werden ja schließlich von Trump herausgefordert, und keiner kennt die Zukunft des Atomabkommens. Und was den Herrn Erdogan betrifft, das ist auch klar, das ist auch schon angedeutet worden von der Korrespondentin. Da bestehen unterschiedliche Interessen, was die Zukunft in Damaskus betrifft. Aber das Hauptinteresse von Herrn Erdogan ist doch, die Kurden zu besiegen.
    Und noch einmal, da geht es also um alles Mögliche, um Machtpolitik, um Rivalität, aber zum Geringsten eigentlich um die Zukunft in Damaskus. Und dann muss man noch eines sagen: Wo ist denn die internationale Gemeinschaft, wo sind denn die Prozesse, die in Genf angelaufen sind? Das, was wir jetzt hören in Sachen Verfassung, haben wir x-mal gehört, und ich glaube, es wäre wirklich wichtig, dass nicht nur die drei die Aufgabe in Syrien miteinander teilen, sondern dass der Westen, dass die internationale Gemeinschaft, dass die Vereinten Nationen wieder ins Bild gebracht werden.
    Heckmann: Aber da geht es ja nicht voran, seit Jahren schon.
    Steinbach: Das ist richtig. Aber das hat natürlich damit zu tun, dass keiner es wirklich versucht hat. Die Amerikaner haben schon unter Obama halbherzig gespielt. Trump tut ein Ähnliches. Die Russen haben das systematisch verzögert mit dem Ziel, die Rolle sozusagen in die Hand zu nehmen, was ihnen gelungen ist. Die Tatsache, dass die Vereinten Nationen nicht mehr eine führende Rolle spielen, dass sie gänzlich auf der Außenlinie sind, das ist weniger der kraftvollen Politik von Putin, Erdogan und Rohani zuzuschreiben als der Tatsache, dass die Vereinten Nationen systematisch blockiert worden sind, mit dem Ergebnis, dass eben jetzt drei Mächte, die in Syrien nichts Gutes verheißen, über Syrien verhandeln und darin handeln.
    Drei Herren mit innenpolitischen Problemen
    Heckmann: Sind das die drei Mächte, die die Nachkriegsordnung in Syrien bestimmen werden?
    Steinbach: Das ist schwer zu sagen. Wir wissen nicht, was die Zukunft Irans sein wird. Es ist ja nicht wirklich nur die Außenpolitik. Es geht auch um Innenpolitik. Putin ist der stabilste, das muss man sagen. Rohani hat zu Hause gerade Probleme gehabt, wird wahrscheinlich weiter Probleme erhalten, wenn wir an die Demonstrationen denken. Und die Zukunft von Herrn Erdogan ist eng verbunden mit den Wahlen im Herbst 2019, also im nächsten Jahr, und er tut vieles, diese Wahlen zu gewinnen. Aber ob er das wirklich gewinnen wird, das ist höchst unklar. Also, diese Herren, die da zusammensitzen, die sind nicht nur außenpolitisch weit voneinander entfernt, sondern der eine oder andere von denen hat auch große innenpolitische Sorgen.
    Assad möchte verhandeln, wenn er wieder die Kontrolle hat
    Heckmann: Und trotzdem werden sie versuchen, die innenpolitischen Strukturen eines Nachkriegs-Syriens maßgeblich mitzubestimmen.
    Steinbach: Ja, das versuchen sie natürlich. Das versuchen sie, aber es ist ja auch gesagt worden, da gibt es unterschiedliche Interessen. Die Türkei hat andere Interessen, was Damaskus betrifft, als Iran und Russland. Aber das ist richtig, die drei werden ihr Spiel spielen. Da ist noch ein Spieler, den wir nicht unterschätzen dürfen, das ist nämlich der syrische Präsident selbst. Wir werden jetzt wieder viel hören von Deeskalationszonen. Daran hat sich der syrische Präsident überhaupt nicht gehalten, als er Ost-Ghuta eroberte, und jetzt macht er Anstalten, Idlib zu erobern. Also, auf der einen Seite ist der syrische Präsident eine Art von Lakai von Moskau. Er ist in gewisser Weise abhängig. Aber er ist auch unabhängig in der Weise, dass er durchaus sein Ziel zu erreichen versucht, nämlich erst zu verhandeln, wenn er die Souveränität des gesamten Staatsgebiets wiederhergestellt hat, wenn er der Alleinherrscher ist. Vorher ist es für Herrn Assad nicht besonders attraktiv, zu verhandeln. Damit aber steht er wieder der internationalen Gemeinschaft im Wege, die gern jetzt verhandeln möchte, bevor das gesamte syrische Staatsgebiet wieder unter die Herrschaft der syrischen Regierung geraten ist.
    Schwerpunkt von Trumps Politik
    Heckmann: Und über einen anderen Akteur haben wir auch noch nicht gesprochen, nämlich über die USA. Sie haben ja gerade schon gesagt, die UNO ist blockiert worden. US-Präsident Trump nimmt sich selbst mehr oder weniger aus dem Spiel. Er hat angekündigt, ohne Absprache mit seinem Außenministerium, dass man die amerikanischen Truppen sehr bald abziehen werde aus Syrien. Andere sollen sich um Syrien kümmern. Ist der Westen jetzt also draußen?
    Steinbach: Er ist schon draußen, und von der Genfer Politik oder Nicht-Politik habe ich gerade gesprochen. Wir stehen also auf der Seitenlinie. Und Sie haben völlig recht, Herr Trump will sozusagen aus dem Spiel heraus. Aber er hat ja eine andere Agenda. Seine Agenda heißt nicht Baschar al Assad, heißt nicht die Stabilität Syriens, sondern seine Agenda heißt Iran. Und da ist er gerade dabei, seine Schäfchen zusammenzubringen, die Iraner, die Saudis, mit einem gewissen Erfolg. Und da liegt der Schwerpunkt Trumpscher Politik, nämlich gegen Iran. Und weil das wiederum so ist, werden die Iraner wenig Entschlossenheit zeigen, aus Syrien wegzugehen. Denn wenn es zu einem Angriff gegen Iran käme, wenn es zu einem Ende des Atomabkommens käme, worunter Iran sehr leiden würde, dann könnte man von Teheran aus gesehen sein Spiel in Syrien weiter fortsetzen. Also Trump ist ein Spieler, aber wir müssen auch hier davon ausgehen, dass nicht Damaskus, dass nicht die Zukunft Syriens sein erstes Interesse ist, sondern dass sein erstes Interesse ganz woanders liegt, nämlich bei Iran, in gewisser Weise auch bei der Zukunft Israels, in Verbindung mit einer Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, die zu gelingen scheint.
    Heckmann: Also, es bleibt kompliziert, und die Leidtragenden sind womöglich am Ende die Syrer. Der Islamwissenschaftler Professor Udo Steinbach war das live hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Steinbach: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.