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Regierungskrise
"Frankreich muss umdenken"

Nach dem Rücktritt der französischen Regierung dürfe Staatspräsident François Hollande nicht wieder den Fehler machen, Kritiker ins Kabinett zu nehmen, sagte der frühere Leiter des ARD-Studios Paris, Ulrich Wickert, im Deutschlandfunk. Nur dann könnten dringend notwendige Reformen angegangen werden.

Ulrich Wickert im Gespräch mit Bettina Klein |
    Fernsehjournalist Ulrich Wickert
    Fernsehjournalist Ulrich Wickert (dpa / picture-alliance / Hannibal Hanschke)
    "Diese Regierung lebte von dem Problem, dass es diejenigen gab, die sich links nennen, aber in Wirklichkeit die Erzkonservativen sind, weil sie eine Politik machen wollen, wie sie in den 70er Jahren gemacht worden ist", sagte der frühere ARD-Journalist. Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der mit einer kritischen Äußerung zur Sparpolitik den Rücktritts des gesamten Kabinetts auslöste, habe eine Schuldenpolitik betreiben wollen, sie aber Investitionspolitik genannt.
    Wickert betonte, schon die erste Kabinettsumbildung sei falsch gewesen. Jetzt bleibe Hollande nichts anderes übrig, als auf Kritiker in der Regierung zu verzichten. "Irgendwann müssen die Franzosen merken, wir kriegen jetzt eine stringente Politik". Frankreich habe immer schon Probleme mit Reformen gehabt. Allerdings müsse das Land jetzt eine ganze Reihe von Dingen ändern, unter anderem das wirtschaftliche Denken und die Staatsstruktur. Derzeit sei in der französischen Bevölkerung auch ein Trend zu erkennen, in Richtung Deutschland zu schauen und zu fragen: Warum können die es, was wir nicht können?
    Ulrich Wickert geboren am 2. Dezember 1942 in Tokio, arbeitete viel Jahre als TV-Journalist bei der ARD. Er war Redakteur der Sendung Monitor, berichtete als Korrespondent aus Washington und Paris, wo er später die Leitung des ARD-Studios übernahm. Zwischen 1991 und 2006 moderierte er die Tagesthemen. Seitdem hat er seine Tätigkeit als Buchautor verstärkt.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Nüchtern betrachtet ist es ein Thema, das die regierenden Sozialisten in Frankreich angesichts steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Kaufkraft seit längerer Zeit umtreibt. Was hilft gegen die Wirtschaftskrise, striktes Sparen oder weiteres Geldausgeben? Francois Hollande, der sich 2012 mithilfe eines linken Parteiprogramms zum Präsidenten wählen ließ, hat in dieser Frage Anfang des Jahres eine Art Kehrtwende vollzogen, und nun befindet sich der linke Flügel der Sozialisten seit Wochen auf den Barrikaden. Zu große Vergünstigungen für die Unternehmen, so lautete zum Beispiel ein Vorwurf, immer deutlicher ausgesprochen etwa von Wirtschaftsminister Montebourg. Das Ergebnis gestern nun: Ende der Regierung, Kabinettsumbildung heute.
    Der Fernsehkorrespondent Ulrich Wickert hat etliche Jahre aus Frankreich berichtet. Er hat viel über das Land geschrieben, mit dem ihm viel Sympathie verbindet, ohne dass er dabei Kritik ausblendet. Er ist heute früh bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Wickert!
    Ulrich Wickert: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Zweite Kabinettsumbildung innerhalb von vier Monaten. Was haben Sie gedacht gestern, als Sie das hörten, die spinnen, die Franzosen?
    Wickert: Nein. Ich habe gedacht, die erste Kabinettsbildung war falsch, dass man da Montebourg und die Kritiker mit reingenommen hat. Das hätte man damals schon sein lassen sollen, denn Hollande wollte ja eigentlich einen, seinen Sparkurs wirklich jetzt durchziehen, weil er vorher nichts getan hatte. Er hat ganz bewusst Manuel Valls zum Premierminister gemacht, Valls, der auftritt wie ein Harter, wobei in Frankreich viele sagen, er ist der Harte unter den Weichen und der Weiche unter den Harten. Jetzt blieb in der Krise ihm gar nichts übrig, das zu machen, was er vor 147 Tagen - denn so lange ist seine Regierung erst im Amt - schon einmal hat machen müssen.
    "Es passte überhaupt gar nicht, dass Montebourg in diese Regierung reinkam"
    Klein: Das Motiv war ja offensichtlich, die Kritiker einzubinden. Kann er denn darauf jetzt verzichten bei einer neuen Kabinettsbildung?
    Wickert: Er muss darauf verzichten. Das ist das Problem. Denn irgendwann müssen die Franzosen merken, wir kriegen jetzt eine stringente Politik. Das war bisher nicht der Fall. Da wurde immer hin und her gemacht und der ein bisschen und der ein bisschen. Es passte überhaupt gar nicht, dass Montebourg in diese Regierung reinkam, denn diese Regierung lebte von dem Problem, dass es diejenigen gab, die sich links nennen, aber die in Wirklichkeit, ich würde mal sagen, die Erzkonservativen sind, weil die eine Politik machen wollen, wie sie in den 70er-Jahren gemacht worden ist, nämlich Franc abwerten damals, immer wenn man Außenhandelsdefizit hat Franc abwerten und dann hohe Inflation und dadurch die Schulden natürlich indirekt abbauen. Das ist genau das, was Montebourg auch machen will. Er greift natürlich Frau Merkel wegen des Sparkurses an und er will, dass der Euro schwach wird, und dann wollen sie eben wieder Schuldenpolitik betreiben, nennen das aber Investitionspolitik. Das sind alles Dinge, die Anfang der 80er-Jahre von Mitterrand geändert worden sind, auf Rat hin von Helmut Schmidt damals. Es gab damals schon einen Streit in der französischen Regierung: Bleiben wir bei unserer Art der Politik, Inflation und Ähnliches, oder aber machen wir die deutsche Politik. Schmidt hat damals Mitterrand klar gemacht, ihr müsst eine Geldpolitik machen, so wie die Bundesbank das macht.
    Frankreichs Premierminister Manuel Valls hat den Rücktritt seiner Regierung eingereicht.
    Frankreichs Premierminister Manuel Valls hat den Rücktritt seiner Regierung eingereicht. (AFP / Patrick Kovarik)
    Klein: Herr Wickert, wie stark ist denn diese Position von Montebourg, die Sie gerade noch mal skizziert haben, auch historisch noch mal dargelegt haben, wie stark ist diese Position denn in der französischen Bevölkerung verankert? Kann man darauf verzichten, solche Kritiker einzubinden?
    Wickert: Ja ich glaube, man muss darauf verzichten, weil Frankreich muss umdenken. Natürlich ist in der französischen Bevölkerung diese Idee, wir müssen nicht sparen, sehr populär. Das ist ja auch klar. Wenn man nicht sparen muss, wenn man keine Reformen machen muss, ist es ja alles ganz wunderbar. Aber es gibt immer mehr Leute, die sagen, wir müssen jetzt nach Deutschland gucken. Das ist wirklich sehr interessant. Deutschland ist nicht etwa ein Buhmann, sondern Deutschland ist für viele, viele Franzosen in der Bevölkerung im Augenblick das Land, wo man sagt, warum können die es, was wir nicht können, lasst uns doch mal gucken und lasst es uns doch mal ähnlich machen. Das Interessante ist auch, dass zum Beispiel die Reformen von Schröder in Frankreich unter Politikern eigentlich bei führenden Politikern als sehr positiv angesehen werden. Sarkozy hat kurz vor der von ihm verlorenen Wahl Schröder zu sich kommen lassen und sagen lassen, wie haben Sie das gemacht, und er hat dann im Wahlkampf gesagt, ich werde das jetzt wie Schröder machen.
    "Frankreich hat immer schon Probleme mit Reformen gehabt"
    Klein: Aber jetzt hören wir natürlich, Sie haben es angedeutet, nicht nur vom Wirtschaftsminister, auch von einigen anderen scharfe Kritik an der derzeitigen europäischen Spar- und Finanzpolitik, scharfe Kritik auch an der deutschen Bundeskanzlerin, und hier wiederum fragen sich einige Leute, ist Frankreich reformunfähig, oder weshalb wirkt das so im Augenblick.
    Wickert: Frankreich hat immer schon Probleme mit Reformen gehabt und es ist in Frankreich so, dass es nicht reicht, eine Wirtschaftsreform zu machen, sondern man muss eine politische Reform machen. Die Situation in Frankreich ist so, dass Sie immer einen rechten Bevölkerungsteil haben und einen linkeren Bevölkerungsteil. Das hängt auch mit diesen Präsidentschaftswahlen zusammen, wo Sie einfach entweder rechts oder links einen Kandidaten haben. Es gibt Leute in Frankreich, die führen das noch zurück auf die Französische Revolution, wo es immer sozusagen unten und oben gegeben hat, und so ist das heute auch noch. Wenn Sie Präsidentschaftskandidat werden wollen, was Monsieur Montebourg unbedingt im Kopf hat, und deswegen sagt er, wir sind '14, '17 sind die nächsten Präsidentschaftswahlen, da muss ich jetzt einen Punkt machen. Da denkt man dann gar nicht mehr in was ist richtig in der Politik, sondern was nutzt meiner Karriere.
    Man muss in Frankreich wahrscheinlich eine ganze Reihe von Dingen verändern. Das erste ist das wirtschaftliche Denken. Man muss als Zweites dann anfangen, dass man die Staatsstruktur verändert. Das ist etwas, was Hollande angegangen ist und Valls. Man will die Departements abschaffen, man will die Regionen verkleinern. Das ist vielleicht zum jetzigen Konzept immer noch zu wenig, aber es ist ein Anfang, denn damit werden dann Entscheidungswege verkürzt. Und dann muss man endlich mal anfangen zu verändern, dass Paris alles entscheidet.
    "Das wird ganz schwierig bei den nächsten Haushaltsabstimmungen"
    Klein: Herr Wickert, um noch mal auf die Vorwürfe von Montebourg zu kommen. Sie haben gesagt, der vertritt jetzt keine Mehrheit oder keinen relevanten Teil der französischen Öffentlichkeit. Dennoch ist er ja nicht der erste und nicht der einzige in Europa, der die derzeitige Sparpolitik, die auch sehr stark von Deutschland ja mit vorgegeben wurde, kritisiert. Das heißt, Ihrer Meinung nach hat er aber nur Unrecht dabei und niemand muss sich Ihrer Meinung nach davon beeindrucken lassen, oder wie verstehe ich Sie?
    Wickert: Ja. Es ist so: Wenn Sie das Parlament angucken, da sind etwa 40 Abgeordnete bei den Sozialisten auf der Seite von Montebourg. Das wird natürlich ganz schwierig bei den nächsten Abstimmungen, Haushaltsabstimmungen, wie wir gerade gehört haben. Aber bei den bisherigen Abstimmungen hat es immer noch gereicht für die Mehrheit. Frankreich hat ein großes Problem: die haben eben ein großes Haushaltsdefizit, das um vier Prozent jetzt im Augenblick liegt, und Hollande hat versprochen, bis 2015 liegen wir wieder bei drei Prozent. Er hat das sozusagen der europäischen Gemeinschaft versprochen, und da ist das Problem. Sie können jetzt nicht plötzlich sagen, wir verabschieden uns davon, weil dann bekommen sie doch ein großes Problem in der Europäischen Union.
    Klein: Zur Regierungskrise in Frankreich und der für heute angekündigten Kabinettsumbildung heute Morgen im Deutschlandfunk der langjährige Frankreich-Korrespondent Ulrich Wickert. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Wickert!
    Wickert: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.