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Reformland Frankreich (2/5)
Die Kommunen trifft es zuerst

Frankreich ist hoch verschuldet. Präsident Macron will die Schulden drücken. Er ist nicht der Erste. Die Städte und Gemeinden spüren den Druck schon lange. Auch in Wittenheim im südlichen Elsass geht es bergab, seit Kalibergbau, Textil- und Autoindustrie nicht mehr ziehen.

Von Suzanne Krause | 30.01.2018
    Förderanlagen einer Kalimine in Wittenheim bei Mühlhausen im Elsaß am 17.9.1994.
    "Unsere Bergwerksvergangenheit hat ein beachtliches Kulturerbe hinterlassen, Bauten, die die Kali-Gesellschaften errichteten. Aber wir brauchen Mittel, das alles zu erhalten", sagte Bürgermeister Antoine Homé (dpa / Rolf Haid)
    Mal wieder hat Antoine Homé Stunden mit Diskussionen über das Kommunalbudget verbracht. Der charmante Elsässer ist Berater des französischen Rechnungshofes, des "Cour des comptes" und leitet diverse regionale und nationale Finanzkommissionen. Seit 16 Jahren ist er außerdem Bürgermeister der Kleinstadt Wittenheim. Die Finanzsitzung an diesem Tag hat im benachbarten Mulhouse stattgefunden.
    Homé, Anfang 50, jugendlicher Elan, eilt über den Parkplatz. Bevor er in sein Auto steigt, atmet er tief durch. Auf dem Rückweg nach Wittenheim lässt er die Sitzung Revue passieren.
    "Wir Lokalpolitiker sind außerordentlich besorgt. Und das schon seit Jahren, seit der damalige konservative Staatspräsident Sarkozy auf Sparkurs ging. Beim Abbau des Staatsdefizits sind als erste die Gebietskörperschaften zur Kasse gebeten worden. Während der Staat seine Ausgaben noch erhöhte, wurden die nationalen Zuwendungen für Kommunen, Regionen und Départements innerhalb weniger Jahre um 10,5 Milliarden Euro gekürzt."
    Abschaffung der Wohnsteuer spült weniger Geld in die Kasse
    Die aktuelle Regierung will da weitermachen. Der Streit um die Abschaffung der Wohnsteuer, neben der Grundsteuer zentrale Einnahmequelle für die Kommunen, beschäftigt auch Homés Städtchen im Elsass.
    8,5 Milliarden Euro pro Jahr fließen derzeit noch in die Gemeindekassen Frankreichs. Macron hat den Kommunen angeboten, den Steuerverlust komplett auszugleichen. Jedoch auf Basis des letzten Steuerjahres. Das hieße, sagt Bürgermeister Homé zähneknirschend, dass die Einnahmen eingefroren würden. Und das das könnte der Anfang vom Ende dieser Einnahmequelle sein.
    Antoine Homé, Anführer der PS-Liste für das Departement Haut-Rhin für die Regionalwahlen, posiert am 28. Januar 2010 in Colmar.
    Antoine Homé, Bürgermeister von Wittenheim (AF / Sebastien Bozon )
    "Beim Blick in die Annalen der Lokalfinanzen in Frankreich fällt auf: Jedes Mal, wenn der Staat den Verlust einer Einnahmequelle mit Zuwendungen kompensierte, hat er sich danach peu à peu seiner Verpflichtungen entledigt."
    Wittenheim - eine Stadt mit Bergbaugeschichte
    Bei der Einfahrt in sein Heimatstädtchen entspannen sich Homés Gesichtszüge. Er durchquert eine ehemalige Bergwerksiedlung: bescheidene Zweifamilienhäuser mit Satteldach, zweistöckig, links und rechts eine Eingangstür. Drumherum viel Grün. Eine beliebte Wohngegend. Im Blick des Bürgermeisters liegt Stolz.
    "Unsere Bergwerksvergangenheit hat ein beachtliches Kulturerbe hinterlassen, Bauten, die die Kali-Gesellschaften errichteten. Aber wir brauchen Mittel, das alles zu erhalten. Jedes Mal, wenn uns eine öffentliche Geldquelle gestrichen wird, fragen wir uns, wie wir es schaffen, die kommunalen Gebäude und Anlagen in Schuss zu halten. Denn eine der Stärken Frankreichs ist die Qualität seiner öffentlichen Einrichtungen. Das ist keineswegs nebensächlich."
    Gegenüber, vor der Schule, steht eine Gruppe Zweitklässler. Mit weit ausholender Geste winkt der Bürgermeister ihnen zu, ein bisschen zu überschwänglich. Einige Kinder winken zurück.
    "Die Kinder kennen mich alle, weil ich sehr oft in den Schulen bin. Denn die sind der Schlüssel für die Zukunft. Da sind wir wieder beim Thema Geld: Es braucht Mittel, um Gebäude und Mobiliar instand zu halten und gute Computer für die Schüler anzuschaffen. Das ist wichtig, wegen der Chancengleichheit. Das hat in unserem Budget Priorität."
    Mehr als die Hälfte wählte Marine Le Pen
    Homé nickt befriedigt und bricht Richtung Innenstadt auf. 15.000 Einwohner hat Wittenheim, hauptsächlich Arbeiter und Angestellte. Beim letzten Präsidentschaftswahlkampf holte die extreme Populistin Marine Le Pen hier mehr als 51 Prozent. Dem überzeugten Sozialisten Homé geht das sichtlich an die Nieren. Dass er Macron seine Stimme gab, sei reine Notwehr gewesen. Der Bürgermeister schüttelt den Kopf: Der neue Staatspräsident habe die Vermögenssteuer zugunsten Wohlhabender reformiert, statt erst einmal etwas für den industriellen Wiederaufbau zu tun, kritisiert Homé. Er besinnt sich kurz und meint dann nachsichtig: Macron sei ja noch nicht so lange im Amt. Und dass die Wirtschaft langsam wieder in Gang komme, sei natürlich positiv. Seine Hände umgreifen das Lenkrad fester, der Finanzexperte macht sich Sorgen um die Stadtsäckel:
    "Es geht gerade noch so. Aber die Kommunen haben Entscheidungen treffen müssen. Dass die staatlichen Zuwendungen nun schon seit Langem sinken, hat dazu geführt, dass nicht nur das Rathaus in Wittenheim den Vereinen Subventionen gestrichen hat. Sie müssen den Gürtel nun sehr eng schnallen. Und leider traf das vielerorts im Land vor allem Sport- und Kulturvereine."
    Sport- und Kulturvereine müssen Gürtel enger schnallen
    Homé zählt kulturelle Festivals, Gemeinschaftsveranstaltungen auf, die mangels ausreichender Mittel nicht mehr stattfinden. Sein Unterkiefer gerät ins Mahlen.
    "Dabei sagt man uns, wir müssen mehr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt tun, in Anbetracht des Attentats auf Charlie Hebdo und der weiteren Anschläge. Doch letztendlich haben die Gebietskörperschaften, die wichtigsten Akteure, wenn es um den sozialen Zusammenhalt geht, weniger Mittel, um Sport- und Kulturvereine zu unterstützen. Das ist doch paradox. Mich bekümmert das, denn Sport und Kultur tragen doch ungemein für das Zusammenleben, den gesellschaftlichen Zusammenhalt bei."
    Der Bürgermeister hat es eilig - mit den Geldsorgen im Gepäck geht es zurück ins Rathaus, der nächste Termin wartet.