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Referendum
Bewirbt sich Hamburg um die Olympischen Spiele?

Bis Sonntagabend, 18 Uhr, dürfen die Bürger in Hamburg entscheiden, ob sie für oder gegen die Ausrichtung der Olympischen Spiele in ihrer Stadt sind. Am Ausgang des Referendums will Hamburg verbindlich festmachen, ob es sich für die Spiele im Jahr 2024 bewirbt. Befürworter und Gegner kämpfen um jede Stimme - bis zum Schluss.

Von Swantje Unterberg |
    Hunderte Menschen in bunten Ponchos bilden im Stadtpark in Hamburg die Olympischen Ringe. Gegner haben davor das Wort "No" gebildet.
    Olympia-Befürworter bilden Anfang November im Stadtpark in Hamburg die Olympischen Ringe (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    "Wir werden heute Abend vor allem reden über drei Themenfelder..." Im Hamburger Schanzenviertel bringt die Tageszeitung taz Befürworter und Gegner der Olympischen Spiele gemeinsam aufs Podium. Als Warm-up aber zählt die Meinung des Publikums. "Und wer macht vom Ausgang dieses Abends sein Verhalten am nächsten Sonntag abhängig? Sechs der etwa 50 Gäste melden sich. "Da haben wir noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten."
    Vor einem halben Jahr war eine deutliche Mehrheit von 64 Prozent für die Spiele in der Hansestadt, kurz vor Ende des Referendums liegt die Zustimmung laut einer Umfrage des Deutschen Olympischen Sportbunds nur noch bei 56 Prozent. "Das heißt, zum Referendum am nächsten Sonntag wird es offensichtlich sehr eng, und das ist eine doch unerwartete Entwicklung, wenn man sich anschaut, was die Stadt und auch die Olympiabewerbungsgesellschaft so an Werbung und auch Initiativen gezeigt hat", sagt der BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch noch vor Beginn der Podiumsdiskussion.
    Befürworter sind im Bilderkampf überlegen
    Die Pro-Olympia-Fraktion ist den Gegnern in der Material- und Eventschlacht weit überlegen: Feuer und Flamme für Spiele in Hamburg! Das Motto bestimmt das Stadtbild, prankt auf Bussen, Litfaßsäulen, Plakaten. Eine Veranstaltung steht sinnbildlich für das Kräfteverhältnis: Anfang November im Stadtpark: 13.000 Menschen in bunten Ponchos formen in einer professionell organisierten Massenchoreographie die Olympischen Ringe. Bis ins All sollte das gigantische Zeichen sichtbar sein: "Setzt mit uns ein Zeichen, welches bestenfalls um die ganze Welt geht", hieß es vollmundig im Werbevideo zu der Veranstaltung.
    Gegner der Bewerbung versuchten, die Symbolkraft zu kapern und legten mit weißen Tapetenbahnen ein NO, Nein, vor die Ringe. Doch am Ende gewannen die Befürworter, zahlenmäßig weit überlegen, im Bilder- und Meinungskampf wieder die Deutungshoheit. Sie formten hinter dem NO der Gegner ein W, NOW. Aus Nein zu Olympia wurde Olympia jetzt.
    Trotz der spürbaren Begeisterung, das Konzept ist umstritten: Der Rechnungshof warnt vor erheblichen finanziellen Risiken, der BUND bezweifelt die Nachhaltigkeit der Spiele, Stadtsoziologen und Geowissenschaftler weisen auf die Gefahren für die Stadtentwicklung hin und – spätestens seit den Anschlägen von Paris – wird auch das Sicherheitskonzept infrage gestellt, sodass es auf den Podien, wie hier im Schanzenviertel, teils drüber und drunter geht: "Aber die Zahlen dafür sind im Finanzreport offen gelegt" - "Ja, ich hab ja" - "ob das sinnvoll ist, ob das ein Gewinn für die Menschen ist" - "Ich sag mal ganz kurz was zum Kostenreport."
    Kostenreport: Spiele sollen nachhaltig und bezahlbar werden
    Linken-Abgeordnete Heike Sudmann, deren Partei in der Bürgerschaft als einzige gegen die Bewerbung ist, setzt sich im verbalen Durcheinander gegen den Vertreter der Nolympia-Initiative, den Moderator und den Präsidenten des DOSB durch. "Auf Seite 84 heißt es, zum Thema Sicherheit: Zahlreiche Kostenpositionen sind auf Basis von Erfahrungswerten berechnet, einzelne jedoch auch noch sehr grob kalkuliert worden. Und diese Formulierung, grob kalkuliert, Schätzungen, und so weiter, finden sich über 60 Mal im Kostenreport."
    Die Stadt hat kurz vor dem Referendum einen Kostenreport vorgelegt. Nachhaltig und bezahlbar sollen die Spiele werden, es soll keine bösen Überraschungen geben, keine plötzlichen Kostensteigerungen. Transparenz und Kalkulierbarkeit als Argument im Meinungskampf. Sudmann kritisiert den Report, DOSB-Präsident Michael Vesper verteidigt: "Ich habe noch nie in einem so frühen Stadium so exakte Prognosen gesehen. Das ist auf jeden Fall etwas, was ich so bisher noch nicht gesehen habe."
    "Die Olympischen Spiele waren gigantisch"
    Ein hin und her, wie es auf der Veranstaltung vier Kilometer östlicher nicht zu erwarten ist: "Wir haben die Hamburger Olympiabewerbung zum Anlass genommen uns noch einmal mit einer etwas anderen Perspektive als zuletzt mit den Spielen auseinanderzusetzen." Bei einer Diskussionsrunde zu den Spielen aus Sicht der Athleten ist Begeisterung nahezu vorprogrammiert. Die Kanutin Edina Müller schwärmt von London 2012: "Die Olympischen Spiele waren gigantisch, und man hat sich gefragt, was mag da jetzt noch kommen. Und dann haben die das wirklich noch mal eine riesen Party veranstaltet, die ganze Stadt war plakatiert mit 'Thank you for the warm up' nach den Olympischen Spielen und dann kamen halt die Paralympischen Spiele, wir haben uns da sehr willkommen gefühlt."
    In den Räumen einer perfekt ausgestatteten privaten Hochschule in der noblen Hamburger Innenstadt diskutieren zwei Athletinnen mit einer IOC-Vertreterin und dem stellvertretenden Geschäftsführer der Olympiabewerbung. Das Interesse ist mäßig, nur etwa 30 der rund 70 Plastikstühle sind besetzt. "Kosten sind ja immer nur dann negativ, wenn sie keine Gegenleistung dafür bekommen", sagt der stellvertretende Verantwortliche Bernhard Schwank am Rande der Veranstaltung und zählt Punkt um Punkt die Vorteile auf: "Das muss man den Leuten auch immer wieder sagen: Sie kriegen den ersten voll inklusiven Stadtteil, sie kriegen hundert komplett renovierte Turn-. und Sporthallen und Sportplätze für den Breitensport, sie kriegen Topsportstätten, sie kriegen neue Infrastruktur, sie kriegen die Anbindung des Hamburger Südens an das Zentrum, sie kriegen einen Werbewert, den können sie gar nicht in Euro fassen, so hoch ist der mit Olympischen, Paralympischen Spielen."
    Entscheidung in letzter Sekunde
    Argumente, die überzeugen können, und doch: für jedes haben Kritiker ein Gegenargument. Das Pro und Contra, es spiegelt sich auch auf der Straße wieder. Vor dem Hamburger Rathaus steht eine Uhr, die die Zeit bis zum Ende des Referendum herunter zählt. Es bleibt spannend, bis der Countdown am Sonntagabend um 18 Uhr auf Null steht, denn manch Hamburgerin trifft ihre Entscheidung in letzter Sekunde: "Ich hab noch nicht abgestimmt, aber ich möchte gerne abstimmen, aber ich bin mir noch nicht ganz einig, ich weiß noch nicht, ob ja oder nein. Plakate sind ja quasi nicht zu übersehen, im Radio, das hört man schon, man hat eigentlich das Gefühl, dass alle sehr dafür, aber man sieht ja auch die Gegenbewegung, und die bringen einen auch zum Nachdenken."