Dienstag, 19. März 2024

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Reicher Steinbrück, armer Steinbrück

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat mit Vorträgen bei Banken und Verbänden viel Geld verdient. Dafür wird er zurzeit scharf kritisiert. Der ehemalige Bundestags-Vizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) findet Steinbrücks Tätigkeit unproblematisch, solange dessen Meinung nicht käuflich wird.

Burkhard Hirsch im Gespräch mit Dirk Müller | 05.10.2012
    Dirk Müller: Die Linken wollen alles vom Parlament untersuchen lassen, FDP-Generalsekretär Patrick Döring macht via "Bild"-Zeitung Druck, wie auch gleich mehrere Grüne, und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sieht in Peer Steinbrück möglicherweise ein Produkt der Finanzindustrie. Steuererklärung offenlegen, fordern inzwischen immer mehr Politiker vom neuen Kanzlerkandidaten der SPD. Auch zahlreiche Sozialdemokraten wollen Zahlen sehen und mögliche Interessenskonflikte. Wie hoch sind die Honorare, die der frühere Finanzminister von Banken und Versicherungen für die Vorträge überwiesen bekommen hat? 100.000 Euro verdient zumindest – kann sich das ein SPD-Mann leisten, moralisch, ethisch und jetzt auch wieder politisch, eben als Kandidat? Darüber wollen wir nun sprechen mit einem Liberalen und einem Ex-Minister, mit Burkhard Hirsch (FDP). Guten Morgen!

    Burkhard Hirsch: Einen schönen guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Hirsch, wäre Peer Steinbrück besser arm geblieben?

    Hirsch: Ja. Also wenn ich diese ganzen Kritiker höre, dann wünschte ich erstmal, keiner von denen ist gehindert, seine eigene Einkommenssteuererklärung zu veröffentlichen. Keiner, kein Abgeordneter ist daran gehindert, über die Transparenzgebote hinauszugehen, und ich wundere mich über manche, die plötzlich an Transparenz Interesse haben, von denen vorher in diesem Zusammenhang nichts zu hören war. Ich erinnere mich auch an Herrn Schily, der bis zum Verfassungsgericht ging, weil ihm die jetzigen Veröffentlichungserklärungen zu weit gingen. Also ich habe das Gefühl, hier ist ein bisschen auch ein Aufmarsch der Leithammel am Werke. Ich bin dafür, die Transparenzregeln zu verschärfen. Das kann man auch machen. Aber der Anlass, der hier gesucht wird, der scheint mir doch sehr parteipolitisch determiniert zu sein, um das sehr zurückhaltend zu formulieren.

    Müller: Sie meinen die Generalsekretäre vielleicht, Alexander Dobrindt, aber auch Patrick Döring?

    Hirsch: Na also auch Herr Dobrindt könnte natürlich seine Einkommenssteuererklärung veröffentlichen, wie Herr Gansel das ja gemacht hat. Auch Herr Döring könnte das tun, da wird keiner dagegen sein. Warum tun sie es denn nicht, ehe sie in dieser Frage nun besonders hohe Maßstäbe anlegen? Nochmal: Man kann die Transparenzregeln vergrößern. Diese Lösung bis 3500 und über 7000 war eine Kompromissregelung, die manchen damals schon viel zu weit ging, als sie beschlossen wurde. Kein Problem damit! Aber nur bezogen das auf einen einzigen Fall, weil das nun gerade ein Sozialdemokrat ist, der viel Geld verdient hat, das scheint mir ein bisschen merkwürdig zu sein.

    Müller: Reden wir über diesen Sozialdemokraten Peer Steinbrück. Als Sozialdemokrat - ist das etwas besonderes, als Sozialdemokrat möglicherweise während der politischen Laufbahn zum Millionär zu werden?

    Hirsch: Ich kenne keinen anderen, von dem ich weiß, dass er Einnahmen dieser Höhe hat, keinen Sozialdemokraten, aber andere natürlich. Ich kenne einen Abgeordneten, der sogar eine Ein-Mann-Gesellschaft gegründet hat, um sich selbst zu vermarkten. Es gibt Fälle, in denen Abgeordnete, die eine besondere Funktion haben, plötzlich ihr Mandat niederlegen, um dann Geschäftsführer eines Verbandes zu werden, der in demselben Bereich Lobbyismus betreibt. Also es gibt Vorgänge der Einflussnahme und der Einflussausübung, die nicht in Ordnung sind, über die man dann wirklich mal insgesamt sorgfältiger verhandeln muss. Ich wiederhole das: Dagegen ist nichts zu sagen. Ich wundere mich nur darüber, dass nun dieser eine Einzelfall gewählt wird, um besondere Regeln zu verlangen, die man bisher mit keinem Wort gefordert hat.

    Müller: Das, was Peer Steinbrück "getan" hat, das heißt nach dem Ausscheiden als Finanzminister weiter politisch aktiv zu sein als einfacher Bundestagsabgeordneter in der Bundestagsfraktion, …

    Hirsch: Ist in Ordnung!

    Müller: …, gleichzeitig sein Renommee, seine Kompetenz, sein Wissen, wie auch immer, sein Ansehen genutzt hat, einen Marktwert zu definieren, den auch dann dementsprechend abzurufen, weil die Angebote gekommen sind aus der Industrie, …

    Hirsch: Das machen viele, das ist in Ordnung und mich würde sehr viel mehr interessieren, ob er denn bei seinen Vorträgen, die er gehalten hat oder hält, andere Meinungen vertritt als im Bundestag, ob er also den Auftraggebern nach dem Mund redet, ob irgendeiner vorhalten kann, dass er bei diesen Vorträgen andere Positionen vertreten hat als in seiner eigenen politischen Auffassung und dargestellten politischen Auffassung entsprechend. Das wäre ein Vorgang, der in der Tat gegen den Kandidaten Steinbrück sprechen würde. Aber wenn er genau das denen sagt, die ihn dafür bezahlen, was er auch im Bundestag vertritt, dann, finde ich, ist das in Ordnung.

    Müller: Inwieweit ist das schon ein bisschen grotesk, dass Steinbrück im Grunde jetzt als Bankenschlächter tituliert wird und ausgerechnet von diesen Banken dann die Vortragshonorare kassiert hat?

    Hirsch: Ja, wenn die ihn dafür bezahlen, um diese Positionen sozusagen im Original zu hören, dann, finde ich, ist das kein Vorgang, den man beanstanden muss. Es ist ja ganz anderes, wenn Herr Steinbrück seinen Auftraggebern nach dem Mund reden würde. Das hat aber bisher keiner behauptet und schon gar nicht belegt.

    Müller: In den USA würde über die Diskussion ja vermutlich kein einziger Reporter schreiben. Sind wir da auf einem anderen, falschen Dampfer?

    Hirsch: In den Vereinigten Staaten verlangt man von den Abgeordneten weit mehr Publizität, als das in der Bundesrepublik üblich ist, und das hängt damit zusammen, dass bei uns hohe Einnahmen nicht als besonderer Erfolg gelten, sondern fast bemakelt oder bemängelt werden, als ob das etwas Unehrliches wäre, wenn einer einen hohen Marktwert hat. Das ist in den Vereinigten Staaten, auch in England eine andere Vorstellung zu der Frage, welche Publizität ein Funktionsträger oder ein Bewerber um ein öffentliches Amt bieten muss. Da sind die viel strenger als wir und das lässt sich hören.

    Müller: Schade, dass ich Ihnen kein Glas Wasser reichen kann. Ich hoffe, es geht wieder, Herr Hirsch.

    Hirsch: Danke, ist okay.

    Müller: Moralisch-ethisch, das ist ja eine Diskussion beziehungsweise eine Komponente, die wir in den vergangenen Tagen pro und contra in den Tageszeitungen, in den Kommentarspalten zum Beispiel gelesen haben. Das heißt, für Sie ist das weder moralisch, noch ethisch in irgendeiner Form überhaupt diskutabel, das ist vollkommen okay?

    Hirsch: Ich finde dann kein Problem dabei, noch mal, wenn man nicht eine Meinung kaufen kann, oder wenn man eine bisherige öffentliche Funktion benutzt, um nun für einen speziellen Verband tätig zu werden. Da gibt es Fälle, die nicht in Ordnung sind. Und ich finde auch, dass man die Publizität vergrößern kann, also die Verpflichtung, Einnahmen in bestimmter Höhe klarer zu nennen als bisher. Aber das ist ja nicht an den Sozialdemokraten bisher gescheitert oder an den Grünen, sondern an den anderen Fraktionen, muss man leider so sagen.

    Müller: Und Steuererklärungen zu veröffentlichen, das würde zu weit gehen?

    Hirsch: Das ist sicherlich eine Grenzfrage, ob man einzelne Abgeordnete...Ich wiederhole: zum Beispiel Herr Gansel, früherer Bundestagsabgeordneter, der hat das getan. Ich selber finde, das geht ein bisschen weit. Wenn das alle tun, oder wenn das üblich wäre bei der Bewerbung um bestimmte Funktionen, dann könnte ich mir das gut vorstellen, dass das auch in der Bundesrepublik gemacht wird. Ich bin nur dagegen, das an einem konkreten Einzelfall zu fordern und die anderen halten sich in der Frage vornehmst zurück. Wenn schon, dann bitte alle.

    Müller: Dann greifen wir noch mal das Stichwort auf, was Klaus Remme, unser Korrespondent in Berlin, schon in die Debatte gebracht hat, also diese zunehmende Verflechtung von Kanzleien, von Ministerien, sogar von Gesetzesentwürfen, und dann hinterher trifft man sich in anderer Zuständigkeit, in anderer Rolle. Inwieweit könnte man das oder müsste man das strenger trennen?

    Hirsch: Ich finde es überhaupt nicht gut, wenn ein Ministerium, das ja über Sachkenner verfügt, sich sozusagen einen Gesetzentwurf von einer Anwaltskanzlei schreiben lässt. Ich habe auch Bedenken dagegen, dass es üblich geworden ist, dass Vertreter der Wirtschaft eine Zeit lang in einem Ministerium ihrer eigenen Branche arbeiten. Da gibt es Interessenbeeinflussungen, die zumindest ausgiebiger Publizität bedürfen, wenn man sie schon betreibt. Ich hätte das in meinem Haus früher unter keinen Umständen gemacht.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der FDP-Politiker Burkhard Hirsch. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hirsch: Auf Wiederhören, Herr Müller – bitte sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.