Donnerstag, 28. März 2024

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Religionspolitik
"Die Kritik an Ditib ist berechtigt"

Nach Hamburg und Bremen wollten weitere Bundesländer Staatsverträge mit Islamverbänden schließen, um etwa islamischen Religionsunterricht zu regeln. Doch nun ist der größte Vertragspartner in Ungnade gefallen: die Ditib. Es stehe zu befürchten, dass die türkische Politik über Ditib Einfluss in deutschen Schulen nehme, erklärt der Journalist Ulrich Pick.

Monika Dittrich im Gespräch mit Ulrich Pick | 04.08.2016
    Blick auf die Zentrale der Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) in Köln.
    Blick auf die Zentrale der Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) in Köln (dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd)
    Monika Dittrich: Die Ditib ist der größte Islamverband in Deutschland, der allerdings eng mit der staatlichen türkischen Religionsbehörde Dianet verbunden ist - vom verlängerten Arm Erdogans ist dieser Tage oft die Rede. Angesichts der politischen Lage in der Türkei wurde nun wohl manch einem deutschen Politiker mulmig zumute bei der Vorstellung, einen Staatsvertrag ausgerechnet mit der Ditib zu schließen, und sowohl in Niedersachsen als auch in Rheinland-Pfalz steht es mit den Verhandlungen nicht zum Besten. In Mainz bin ich jetzt mit meinem Kollegen Ulrich Pick verbunden, früherer Türkeikorrespondent und ein ausgewiesener Kenner deutscher Religionspolitik. Seit Jahren beobachtet er die Islamverbände und die Diskussion über Staatsverträge und Islamunterricht. Herr Pick, die Verträge, sowohl in Niedersachsen als auch in Rheinland-Pfalz waren ja eigentlich längst Unterschriftsreif. Worüber wird jetzt im Kern noch gestritten?
    Ulrich Pick: Ja, momentan, wird gestritten über den Status von Ditib, vor allen Dingen was in der Folge des Putsches in der Türkei hier in Deutschland in den Moscheen geschehen ist. Nämlich, das Stichwort heißt: Erdogan in den Moscheen, Erdogan möglicherweise dann auch im Klassenzimmer, und das will man natürlich vermeiden.
    "Ditib - der deutsche Arm des türkischen Religionsministeriums"
    Dittrich: Sie beobachten die Ditib seit vielen Jahren. Halten Sie die Kritik denn für berechtigt? Mit wem haben wir es hier zu tun?
    Pick: Ich halte die Kritik für berechtigt. Wir müssen allerdings ganz genau hingucken. Die Ditib ist sozusagen der deutsche Arm des türkischen Religionsministeriums. Das heißt, dieses Religionsministerium entsendet seine Imame, die türkische Staatsbeamte sind und von der Türkei bezahlt werden, in die deutschen Moscheen. Es sind knapp tausend, die die Ditib hier unterhält. Das heißt, hier fließt Geld nach Deutschland und hier sind auch Abhängigkeiten von der Finanzierung aus Ankara. Zur Einschätzung von Ditib selbst – das Religionsministerium in Ankara hat, wenn meine Recherchen stimmen, mehr Mitarbeiter als das Innen- und das Außenministerium in Ankara. Das heißt, das spielt also schon eine große Rolle in der türkischen Politik. Es ist übrigens genau dem Ministerpräsidialamt unterstellt, und so gesehen kann man erst mal auf Grund dieser Struktur sehr nachvollziehen, dass die türkische Politik hier in die Moscheen und dann möglicherweise, wenn es zu einem Islamunterricht kommt, auch in die Schulen Einfluss hat.
    Dittrich: Aber diese Erkenntnis ist ja nicht ganz neu, dass die Ditib auf AKP und auch auf Erdogan-Linie ist und aus der Türkei gesteuert wird, ist bekannt. War es also von Anfang an falsch, mit der Ditib oder auch mit anderen Islamverbänden zu verhandeln?
    Pick: Nein, auf keinen Fall. Was man auf jeden Fall sagen muss, um hier keine Irritationen hervorzurufen, der türkische Islam, wie er von der Ditib vertreten wird, ist ein gemäßigter Islam. Also da gibt es weitaus strengere Varianten, vor allen Dingen im arabischen Raum. Was allerdings problematisch ist, ist zum Einen natürlich diese Abhängigkeit vom Geld. Es gibt in Deutschland diesen Spruch: "Wes Brot ich ess, dess Lied ich sing." Das heißt also, wenn die Imame in deutschen Moscheen und dann auch möglicherweise bis hin zu Religionslehrern Geld aus Ankara bekommen, dann schafft das Abhängigkeiten. Und das untergräbt im Grunde genommen ja den Impuls, dass Muslime hier in Deutschland integriert werden, denn der Blick von Ditib geht eindeutig nach Ankara. Das ist das Eine. Das Zweite ist, dass in den Ditib Moscheen in den vergangenen Wochen, genauer gesagt, seit dem Putschversuch vom 15. Juli, eine Politik hoch gehalten wird, die eine Kopie von Erdogans Politik ist. Ich habe mir von etlichen Leuten sagen lassen, dass in den Moscheen wirklich diese Politik hoch gehalten wurde. Leute der nicht ganz unumstrittenen Gülen-Bewegung sagen, dass sie nicht in die Moscheen hinein durften. Gülen ist ja aus Erdogans Sicht sein Feind, der Spiritusrektor, dieser angebliche Spiritusrektor dieses Putschversuches. Und auf einigen Moscheetüren müssen Schilder gehangen haben, die heißen: "Vaterlandsverräter haben hier nichts zu suchen." Das zeigt ganz deutlich, dass dort die Politik von Ankara durchgetragen wird, und es gibt natürlich auch eine Instanz, die dafür sorgt. In jedem Konsulat, Generalkonsulat der Türkei in Deutschland gibt es einen Religionsattachee. Und das ist sozusagen das Nadelöhr, das Scharnier, in dem Religion und Politik zusammenlaufen. Das muss alles geprüft werden, wenn wir wirklich nicht in das Fahrwasser kommen wollen, dass man uns nachsagt: Ja, im Grunde genommen fördert ihr eine Organisation, die Geld und Abhängigkeit aus Ankara hat.
    Dittrich: Was wäre denn die Alternative, wenn wir über Staatsverträge sprechen?
    Pick: Das ist wirklich die große Frage. Wir müssten das ganze Paket im Grunde genommen aufknüpfen und fragen: Wer könnte Ansprechpartner sein? Bisher ist es in Deutschland so, dass sich die großen islamischen Verbände als Ansprechpartner aller Muslime zeigen. Allerdings gibt es da auch deutliche Stimmen, die anderes behaupten, nämlich allein Zahlen machen das aus, die allerdings unscharf sind, das muss man sagen, dass nun im Grunde genommen nur 15 bis 20 Prozent aller Muslime in Deutschland über diese Verbände organisiert sind. Die Parallele mit den Kirchen, die jetzt hier leicht in den Kopf kommt, greift nicht ganz, aber die Politik muss sich fragen – auf Länder- und auf Bundesebene – mit wem wollen wir es wirklich zu tun haben? Wer sind unsere Ansprechpartner? Reichen die Verbände aus, und vor allen Dingen, wer sind die Verbände? Wo kriegen sie ihr Geld her?
    "Die Grünen haben sich von ihrer alten Linie verabschiedet"
    Dittrich: Überraschend mag nun wirken, dass vor allem die Grünen auf die Bremse treten. Grünen-Chef Cem Özdemir hat sich dazu auch im Deutschlandfunk kürzlich sehr klar geäußert. Ursprünglich waren diese Staatsverträge ja mal rot-grüne Prestigeprojekte. Ist das ein Paradigmenwechsel bei den Grünen – weg von multikulti?
    Pick: Das müssten Sie eigentlich die Grünen fragen, aber ich sehe da schon momentan einen Stimmungswandel. Also wenn man sich anschaut, was hier in Rheinland-Pfalz in der vergangenen Woche an Presseerklärungen geisterte, da muss man schon sagen, dass die Grünen sich von ihrer alten Linie verabschiedet haben und sagen, wir müssen erst einmal ordentlich prüfen. Gestern Abend übrigens hat das die SPD auch gesagt. Das heißt, hier scheint dieses Prestigeobjekt wirklich auf Eis gelegt zu sein. Hier hat man leider auch vergessen, die Opposition mit einzubinden, denn ich denke, gerade beim Thema Islam – egal wer da Opposition und wer da Koalition ist – sollte man ein ganz, ganz breites Spektrum in der Gesellschaft haben. Und hier muss wirklich noch mal neu verhandelt werden.
    Dittrich: Lassen Sie uns noch mal nach Hessen schauen. Da gibt es seit zwei Jahren den Bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht, auch in Zusammenarbeit mit Ditib. Welche Erfahrungen gibt es da?
    Pick: Also dort hat man, um noch mal kurz zu schildern, wie es da steht, zwei Religionsgemeinschaften, nämlich die Ahmadiyya und die Ditib zu Religions-… also die Ditib und die Ahmadiyya wurden zu Religionsgemeinschaften erklärt und hatten damit die Möglichkeit, Religionsunterricht anzubieten. Man hat dort an der Universität Gießen Grundschullehrer ausgebildet, und seit drei Jahren fährt man dieses Programm von der ersten Klasse hoch. Jetzt, wenn die Sommerferien aufhören, geht die dritte Klasse an den Start. Die Schwierigkeit ist die, dass man bei zwei Verbänden zwei Curricula hat. Die unterscheiden sich nur minimal, aber man hat die Dissens, und die Schwierigkeit, die da drin ist - so schön das Projekt an sich ist – dass wenn vielleicht die Schiiten noch reinkommen, wenn die Alleviten noch reinkommen, dass man dann vier Curricula hat. Ich finde das sehr unglücklich. Ich denke, der Staat sollte darauf achten, dass man einen Ansprechpartner hat, wie man auf Seiten der evangelischen Kirche die Landeskirchen hat, wie man auf Seiten der katholischen Kirche die Bistümer hat. Also das wäre schon sehr, sehr gut.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.