Dienstag, 19. März 2024

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Religionskritik - wie geht das richtig?
Die Freiheit sich abzuwenden

Zur Religionsfreiheit gehöre das Recht, eine Religionsgemeinschaft zu kritisieren oder sie zu verlassen, sagte der Theologe Heiner Bielefeldt im Deutschlandfunk. Der Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats plädierte dafür, nicht zu verallgemeinern: Religion sei veränderbar - auch durch Kritik.

Heiner Bielefeldt im Gespräch mit Andreas Main | 19.09.2016
    Heiner Bielefeldt 2015 bei einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen in Genf
    Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, 2015 bei einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen in Genf. (dpa / picture alliance / Martial Trezzini)
    Heiner Bielefeldt ist Theologe, Philosoph und Historiker und Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg. Sein Schwerpunkt: Menschenrechte. Seit sechs Jahren ist Bielefeldt zudem Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats. Er arbeitet an einem Buch, in dem unser Thema eine zentrale Rolle spielt.
    Bielefeldts Grundthese: Religion ist soziale Praxis. Menschen gestalten und tragen Religion. Deshalb sind Religionen historisch offen. Die Verantwortung des Menschen werde aber negiert, wenn Religionen etwa unterstellt werde, sie seien im Kern gewalttätig. Das sei eine fatalistische Position, sagte Bielefeldt. Wer behaupte, der Islam oder das Christentum seien per se intolerant, entlasse deren Anhänger aus der Verantwortung. Religionskritik sei wichtig, müsse sich aber an die Regel halten, dass den Religionsgemeinschaften zugetraut werde, sich zu verändern.

    Das Interview voller Länge:
    Andreas Main: Oft überschlagen sich die Emotionen in Religionsdebatten. In einer Zeit der Schlagwörter schlagen viele mit Wörtern nur so um sich. Zum "Schlagwort-Sprech" gehört zum Beispiel der Begriff "Generalverdacht". Die einen sagen, Muslime würden unter "Generalverdacht" gestellt. Die Gegenseite sagt, "Islamkritiker" würden unter "Generalverdacht" gestellt. Wir wollen in dieser Woche ganz nüchtern fragen: Religionskritik - wie geht das richtig? Heute geht diese Frage an Heiner Bielefeldt. Er ist Theologe, Philosoph und Historiker und Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg. Seit sechs Jahren ist Bielefeldt bei den Vereinten Nationen Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Er sagt ganz klar: Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit, eine Religionsgemeinschaft zu kritisieren oder sie zu verlassen. Er ist uns jetzt live zugeschaltet in Nürnberg. Guten Morgen Herr Bielefeldt.
    Heiner Bielefeldt: Guten Morgen Herr Main.
    Main: Herr Bielefeldt, bevor wir später dazu kommen, wie Religionskritik richtig geht, sagen Sie uns zuerst: Welche Form von Religionskritik geht gar nicht?
    Bielefeldt: Also, rechtlich ist ja fast alles erlaubt. Das muss auch so sein. Das gehört zur Meinungsfreiheit, das gehört zur Religionsfreiheit im Übrigen auch, so, wie Sie gesagt haben. Rechtlich ist ganz viel erlaubt, auch nicht nur scharfe Kritik, Häme, aber ob das dann sinnvoll ist, ob das wirklich weiter führt, ist eine völlig andere Frage. Ich denke, ein Respekt, nicht vor den Religionen, sondern vor den Menschen, die in Religionen leben, ist Voraussetzung dafür, dass das in einer demokratischen Gesellschaft auch wirklich zum Gespräch führt. Deshalb also Genauigkeit, hinhören, keine – wie soll man sagen? – so Pappkameraden aufbauen, an denen man sich abarbeiten kann. Das gehört dazu, dass Religionsfreiheit auch sinnvoll ist, weiterführt, zur Klärung der schwierigen Fragen hilft. Aber rechtlich erlaubt ist fast alles.
    Main: Wenn es heute um Religionskritik geht, dann müssen wir reden über terroristische Gewalt im Namen von Religion. Das ist es, was Menschen beunruhigt. Und, ob wir es wollen oder nicht, dann sind wir beim Islam und wir sind bei der Islamkritik. Dass die Debatte immer da landet, ist das berechtigt oder eine Engführung aus Ihrer Sicht?
    Bielefeldt: Es ist eine Engführung, aber natürlich eine Engführung, die man zumindest verstehen kann, weil die religiös untermauerte, religiös eingefärbte – ich formuliere ganz bewusst so ein bisschen vorsichtig – Gewalt, auch terroristische Gewalt, die wir erleben, die ja auch bis nach Europa vorgedrungen ist, derzeit ja tatsächlich im Namen des Islams stattfindet. Von daher ist das eine Debatte, die sich ja unvermeidlich stellt. Also dem muss man, glaube ich, in der Tat an Rechnung tragen. Da muss man ran. Und wichtig wäre eben, mit Genauigkeit und auch mit Muslimen gemeinsam darüber zu reden, was denn da schiefläuft, was das mit Islam zu tun hat, welche anderen Faktoren hinzukommen. Aber in der Tat, die Debatte ist unvermeidlich.
    "Es gibt eine berechtigte Islamkritik"
    Main: Also braucht es auch den "Islamkritiker" – in Anführungszeichen? In der Öffentlichkeit ist ja durchaus zu beobachten, dass die Bezeichnung "Islamkritiker" undifferenziert und auch oft diffamierend benutzt wird. Da wird alles in einen Topf geworfen: die intellektuelle islamische Reformerin, der linksliberale Nichtmuslim in einen Topf mit Verängstigten, mit Islamhassern. Wie bekommen wir das entwirrt? Das ist dann für mich eine ganz offene Frage.
    Bielefeldt: Ja. Ich meine, Sie haben im Grunde die Antwort gegeben – eigentlich schon bei der Anmoderation. Also diese pauschalen Begriffe, diese verächtlichen Begriffe, die bringen ja gar nichts weiter. Und es gibt eine berechtigte "Islamkritik". Es gibt überhaupt natürlich eine ganz große Berechtigung zur Religionskritik, aber auch die Notwendigkeit, die Religionskritik ihrerseits noch mal kritisch zu beleuchten. Denn da gibt es, sagen wir mal, brachiale Varianten, "Hau-drauf-Varianten", die eigentlich nur auf Abschottung zielen oder politische Stimmungsmache, wo gar nichts geklärt werden soll, wo dann also auch der Gestus der Aufklärung beinahe schon so ein bisschen lächerlich rüberkommt.
    Und es gibt die notwendige schwierige Auseinandersetzung, bei der eben Genauigkeit und vor allem die Bereitschaft zum Hinhören Voraussetzung sind. Also ich mag es nicht, dass man den Begriff "Islamkritiker" irgendwie denunzierend, verächtlich verwendet, genauso wenig, wie ich das irgendwie sinnvoll finde, wenn "Islamkritik" oder Religionskritik selbst einen verächtlichen Ton anschlägt. Das erleben wir aber manchmal.
    "Apologetische Reflexe hinter uns lassen!"
    Main: Wenn Kritik geäußert wird, dann heißt es oft nach wie vor reflexhaft: "Das hat doch nichts mit Religion zu tun", wechselweise "hat nichts mit dem Islam zu tun". Dieser apologetische Reflex - woraus resultiert der?
    Bielefeldt: Ja, das ist letztlich nicht hilfreich, dieser apologetische Reflex. Ich glaube, es ist der Sache nach auch zu simpel zu sagen: Das hat mit Religion nichts zu tun. Es hat mit Islam nichts zu tun. Doch, es hat damit zu tun. Trotzdem will ich sagen, auch, wenn ich das für falsch halte - ein klein bisschen nachvollziehen kann man das schon. Das ist zum Teil ja auch die geradezu, ja, beinahe schon instinktive Abwehr gegenüber Formen von Gewalt, die so furchtbar sind, dass man – ja – beinahe in der Tat reflexhaft sagt: "Das sind wir doch nicht. Das hat doch mit unserer Religion nichts zu tun."
    Lassen Sie mich ein Beispiel bringen. Ich war jetzt gerade bis vorgestern in Norwegen. Das Attentat damals von Breivik ausgeführt, ganz fürchterlich. Also die Gesellschaft ist immer noch traumatisiert davon. Wenn man Christen darauf anspricht, dass Breivik sich doch als christlicher Kreuzritter verstanden hat, dann werden fast alle sagen, das hat mit Christentum doch bitte sehr nichts zu tun.
    Also von daher ist es verständlich, auch für Muslime, die in ISIS, wenn da ein jordanischer Pilot bei lebendigem Leibe verbrannt wird, das sind ja Grausamkeiten, die man gar nicht zu Wort bringen kann, dass man sagt, Moment, das hat mit Menschlichkeit nichts zu tun. Das hat mit Religion nichts zu tun. Das hat mit unserer Religion nichts zu tun. Verständlich ist das alles. Dennoch glaube ich, in der Sache führt es nicht weiter.
    Wir müssen uns diesen beunruhigenden Tatsachen stellen, dass jedenfalls manche Menschen wirklich glauben, in solchen Akten der Gewalt ein Werk Gottes zu verrichten. Also, dass es wirklich auch religiöse Motive geben kann - manche würden sagen religiös pervertierte Motive – Gewalt zu üben, Gewalt zu rechtfertigen. Also damit müssen wir uns auseinandersetzen. Das ist schwierig. Und das heißt, wir müssen diese apologetischen Reflexe, die ja verständlich sein können, dann doch auch hinter uns lassen.
    Main: Differenzieren – das ist etwas, was sich bisher als Leitwort sozusagen durch das Gespräch zieht.
    Bielefeldt: Ja.
    "Der Islam ist weder per se friedlich noch per se gewalttätig"
    Main: Das schließt dann auch aus die These, zu behaupten, der Islam sei in seiner DNA sozusagen friedlich oder eben der Buddhismus sei per se uneigennützig. Also, dass einer Religion irgendetwas zugrunde liegt, das für alle gleich gültig ist.
    Bielefeldt: Das ist ganz, ganz wichtig. Also und differenzieren – lassen Sie mich das vorweg sagen – ist da nicht einfach so eine akademische Haltung. Manchmal klingt das ja auch schon wieder so komisch. Wir müssen alles differenzieren. Als wolle man sich irgendwo der Wirklichkeit nicht stellen. Nein, hier geht es wirklich darum, Menschen ernst zu nehmen. Menschen ernst nehmen heißt Menschen ernst zu nehmen in ihren ganz unterschiedlichen Positionen und sie als Individuen ernst zu nehmen, sie in ihren Positionierungen ernst zu nehmen.
    Und, wenn man nun meint, jeder Muslim habe irgendeine bestimmte aggressive DNA des Islams in seinen Genen drin und müsse deshalb eigentlich von Hause aus gewaltgeneigt sein und Buddhisten natürlich das Gegenteil, dann angeblich in der DNA friedlich. Christen vielleicht auch. Also da werden die Menschen nicht mehr ernst genommen.
    Das wäre für mich der Ansatzpunkt. Also über Religionen reden in einem kritischen Sinne, in einem aufklärerischen Sinne, heißt über Menschen reden, die sich in Religionen bewegen, aktiv, passiv, als Männer, als Frauen, manchmal auch sehr kritisch, manchmal eher – na ja – konventionell. Menschen ernst nehmen heißt, immer die innere Vielfalt der Religion ernst zu nehmen. Und das ist nichts nur Akademisches.
    Main: Also sozusagen auch ein Plädoyer gegen Fatalismus?
    Bielefeldt: Ja.
    Main: Und ein Plädoyer für Verantwortung?
    Bielefeldt: Absolut. Also Fatalismus ist im Moment, glaube ich, eine ganz, ganz große Gefahr in der Politik überhaupt. Und gerade, wenn wir über Religion reden und über Gewaltphänomene, die ja in der Tat mit Religion zu tun haben – das wollen wir nicht wegschieben –, aber eben kompliziert mir Religion zu tun haben, da kommt dann manchmal auch so eine Bildersprache ins Wort. Die klingt so, als würden da irgendwelche Vulkane ausbrechen, wenn Sunniten und Schiiten aneinander an den Hals gehen jetzt auf der arabischen Halbinsel, als sei das eine Art Naturereignis, eine Art Naturgesetz, ein Naturschicksal. Da eruptiert was, da geht was an die Oberfläche. Und die Vorstellung ist so, dass die heiße Lava des Hasses seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden, vielleicht schon immer da war. Ich glaube, das führt ganz in die Irre. Also das führt dann zu einem Fatalismus. Und dann ist der Weg nicht weit zu einer Resignation oder auch zu Zynismus.
    Nein, Menschen ernst nehmen heißt, klar, mit ihnen reden, ihnen auch was abverlangen, auch Klärungen abverlangen, auch innerreligiöse Klärungen abverlangen. Da gibt es viel zu tun. Da gibt es großen Raum für Religionskritik. Aber diese fatalistische DNA-Beschreibung, wonach Muslime angeblich von Hause aus alle irgendwie gewaltgetrimmt seien, die ist falsch, die ist ungerecht und sie ist völlig hoffnungslos. Und da müssen wir gegen an.
    "Dinge verändern sich"
    Main: Die Kritik, die von innen her geschehen soll, die innerreligiöse Kritik in einer Religionsgemeinschaft - gehen wir das mal am Beispiel durch. Was steht im Islam an, was muss sich ändern aus Ihrer Sicht?
    Bielefeldt: Na ja, wenn ich sage, was muss sich ändern, da würde ich immer erst mal sagen, Dinge ändern sich ja bereits. Also es ist ja nicht so, dass wir da irgendwie einen völlig eindeutigen Status quo der Aufklärungsverweigerung hätten. Nein, viele Dinge ändern sich. Übrigens ändern die sich nicht nur durch intellektuelle Außenseiter, die da ihre avantgardistischen Thesen vortragen. Vieles ändert sich auch durch Gewohnheiten, also Menschen, die hier leben, die hier groß geworden sind als Muslime zum Beispiel, in Deutschland, in Europa, die haben oft doch ein völlig selbstverständliches Verständnis von Demokratie, ohne dass sie es ganz genau ausbuchstabieren könnten, was das heißt. Wer kann das schon? Also, wir haben ja Veränderungen.
    Das ist also der wichtigste Punkt: Ehe man Reformen postuliert und sagt "man müsste doch", bitte zur Kenntnis nehmen: Doch, Dinge verändern sich! Die sind im Fluss. Trotzdem, klar, es gibt eine Menge Hausaufgaben zu tun. Dazu gehört ganz offensichtlich etwa die Frage des Geschlechterverhältnisses. Rechte der Frau, Rechte des Mannes, Gleichberechtigung. Das sind ja Themen, die eben …
    Main: Vielleicht auch das Recht, sich von dieser Religionsgemeinschaft zu distanzieren.
    Bielefeldt: Absolut, absolut. Das wäre ein zweiter Testfall. Religionsgemeinschaften müssen das ja nicht gut finden. Die müssen nicht applaudieren, aber sie müssen sehr klipp und klar sagen, dieses Recht besteht. Glaube kann nur als freier Glaube authentisch sein. Und deshalb ist es im Interesse letztlich auch der Religionsgemeinschaften, zu sagen: Ja, wir wollen freie Menschen haben. Freie Menschen können auch sagen: Nein. Sie können auch Fragezeichen aufwerfen. Und es muss möglich sein, eine Religionsgemeinschaft zu verlassen, ohne Druck. Und da gibt es eine Menge zu tun.
    Also, wir haben ja immer noch sogar einige Staaten in der Welt, die den Abfall vom Islam mit Todesstrafe bedrohen. Ja, das sind jetzt so die berühmt-berüchtigten wie Saudi-Arabien, Sudan, Iran. Und da wünsche ich mir natürlich glasklare Positionen von Muslimen. Nicht, dass hier jeder, der in Deutschland als Muslim lebt, sich permanent zu Saudi-Arabien äußert. Das wäre auch irgendwie lächerlich und eine Zumutung. Aber jedenfalls gerade bei denen, die reden können, bei Intellektuellen, bei Wortführern – natürlich auch sehr klare Positionen.
    Main: Worum müssen sich Christen besonders kümmern? Was ist das zentrale innerreligiöse Feld der Selbstkritik dort?
    Bielefeldt: Na ja, also ich hatte eben schon mal das Geschlechterverhältnis genannt. Da ist natürlich auch einiges zu tun. Und wie gesagt, auch da: Dinge haben sich bewegt. Aber in der katholischen Kirche – Priestertum der Frau, das ist ja nach wie vor in den Sternen. Das ist relativ weit weg. Und der Umgang mit sexuellen Minderheiten, mit Lesben und Schwulen – da hat sich einiges getan, aber wir haben zum Teil auch massive Oppositionen, massiven Widerspruch gegen Gender, Emanzipation im Namen christlicher Familienwerte. Das erleben wir auch in Europa.
    Wir erleben das heftiger in den USA und noch mal heftiger in Staaten wie Uganda, wo gegen Schwule regelrechte Hetzjagden betrieben werden und evangelikale Prediger den Ton angeben. Also, ich will nur sagen, auch das Verhältnis Gewalt im Christentum ist nicht nur eine Sache des Mittelalters, der Kreuzzüge, sondern wir haben auch da Phänomene der Gegenwart.
    Religionskritik kann zu "Kulturkampf und Abschottung" führen
    Main: Am Anfang habe ich Sie gefragt, was gar nicht geht in Sachen Religionskritik. Jetzt im Umkehrschluss: Wie geht Religionskritik richtig? Wie muss sie gestrickt sein, wenn sie nicht verpuffen soll?
    Bielefeldt: Also, ganz wichtig finde ich immer das Gespräch. Und, wenn man das ernst nimmt, mit den Menschen reden, dann kann letzten Endes auch eine Grenze an Wichtigkeit verlieren, nämlich die Frage: Handelt es sich um eine interne Religionskritik? Oder handelt es sich um eine Religionskritik von außen? Also meistens verbinden wir Letzteres mit dem Begriff. Also "Islamkritik", da verbinden wir damit also eher Leute, die gegenüber dem Islam distanziert sind. Aber wichtig ist, dass das ineinandergehen kann, dass man sozusagen kritische Fragen von außen stellt, die aber auch Resonanz von innen finden können. Mit Menschen reden. Das heißt, die Lebenssituationen von Menschen ernst zu nehmen, die Positionierungen von Menschen ernst zu nehmen, den internen Pluralismus ernst zu nehmen. Ich glaube, das wäre das Wichtigste. Denn: Internen Pluralismus ernst nehmen, also auch innerislamischen, innerchristlichen Pluralismus, heißt: wahrnehmen, dass Menschen miteinander reden, dass sie unterschiedliche Positionen haben, auch in den Religionsgemeinschaften und die Dinge nicht gegen jeden Wandel tiefgefroren sind. Das ist ja oft so die Vorstellung. Und dann wird Religionskritik unter Umständen zum Plädoyer für Kulturkampf, für Abschottung, für Gesprächsverweigerung. Das kann ja in einer demokratischen Gesellschaft überhaupt nicht sinnvoll sein.
    Main: Heiner Bielefeldt war das, Professor an der Uni Nürnberg-Erlangen und Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats. Vielen Dank Ihnen, Herr Bielefeldt, für diese Einschätzung.
    Bielefeldt: Danke schön Herr Main.
    Main: Und morgen zur selben Zeit hier bei Tag für Tag im Deutschlandfunk bin ich verabredet mit zwei muslimischen Denkern, mit dem Schriftsteller Zafer Senocak und dem Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Beide ausgesprochen klare und selbstkritische Stimmen. Ich bin gespannt darauf, was die beiden zu sagen haben zur Frage: Religionskritik bzw. "Islamkritik" – wie geht das richtig?
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.